Hamburg. Bei der Berlinale zeigte Katharina Otto-Bernstein, Spross der Unternehmerfamilie Otto, den Film „Mapplethorpe: Look At The Pictures“.

Die ersten Szenen des Films zeigen historische Bilder. Der republikanische US-Senator Jesse Helms ruft seinen Zuhörern zu: „Sehen Sie sich die Bilder an!“ Das liest sich ganz normal, aber so, wie Helms es vortrug, war es der Ausdruck großer Empörung. Was den Politiker so auf die Palme gebracht hatte, waren Fotos von Robert Mapplethorpe. Der umstrittene Künstler hat nicht nur Porträts und Blumenbilder gemacht, sondern auch sehr explizite männliche Akte. Natürlich weckte der Politiker durch seinen Appell 1989 nur noch größeres Interesse an den Fotos des US-Künstlers. Heute schmückt sein Ausruf einen Filmtitel. „Mapplethorpe: Look At The Pictures“ erlebte am Sonntag seine Europapremiere bei der Berlinale. Produziert hat den Film Katharina Otto-Bernstein. Die Filmemacherin stammt aus der Hamburger Unternehmerfamilie Otto (Otto-Versand). Maren und Werner Otto (1909–2011) sind ihre Eltern, sie selbst lebt in den USA.

„Es war richtig toll. Ich hatte den Film vorher noch nie auf einer so großen Leinwand gesehen. Am Ende gab es sogar ein paar Tränen“, freute sich Otto-Bernstein. Ihr Film ist das erste Porträt des umstrittenen Fotokünstlers in Spielfilmlänge. Die Regisseure Fenton Bailey und Randy Barbato, die schon in der Pornofilm-Doku „Inside Deep Throat“ ein geschicktes Händchen bei der Aufarbeitung eines heiklen Themas bewiesen haben, konnten aus dem Vollen schöpfen. Sie bekamen den uneingeschränkten Zugang zu den Archiven, in denen Mapplethorpes Arbeiten lagern.

Dokumentarfilmer möchten aber immer auch etwas Neues herausfinden. Was ist das in diesem Fall? „Bisher kannten wir Mapplethorpe nur durch die Augen von Patti Smith oder von Sam Wagstaffs Biografen.“ Punk-Ikone Smith schrieb über ihre Freundschaft zu Mapplethorpe das Buch „Just Kids“. Kunstsammler Wagstaff lebte 15 Jahre lang mit Mapple­thorpe zusammen und brachte dessen Karriere entscheidend in Schwung. Er starb 1987, zwei Jahre vor dem Fotografen, wie dieser an Aids.

Die Filmemacher bekamen Interviewbänder von zwei Kritikern, die den Künstler schon früh und sehr intensiv befragt hatten. „Mapplethorpe spricht bei uns zum ersten Mal“, sagt Otto-Bernstein. Außerdem ist es ihr und den Regisseuren gelungen, zahlreiche Weggefährten zu befragen. Darunter auch seine Schwester und seinen Bruder Edward. Der hat tatsächlich eine Ausbildung als Fotograf und hat für seinen autodidaktisch arbeitenden Bruder, der manchmal nicht besonders nett zu ihm war, als Assistent gearbeitet. Robert selbst konnte gar keine Filme entwickeln. „Von ihm haben wir sehr viel Neues erfahren, und ich fand ihn auch ziemlich emotional“, sagt die Produzentin. „Mapplethorpe war einer der ersten Künstler, die Fotografie als Medium benutzt haben.“

Das Guggenheim plant 2017 eine Mapplethorpe-Retro­spektive

Die Idee zum Film habe der US-Sender HBO gehabt, denn im März wird es in den USA eine große Mapple­thorpe-Retrospektive geben. Auch das Guggenheim plant 2017 eine Retro­spektive. „Mapplethorpe war der Grund, warum das Museum überhaupt eine Fotografie-Abteilung hat“, sagt die Produzentin. Man darf gespannt sein, wie das Publikum darauf reagiert. Als 1990 die „Perfect Moments“-Ausstellung in Cincinnati gezeigt wurde, hat man den Museumsdirektor wegen Obszönität angeklagt – und freigesprochen. Man sprach sogar vom „cultural war“.

Schockieren Bilder wie die von Mapplethorpe heute, ein Vierteljahrhundert später, immer noch? „Einige davon sicherlich, gerade in dem momentanen politischen Klima“, sagt Otto-Bernstein. „Seine Bilder sind keine Pornografie, sondern in einen kunsthaften Kontext gesetzt. Deshalb bleiben sie einem im Kopf. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war ich aber auch geschockt“, räumt sie ein.

Patti Smith, die für Mapplethorpe zu Beginn seiner Karriere eine wichtige Bezugsperson war, ist nicht im Film. Otto-Bernstein ist über ihre Absage nicht besonders traurig. „Sie ist sehr dominierend.“ In der entscheidenden Phase seiner Karriere hatte sie nur wenig mit ihm zu tun. Sie kam erst zurück, als er im Krankenhaus lag. „Sie hatten über zehn Jahre gar keinen Kontakt.“ Stattdessen habe man Leute aufgespürt, die viel Hintergründiges beitragen konnten. „Wir haben alle wichtigen Liebhaber von Robert gefunden.“

Vor zehn Jahren brachte sie den von ihr selbst inszenierten Dokumentarfilm „Absolut Wilson“ über den charismatischen Theaterregisseur in die Kinos. Den neuen Film hat sie nur produziert. Die gewonnene Zeit konnte sie gut gebrauchen, weil sie bei zwei neuen Projekten wieder selbst Regie führen möchte. Außerdem kümmert sie sich, die 1964 Geborene, auch um ihre beiden Söhne Nicholas und Jonathan – „zwei große, freche Jungs“ – die jetzt im Teenageralter sind und ihr wieder mehr Zeit für das Filmgeschäft lassen. Familie steht bei den Ottos ja ohnehin hoch im Kurs. Otto-Bernsteins Mutter Maren und ihre Brüder Frank und Alexander waren zur Premiere nach Berlin gekommen.

Vor zehn Jahren gab es eine prächtige Hamburg-Premiere von „Absolute Wilson“. Der neue Film ist schon in mehrere Länder verkauft, hat aber zurzeit noch keinen deutschen Verleih, daher auch keinen Starttermin. Dennoch ist die Produzentin optimistisch, etwas Ähnliches in ihrer Heimatstadt noch einmal zu organisieren. „Ich hoffe, da können wir eine Wiederholung machen. Ich würde es wahnsinnig gern.“