„Babylon – Rausch der Ekstase“ mit Brad Pitt und Margot Robbie läuft an. Ein rauschhaftes Kinoerlebnis, das durchaus Schwächen hat.
Babylon? Die goldenen Zwanziger? Tanz auf dem Vulkan? Da muss man natürlich sofort an die Erfolgsserie „Babylon Berlin“ denken. Aber sollte sie solche Wirkmacht haben, dass selbst die Amerikaner beim derzeit grassierenden 20er-Jahre-Revival aufspringen? Nein, das hat Hollywood wirklich nicht nötig.
Denn was die Zeit vor 100 Jahren angeht, hat es selbst genug an Exzessen und Skandalen zu bieten, die einst Kenneth Anger in seinem Kultbuch „Hollywood Babylon“ genüsslich ausplauderte.
„Babylon – Rausch der Ekstase“ ist ein Kinospektakel
So kann der Paramount-Film „Babylon“, der jetzt in den Kinos anläuft, aus dem Vollen schöpfen. Er zeigt die Traumfabrik in ihrer Anfangszeit von ihren wildesten, grellsten, ausschweifendsten Seiten. Gleich anfangs wird da eine Orgie gefeiert, wie man sie sich sonst nur im alten Rom vorstellt: mit Champagner und Kokainbergen auf dem Silbertablett, mit lasziv tanzenden Halb- und ganz Nackten, die hemmungslos miteinander kopulieren, in allen erdenklichen Paarungen.
Da wird sogar ein echter Elefant aufgefahren, der sich dann sprichwörtlich wie in der Porzellankiste aufführt. Womit man aber prima von dem Skandal ablenken kann, dass ein Starlet beim Geschlechtsverkehr zu Tode kam.
Zwei Außenseiter wollen in Hollywood Karriere machen
Am Tag darauf dann Hollywood im Arbeitsmodus: Wo an einem Set gleich zwei Filme gedreht werden. Und alle wegen der Party mit ihrem Kater kämpfen. Auch das Drehen ist ein riskanter, mitunter tödlicher Sport. Bei einer Schlachtszene für einen Ritterfilm wird ein Techniker von einem Speer aufgespießt. Ist halt Berufsrisiko. Viel schlimmer scheint, dass dabei die Kamera zu Bruch geht.
Nun muss alles getan werden, um eine neue Kamera zu organisieren, bevor die Sonne untergeht und die Statisten einen weiteren Tag bezahlt werden müssen. Allein diese Sequenz lohnt den Film, wie nach Stunden des Wartens endlich die Kamera da ist, aber der Star des Films, schon wieder betrunken, immerzu patzt. Bis die Liebesszene beim allerletzten Sonnenstrahl doch im Kasten ist. Das ist movie magic!
Film im Film, das ist längst ein eigenes Genre. Hollywood ist eben nicht nur eine Traumfabrik, die Illusionen erschafft, sondern auch eine Traumfabrik, die immer auch zeigen will, wie sie das schafft. Mit einem Blick hinter die Kulissen. Und mit Filmen, die das ironisch bis bösartig aufs Korn nehmen.
Damien Chazelle drehte schon „La La Land“
Dem oscargekrönten Regisseur Damien Chazelle scheint da jede Tonart recht. Sein Quasi-Musical „La La Land“ war 2016 eine einzige Liebeserklärung an das heutige Los Angeles und seine Traumfabrik (die gern als „La La Land“ bespöttelt wird). Sein neuer Film „Babylon“ scheint anfangs eine ähnliche Hommage in historischem Gewand – bis der Rausch zum langen, kalten Entzug wird. Und die Traumfabrik zum Albtraum.
Wie in „La La Land“ wollen auch in der der fiktiven Geschichte von „Babylon“ zwei Außenseiter, ein Mann und eine Frau, hier ihr Glück machen. Da ist zum einen die junge, schöne und hemmungslose Nellie LaRoye (Margot Robbie), die davon träumt, Schauspielerin zu werden, sich deshalb auf die Party schmuggelt, dort am frivolsten tanzt und wirklich von einem Produzenten entdeckt wird.
Auch wenn sie nur Ersatz wird für das eben zu Tode gekommene Starlet. Aber sie kann für Großaufnahmen auf Knopfdruck ein Tränlein vergießen, auch bei der x-ten Aufnahme. A star is born!
Die Sitten wandeln sich
Und da ist zum anderen Manny Torres (Diego Calva), der als Mexikaner in Kalifornien nur niedrigste Dienste erledigen darf, aber in kniffligen Situationen immer einen Weg findet: wie man den Elefanten auf die Party bringt, die Tote dort verschwinden lässt oder eben die begehrte Kamera besorgt. So wird er bald zur rechten Hand von Jack Conrad (Brad Pitt), dem Filmhelden mit den großen Starallüren und den eifersüchtigen Frauen.
Beide, Nellie wie Manny, werden ihr Glück machen in Hollywood. Und werden sich immer wieder begegnen. Aber doch nie zusammenfinden. Und dann kommt der Tonfilm, der die Branche radikal verändert. Und es kommt der Production Code, mit dem sich die Filmstudios selbst Richtlinien für mehr Sittlichkeit auferlegten, um aufgebrachte Sittenwächter und Moralhüter, die zum Boykott des Kinos aufriefen, zu beschwichtigen.
Das führt wieder zu einer schönen Film-im-Film-Szene, wenn eine Aufnahme mit der anfälligen neuen Tontechnik stets aufs Neue wiederholt werden muss – und immer jemand patzt. Bis die Szene endlich funktioniert. Aber doch nicht im Kasten ist. Weil dem Kameramann das Herz versagt. Ist halt Berufsrisiko. Es wandeln sich aber eben auch die Sitten. Und Nellie, die eben noch als Femme fatale verehrt wurde, ist nun, in den neuen prüden Zeiten, Feindbild und Zielscheibe der Moralhüter. Was sie mit nur noch ungestümerem Verhalten quittiert.
Damien Chazelle ist nicht zimperlich
Chazelle, der seit „La La Land“ als Wunderkind in Hollywood gilt und deshalb alle Freiheiten genießt, inszeniert das mit Lust als großes, opulentes Sittengemälde. Nur eben mit Hollywood selbst als Thema. Dabei ist er nicht zimperlich und schockt den Zuschauer immer auch mit Ekelmomenten. Im Lauf des Films werden wirklich alle Körperflüssigkeiten spritzen – üppig dosiert.
Es gibt grandiose Szenen wie die bereits genannten, in denen die Filmindustrie hübsch auf die Schippe genommen wird. Aber sie geraten bisweilen etwas lang, wie auch der Film insgesamt mit seinen drei Stunden. Chazelle will einfach zu viel, wenn er auch noch andere Minderheiten in den Fokus rückt. Etwa die chinesische Autorin Lady Fay Zhu (Li Jun Li), der gekündigt wird, weil der Tonfilm keine Zwischentitel mehr braucht – und man auch ihr offen lesbisches Gebaren nicht länger dulden will.
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Und dann wird, auch eine Parallele zu „La La Land“, noch die Geschichte eines Musikers erzählt, hier die des schwarzen Jazz-Trompeter Sidney (Jovan Adepo) der zu Beginn des Tonfilms (und des „Jazz Age“) zum großen Star aufsteigt. Bis er gezwungen wird, sein Gesicht mit Schuhcreme zu bemalen. Da verfranzt Chazelle sich in seinen vielen Handlungssträngen.
„Babylon“ ist ein monumental ausuferndes Epos
„Babylon“ ist ein irrwitziges, monumental ausuferndes Epos, das ganz wie die alten Hollywood-Epen immer bigger than life ist, aber bei allem Exzess die feinen Zwischentöne vermissen lässt. Ein Film, der in seiner dritten Stunde dann ganz aus dem Ruder läuft, wenn in einer Unterwelt die Orgie vom Anfang noch verbotener weitergeführt wird.
Am Ende aber geht eine der Hauptfiguren Jahre später ins Kino. Und schaut sich „Singin’ in the Rain“ an. Das wäre nicht nötig gewesen, an den Klassiker muss man sowieso dauernd denken, denn auch der hat ja den Übergang vom Stumm- zum Tonfilm satirisch illustriert. Aber er tat es damals eben brav und weichgespült, während bei „Babylon“ der Schleudergang eingestellt ist.
Und doch: Selbst der Hollywood-Veteranen, der es ja besser weiß, lässt sich von der Kinomaschinerie überwältigen. Das immerhin zeigt die ganze Wirkmacht der Traumfabrik, die bis heute anhält. Auch wenn sie sich gegen eine andere Technikentwicklung, das Streaming, behaupten muss.
„Babylon – Rausch der Ekstase“ 189 Minuten, ab 16 J. , läuft im Abaton, in der Astor FilmLounge, im Cinemaxx Dammtor + Harburg, Koralle, Savoy, in den UCI-Kinos und im Zeise