Berlin. Sonia Kennebeck lässt in ihrer Dokumentation „National Bird“ Beteiligte an den Drohneneinsätzen und Überlebende zu Wort kommen.
Als klar war, worum es in ihrem neuen Film gehen sollte, suchte Sonia Kennebeck als Erstes einen Rechtsanwalt auf. Um sich abzusichern. Ihren Protagonisten riet sie dasselbe. Die Hamburger Regisseurin hat einen Film gedreht über eine der umstrittensten militärischen Maßnahmen der letzten Zeit: den geheimen Drohnenkrieg der USA. Am Sonntag feierte „National Bird“ seine Weltpremiere auf der Berlinale, im Frühjahr wird er im Kino zu sehen sein.
Drei Jahre lang hat Kennebeck an ihrem Film gearbeitet, sieben Tage die Woche. Viel Zeit ging dafür drauf, Menschen zu finden, die bereit waren, über interne Vorgänge in der US Air Force und die unbemannten Waffensysteme zu sprechen. Vor der Öffentlichkeit wurden Details dazu gerne verschwiegen. „Als investigative Journalistin haben mich solche Themen schon immer fasziniert“, sagt Kennebeck. „Für jemanden, der an die Pressefreiheit und eine transparente Regierung glaubt, war diese Form der Geheimhaltung und der Mangel an öffentlichem Diskurs über so ein gigantisches Tötungsprojekt einfach nicht nachvollziehbar.“
Kennebeck ist es gelungen, drei Whistleblower zum Reden zu bewegen. Sie berichten über die Zeit, in der sie als Analysten im US-Drohnenprogramm aktiv waren. Die Regisseurin nähert sich ihrem Thema über diese menschliche Perspektive. Sie geht der Frage nach: Wer sind diese Menschen, die in fensterlosen Räumen sitzen und – basierend auf dem, was sie auf unscharfen Bildern erkennen können – über Leben und Tod entscheiden? Dass dies kein Job ist, den man nach ein paar Jahren an den Nagel hängt und sich anderen Dingen zuwendet, wird jedenfalls sehr schnell deutlich.
Heather, Daniel und Lisa haben nach ihrem Ausstieg beim Militär mit psychischen Problemen zu kämpfen, sie fühlen sich schuldig am Tod unschuldiger Menschen. Und sie müssen bei jedem Wort, das sie in der Öffentlichkeit verlieren, Angst haben, dafür juristisch belangt zu werden. „Das Wichtigste bei meiner Arbeit war mir immer, dass meine Protagonisten sicher sind“, sagt Sonia Kennebeck. Auch deshalb die Anwälte.
Kein einseitiges Plädoyer gegen Drohneneinsatz
Kennebeck ist in Billstedt aufgewachsen, hat in Washington studiert und beim NDR volontiert. Sie hat Filme gedreht über traumatisierte Soldaten und Folter in US-Gefängnissen. „National Bird“ ist ihr Kinodebüt. Es ist ein Film in der Tradition von „Citizen Four“, der preisgekrönten Doku über Edward Snowden. „National Bird“ ist kein einseitiges Plädoyer gegen Drohneneinsatz geworden, kein Aktivistenfilm. Eingebettet in den Film etwa sind Auszüge aus der Rede von Präsident Obama, in der er den Drohneneinsatz erklärt.
„National Bird“ zeigt in rund 100 Minuten, welche Auswirkungen das Programm auf die betroffenen Menschen hat. Auf die Kriegsveteranen und die Überlebenden von Angriffen. „Wie so oft in der Entwicklung neuer Militärtechnologien haben Kampfdrohen die Kriegsführung schneller verändert, als Gesetze und Moral sich mit dem Wandel auseinandersetzen konnten“, sagt Kennebeck. Die Frage, ob eine andere Welt als die aus Gewalt und Gegengewalt möglich ist, schwingt leise mit. Ebenso wie die, ob es eine gute Idee ist, junge Menschen mit einem Job zu betreuen, der einem Videospiel ähnelt. Bei dem es in Wahrheit aber darum geht, Menschen zu töten.
Die Art, wie die drei Protagonisten mit ihren Erlebnissen umgehen, ist höchst unterschiedlich. Aber vergessen kann keiner von ihnen. Lisa reist nach Afghanistan. Sie unterstützt dort eine Freundin bei einem humanitären Projekt. „Ich habe einen Teil meiner Humanität verloren, als ich im Drohnenprojekt gearbeitet habe“, sagt Lisa. Es gab für sie keine Menschen mehr, es gab Zielobjekte. Potenzielle Feinde. Sie möchte lernen, Menschen wieder als Individuum zu sehen, sie möchte helfen. „Teil eines Waffenprogramms zu sein kann jedenfalls niemals hilfsreich sein“, sagt Lisa.
Heather dagegen, die mit Anfang 20 für die Air Force tätig war, hat Schwierigkeiten, einen Psychiater zu finden, mit dem sie über das Erlebte sprechen kann. Nur die wenigsten Therapeuten sind von der Regierung dazu befugt. Daniel wird der Spionage verdächtigt. Das FBI durchsucht sein Haus. Er soll militärische Geheimnisse verraten haben. Die Vergangenheit hat alle drei fest im Griff. Produziert wurde „National Bird“ von Wim Wenders und Erol Morris. „Sie werden Dinge sehen und hören, die Sie nie zuvor gesehen und gehört haben, und Sie werden das Kino mit Einsichten verlassen, im wahrsten Sinne des Wortes, die Ihnen zuvor verschlossen geblieben sind“, so Wenders.
Sonia Kennebeck lebt heute in Hamburg und Washington und spielt mit dem Gedanken, nach New York zu ziehen. Das Thema Kriegsveteraninnen wird sie weiter beschäftigen; sie hat Ideen für zwei Spielfilmprojekte. Sie ist jetzt 35 Jahre alt, die zweitjüngste Regisseurin auf der Berlinale. „Dieses Projekt ist weit über meine Vorstellungen hinausgewachsen.“ Es ist ein großer, ein wichtiger Film geworden.