Hamburg . Jochen Rieder und das London Philharmonic Orchestra zeigten sich uninspiriert. Martina Gedeck rettete, was zu retten war.
Ein Geiger als Marlene Dietrich? So solle sich ihn das Publikum vorstellen, sagt Daniel Röhn, bevor er am Ende eines sehr, sehr langen Konzerts „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ als Zugabe spielt. Der Witz zündet vielleicht zu drei Vierteln, es raunt ein wenig im Großen Saal der Elbphilharmonie. Vor allem aber offenbart die Ansage einen Webfehler. Warum sollten wir uns einen Abend lang unsterbliche Songs der 20er-Jahre, die jeder mit den schmelzendsten, rauchigsten, verführerischsten Stimmen im Ohr hat, mit Geige anhören? Die Antwort bleibt Röhn schuldig.
„The Golden Violin“ hat er das Programm überschrieben. Nur fehlt ihm diese erotische Mischung aus duftiger Klangfarbenpalette und einem gewissen Hang ins Schmutzige, die einen Gershwin erst zu einem Gershwin macht. Röhn spielt so gerade, wie seine Rasurkante verläuft; manchmal langt er auch daneben, aber das ist nicht das Problem.
Geigenton schrammt an Schmerzgrenze entlang
„Holzapfel und Schlehwein“ von Erich Wolfgang Korngold säbelt er in gleichbleibend mittlerer Lautstärke durch. Das muss man dem Stück nicht antun, auch wenn der Untertitel „Marsch der Wache“ lautet. Wenn es um große Gefühle geht, wirft Röhn sein Starkstromvibrato an, wo der Geigenton durch die unsensible Verstärkung sowieso schon an der Schmerzgrenze entlangschrammt.
Als Gestaltungsmittel ist das allzu dünn. Schon gar nicht für die Musik dieser angeblich goldenen Epoche, die doch so sehr von dem unauflösbaren Widerspruch zwischen der Einsamkeit des Großstadtmenschen und der Brutalität der Moderne geprägt war. Bei Röhn erschrickt man nicht vor den Abgründen in Kurt Weills „Moritat von Mackie Messer“, man erschrickt vor der brachialen Bogenattacke des Interpreten. Natürlich darf Weill auch mal hässlich klingen – aber eben gekonnt hässlich.
Immerhin: Trompeter hat in Soli den Groove
Leider steht das London Philharmonic Orchestra Röhn an Inspirationslosigkeit wenig nach. Es bleibt ein Rätsel, wie ein Klangkörper von Weltrang eine derart hüftsteife Begleitcombo abgeben kann. Unter Jochen Rieders Führung, übrigens der Dirigent, der vor einigen Wochen den Kaufmann-Abend versenkte, fingern die Musiker sich säuberlich von Chaplins „Flower Shop“ (aus dem Film „City Lights“) bis zur „Vocalise“ von Rachmaninow, ohne sich großartig um dynamische Unterschiede zu bemühen.
Immerhin, der Trompeter hat in seinen Soli den Groove. Er und die Kollegen an Horn und Klarinette mischen ihre Farben subtil ab und klingen, als wären sie ein ganzer Bläsersatz. Aber wie viel Raffinesse könnten allein die Kontrabässe in ihre schlichten Pizzikati legen. Herzschlagmomente könnten das sein, in denen die Welt stehen bleibt. Rieder pflügt darüber hinweg.
Martina Gedeck spielt, skandiert, erzählt furios
Rettung naht in Gestalt der Rezitatorin Martina Gedeck. Sie findet rasch den Ton für die Texte von Scott F. Fitzgerald bis Rosa Luxemburg, die der Autor Gerhard Ahrens zu einer dramaturgisch klug verdichteten Reise durch das nächtlich-verregnete Paris, das stampfende Berlin, das imaginäre Metropolis als Menetekel der heraufziehenden Katastrophe collagiert hat. Seine Fallhöhe bezieht das Ganze aus dem Kontrast von Esprit und Sozialkritik, und Gedeck spielt, skandiert, erzählt furios.
Der Musik käme in diesem Reigen die Rolle der Unterhalterin und Trösterin zu. Wie schade, dass sie sie an diesem Abend nicht ausfüllen kann.