Hamburg. Sächsische Staatskapelle Dresden spielte Bruckners Zweite. Das Publikum legte ein wünschenswertes Verhalten an den Tag.

Bruckners Zweite zu hören, das hat, wenn man die späteren Werke im Ohr hat, etwas vom berühmten Zauber des Anfangs. Der Komponist ging zwar, anders als die niedrige Ordnungszahl der Sinfonie vermuten lässt, in ihrer Entstehungszeit bereits deutlich auf die Fünfzig zu und hatte manche schmerzhafte Erfahrung mit dem Genre gemacht. Vielleicht liegt es gerade an diesem Durchgangsstadium, dass die versammelten Elemente Brucknerscher Sinfonik so reizvoll wirken.

Ganz sicher aber ist die Frische der Begegnung den Interpreten zuzuschreiben, wenn Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden sich der Zweiten annehmen. In der Elbphilharmonie zeigte sich Thielemann einmal mehr als unumschränkter Herrscher auf seinem angestammten Territorium, der deutschen Romantik. Er wusste genau, warum und wo er die Zügel aufnahm und wo er sie schießen ließ, um mit den Musikern die vielen Bruckner-Wunder blankzuputzen und aufs Silbertablett zu heben, sie immer neu zu arrangieren und miteinander zu verbinden. Und nebenbei klingend Stellung zu beziehen zu dem alten Streit, ob Bruckners Musik nun eigentlich absolut sei, das heißt ohne eine außerhalb der Musik selbst liegende Aussage.

Hand in Hand über eine Bergwiese

Bruckners Musik ist bei aller Formstrenge mehr als reine Architektur oder gar Mathematik. Über den weiten Klangflächen brachte Thielemann die Melodien der Bratschen und Holzbläser zum Blühen und ließ keinen Zweifel daran, welch tiefe Empfindungen der kauzige österreichische Junggeselle in die Musik gelegt hatte. Mal spazierten die Holzbläser Hand in Hand über eine Bergwiese, dann wieder lösten Zweifel im Grummeln der Kontrabässe die Heiterkeit auf.

Plakative Tempostauungen hatte Thielemann nicht nötig. Das Gespür für ein winziges Innehalten beim Übergang von einem Bild zum nächsten hatte er im kleinen Finger, und das Orchester war natürlich allezeit bei ihm. Butterweich betteten die Pizzicati der Kontrabässe das Geschehen, der Blechbläsersatz leuchtete wie Morgenlicht in einem Kirchenfenster, und der im Programmheft von ProArte leider nicht namentlich genannte Solohornist – Zoltán Mácsai heißt er – spielte seine exponierten Passagen berückend gesanglich. Nur den ersten Geigen hätte man in den Höhen gewünscht, sie hätten sich auf die kapriziöse Akustik etwas mehr einstellen können.

Gebanntes, fast hustenfreies Zuhören

Was soll man vor so einer einstündigen Sinfonie aufs Programm setzen? Das e-Moll-Violinkonzert von Mendelssohn hätte in der Relation beinahe zu leichtgewichtig erscheinen können. Hätte. Wäre nicht Frank Peter Zimmermann der Solist gewesen, dieser Geiger, der mit jedem Auftritt erneut vorführt, welche Welten sich eröffnen, wenn einer sein Instrument ebenso vollendet beherrscht wie das Stück wie die Kommunikation mit den Musikern. Mühelos elegant klang das sowieso, weltentrückt an den lyrischen Stellen, sprühend virtuos bis sportlich im rasanten letzten Satz.

Großer Jubel. Und gebanntes, fast hustenfreies Zuhören, als Zimmermann die "Melodia" aus der Solosonate von Bartók zugab. Das wünschen wir uns öfter für die Elbphilharmonie.