Hamburg. In der Nacht auf Montag werden in Los Angeles die bedeutendsten Filmpreise verliehen. Ein Rückblick auf die Geschichte der Gala.

In der Nacht zum Montag endet wieder die „fünfte Jahreszeit“. In der sogenannten „back slapping season“ (Saison des Schulterklopfens) feiert die Filmbranche alljährlich ihre Jahresernte – und sich selbst. Sie beginnt im November mit den Gotham Awards, erstreckt sich über den Dezember (New York Film Critics Circle) und den Januar (Golden Globes) bis in den Februar, wenn sie mit den Oscars ihren Abschluss und Höhepunkt feiert. In diesem Jahr werden die Preise zum 92. Mal vergeben, aber die Reise dorthin war alles andere als ein langer, ruhiger Fluss.

Kevin O’Connell war vor drei Jahren auf dem besten Weg zu einem neuen Rekord. 20-mal war der US-Toningenieur für seine Leistungen bei Filmen wie „Armageddon“, „Pearl Harbor“ oder „Spider-Man“ schon für den Oscar nominiert worden. Aber immer wieder hatten andere die Nase vorn. Dann endlich klappte es doch noch. Er gewann 2017 die Trophäe für „Hacksaw Ridge – Die Entscheidung“ – im 21. Anlauf.

Erst seit 1953 wird die Verleihung im Fernsehen übertragen

Die Geschichte des „unglücklichsten Nominierten in der Geschichte der Academy Awards“, wie es der „Guardian“ nannte, hatte doch noch ein Happy End gefunden. In Hollywood mag man so etwas. O’Connell hat übrigens ein weibliches Pendent. Diane Warren war schon elfmal für den besten Song nominiert. Nur hat sie noch nie gewonnen. Auch diesmal hat sie Chancen ... Und die Welt wird wieder genau hinschauen. Die Übertragung der Verleihung lockt mittlerweile ein Milliardenpublikum an.

Das war einmal anders. In mehr als 30 Kategorien werden inzwischen Preise verliehen. Bei der Auftaktveranstaltung waren es nur 15. Heute dauert die Show mehr als vier Stunden, 1929 war die Zeremonie bereits nach 15 Minuten vorbei. Die Veranstaltung fand damals noch ohne Medienbeteiligung statt, erst seit 1953 wird sie im Fernsehen übertragen.

Die beste männliche Hauptrolle gewann ein Deutscher

Interessenten konnten sich bei der Premiere noch Eintrittskarten für 5 Dollar kaufen, heute kommt man nur mit einer der äußerst begehrten Einladungen hinein. Damals feierte man bei einem Bankett mit 270 Teilnehmern. Die Spannung hielt sich in Grenzen, denn die Preisträger waren schon drei Monate vorher bekannt gegeben worden. Den Preis für die beste männliche Hauptrolle gewann damals ein Deutscher. Emil Jannings wurde für seine Leistung in „Der Weg allen Fleisches“ und „Sein letzter Befehl“ ausgezeichnet.

Die Oscar-Verleihung ist längst Bestandteil der amerikanischen Kultur und auch deshalb so beliebt, weil Diskussionsstoff nahezu garantiert ist. Man kann sich hinterher mit strahlenden Siegern freuen und über fragwürdige Entscheidungen diskutieren.

Hattie McDaniel und Clark Gable in „Vom Winde verweht
Hattie McDaniel und Clark Gable in „Vom Winde verweht". © dpa Picture-Alliance | dpa Picture-Alliance / Courtesy Everett Collection

Skandale, witzige Überraschungen und legendäre Kleider

Was hat es nicht schon alles gegeben: Tränenausbrüche, Verweigerer, Fehlentscheidungen, Versprecher, einen Flitzer, eine Comic-Figur als Gastgeber (Donald Duck. Und dann sind da natürlich auch Skandale. Etwa die Bekanntgabe eines falschen Gewinners 2017 („La La Land“ statt „Moonlight“), der Kuss, den sich Preisträger Adrien Brody 2003 einfach von seiner Kollegin Halle Berry stahl.

Natürlich gab es auch witzige positive Überraschungen wie das Selfie, das Bradley Cooper 2014 mit dem Handy von Ellen DeGeneres schoss. Darauf zu sehen war Star-Power pur: Jennifer Lawrence, Meryl Streep, Brad Pitt, Angelina Jolie und andere. Als Tweet brach die Aufnahme hinterher alle Rekorde. Auch legendär: die Kleider. Tief ausgeschnitten, hoch geschlitzt, oder auch mal mit einem schrecklich-schönen Schwan drapiert wie bei Björks Auftritt zu Ehren von Lars von Triers Drama „Dancer In The Dark“. Manche halten die Veranstaltung ohnehin eher für eine Modenschau als für eine Filmpreisverleihung.

Die Academy Awards: Preise der Weißen?

Eine echte Achillesferse der Academy ist und bleibt ihr Umgang mit der Hautfarbe. In den Jahren 2015 und 2016 waren alle Nominierten weiß. Der (dunkelhäutige) Gastgeber und US-Comedian Chris Rock nahm das auf die Schippe und sagte: „Ich bin hier bei den Academy Awards, auch bekannt als die Preise der Weißen. Wenn sie den Gastgeber nominiert hätten, wäre ich chancenlos gewesen.“

Das saß und hatte eine lange Vorgeschichte: Hattie McDaniel war 1940 die erste Schwarze, die einen Oscar gewann, als Nebendarstellerin in „Vom Winde verweht“. Bei der Preisverleihung musste sie, von ihren Teamkollegen getrennt, wegen der damals noch praktizierten Rassentrennung ganz hinten im Saal sitzen. Danach dauerte es 51 Jahre, bis wieder eine Farbige ausgezeichnet wurde: Whoopi Goldberg für ihre Rolle in „Ghost“.

Hamburger Filmemacher Fatih Akin wurde 2016 aufgenommen

Der erste schwarze Oscar-Mann war 1964 Sidney Poitier. Es dauerte „nur“ 38 Jahre, bis ihm mit Denzel Washington ein weiterer Afroamerikaner folgte. Hollywood tut sich schwer darin, aus seinen Fehlern zu lernen. Die Nominierten in der Kategorie „Bester Hauptdarsteller“ sind in diesem Jahr wieder sämtlich weiß, um die „Beste Regie“ konkurrieren ausschließlich Männer, und als Favorit für den „Besten Film“ geht „Joker“ ins Rennen, ein Werk voller Hass, Verbitterung und Gewalt.

Heute sind die Academy-Mitglieder zu 94 Prozent weiß, zu 76 Prozent männlich und viele von ihnen sind deutlich älter als 60 Jahre. Dennoch scheint der Zeitgeist nicht ganz an der Filmakademie vorbeizugehen. Sie hat zahlreiche neue Mitglieder aufgenommen, 2016 auch den Hamburger Filmemacher Fatih Akin (46). Wegen ihrer sexuellen Übergriffe wurden Harvey Weinstein, Bill Cosby und Roman Polanski inzwischen ausgeschlossen.

Burghardt Klaußner in „Das weiße Band
Burghardt Klaußner in „Das weiße Band". © dpa Picture-Alliance | dpa Picture-Alliance / ©Sony Pictures/Courtesy Everett

Hamburger Schauspielerinnen feiern private Oscar-Partys

Wenn es in der Nacht zum Montag wieder heißt: „And the Oscar goes to …“, wird man ein Stück Hollywood auch in Hamburg finden. Die Schauspielerinnen Catrin Striebeck und Karoline Eichhorn feiern ganz privat zusammen mit Freunden schon seit Jahren Oscar-Partys.

Die Teilnehmer machen sich schick, auf die möglichen Sieger wird gewettet, es gibt ein Büfett und natürlich Champagner, sogar ein roter Teppich wird dafür vom Dachboden geholt. Ein Höhepunkt, erinnert sich Striebeck, war im Jahr 2010 eine „Live-Schalte“. Burghart Klaußner, der mit Michael Hanekes „Das weiße Band“ nominiert war, schickte aktuelle Eindrücke als Textbotschaften nach Hamburg.

Debütfilm von Hamburger Regisseurin ist ausgeschieden

Darauf können die Hamburger Partygäste in diesem Jahr nicht hoffen. „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt war zwar für den Auslands-Oscar nominiert, schaffte es aber nicht in die Runde der engeren Titelanwärter. Die Konkurrenz war zu groß. Trotzdem ist auch das Erreichte schon ein Riesenerfolg für den unkonventionellen Debütfilm der Hamburger Regisseurin, der bisher bei anderen Gelegenheiten bereits zahlreiche Preise einsammelte.

Hans-Jürgen Kubiak hat in seinem Buch „Die Oscar-Filme“ geschrieben: „Vielleicht ist es gerade diese Mischung aus Glamour, Selbstinszenierung, echten und vorgetäuschten Gefühlen und der Unvorhersehbarkeit der Gewinner, die der Verleihung ihren Kultstatus verleiht.“ In der Nacht zum Montag zeigt sich die Filmbranche wieder von ihrer glamourösen Seite und beantwortet nebenbei die Frage danach, wie es dem Kino, ja sogar, wie es der Welt gerade geht. Denn die Oscar-Verleihung ist in jedem Jahr mehr als nur eine künstlerische Standortbestimmung.

In diesem Sinne: And the Oscar goes to ...

Die Oscar-Verleihung live So 9.2., ab 23.05, ProSieben