Hamburg. Hübner steht in „Der Geheimagent“ auf der Bühne. Was die Castorf-Inszenierung mit dem Brachial-Sound von Motörhead gemein hat.
Charly Hübner wirkt am Wochenbeginn aufgeräumt, dabei hat er gerade wirklich viel zu tun. Am Freitag steht er in der Premiere von Frank Castorfs Inszenierung „Der Geheimagent“ nach Joseph Conrad auf der Bühne des Schauspielhauses. Nicht mal einen Monat später folgt auch schon Studio Brauns Kleist-Adaption „Coolhaze“ an gleicher Stelle. Doch zunächst kreist das Gespräch um etwas ganz anderes: sein kürzlich in der Kiwi Musikbibliothek erschienenes Buch „Motörhead“. Und das hat dann doch erstaunlich viel mit seiner Theaterarbeit zu tun.
Hamburger Abendblatt: War Motörhead-Frontmann Lemmy ein Gandalf des Rock ‘n‘ Roll? Ein Heiliger, der Erlösung verspricht, oder ein Teufel der zu Lebensgier und Eskapismus verführt?
Charly Hübner: Letzten Endes beides. Der Teufel in meinem Buch sagt, die Leute haben keinen Humor, die kein „Deibelsblut“ haben. Das ganze Leben lernst du nur kennen, wenn du dich auch auf die so genannte „dunkle“ Seite stellst, so wie das Lemmy macht oder Frank Castorf oder die Studio Braunies. Da sind dann wirklich alle im selben Kessel. Viele Rocker sind irgendwann abgestürzt, Lemmy wurde philosophisch. Er spielte ja die immer gleiche, stark verzerrte Mischung aus Swing, Jazz und Rock ‘n’ Roll. In seinen Interviews war er so lustig, klug und lebensweise. Ein dunkler Gandalf und nicht ein weißer Gandalf.
Welche Bedeutung hat diese doch sehr laute Band Motörhead für Sie persönlich?
Hübner: Sie war die Wutentsprechung, was meine musikalische Sozialisation betraf. Gegenüber dieser kleinbürgerlichen Geselligkeit, wo es immer um gute Laune ging. Ich stellte das extrem in Frage, weil ich eine Realität erlebte, die nicht immer gutlaunig war. Damit bin ich extrem angeeckt. Diese Musik war so cool, weil sie so schwer zu entschlüsseln war. Das hatte eine Energie. Nicht logisch. Für die Zeit als Teenager mit diesem größeren inneren Umbau war sie genau das richtige. Dass das dann bleibt, auch wenn man älter wird, sagt einem ja keiner.
Ihre Heimat Mecklenburg beschreiben Sie mal als Idyll, mal aber auch als Vorhölle mit Dauerschlagerberieselung und schlimmen Sonntagsausflügen.
Hübner: Eine Idylle war es ja immer. Bis heute. Es war aber eben mit dem Älterwerden auch eine Enge aus Ritualen und Dominanz, der ich entfliehen wollte. Die Eltern mussten sich zurechtfinden. Mein Vater war IM (Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi), das ist ja bekannt. Wenn sein Vorgesetzter kam, gab es Rituale, da musste die Familie mitspielen. So wurde der Schlager sein Ventil. Ich hatte andere Sorgen. Klamotten, Musik und Mädchen, die mich nicht wollten.
„Wir waren Freunde, wir zechten viel und wir hörten Motörhead, Punkt“ heißt es im Buch. Wie brach da eigentlich das Theater ein in dieses Leben?
Hübner: Ich habe am Landestheater in Neustrelitz die Generalprobe der Satire „Der Selbstmörder“ von Nikolai Erdman – großartiges Stück – in der Regie von Thomas Bischoff erlebt, von der Schule aus. In der Kantine saßen Sylvana Krappatsch und andere, die waren schräg, lustig, punkig, also alles was mich damals interessiert hat. Das war eine coole Gegenerzählung zum kleinbürgerlichen Roman. Es lockte mich, es kriegte mich und dabei bin ich geblieben.
Ist Theater Rock ‘n’ Roll? Ist der Regisseur Frank Castorf Rock ‘n‘ Roll?
Hübner: Frank ist auf jeden Fall Rock ‘n’ Roll, weil er sehr lange schon diese Gegenerzählung führt. Das nicht sofort Entschlüsselbare! Da setzt in mir eine Faszination ein, die mit einem Wunder zu tun hat und damit, sich auch wirklich einer Sache auszusetzen, der man nicht Herr ist. Frank versucht, eine Realität wiederzugeben, die so komplex ist, wie die Wirklichkeit. Was da an Biografien, Themen, Dynamiken Verliebtheiten, Freude, Ironie, Sarkasmus drin steckt. Als Spieler haben wir diese Textberge, ein paar Haltepunkte, ein eigenes Reservoir und von ihm noch eines dazu und dann muss man schauen, dass man die Berge packt, die Kurven, die Täler. Man verlässt das Durchgefeilte, perfekt choreografierte, um in einem unterbewussten, vegetativen Moment, Ströme zu erzeugen, die nicht über die Ratio zu erfassen sind, sondern über einen Aussetzungsmoment und das ist wie Metal.
Worin besteht die Faszination von Joseph Conrads „Der Geheimagent“?
Hübner: Das klingt ja erst mal nach James Bond. Aber bei der Figur Adolf Verloc hat man es mit einem Militärkolonialtypen zu tun. Er lebt als Halbfranzose in England und diese antagonistischen Kräfte sind in der Figur gesetzt. Eigentlich ist er nur ein relativ unerzogener Kleinbürger, der als Proletarier wie ein IM von zwei Seiten, dem eigenen Staat und Russland, eingesetzt wird. Es ist keine Helden-Erzählung. Am Ende wird es ein Familiendrama.
Sehen Sie darin auch eine soziale Parabel?
Hübner: Das Spiel der Großen kann das Leben der kleinen zermalmen. Egal wie sehr Adolf sich bekennt zu seinem Arbeitgeber und seinem Land, ihm widerfährt trotzdem diese schicksalhafte Handlung. Die Mächte machen am Ende die Deals, um eine Gesellschaft zu formen und zu lenken, aber nicht unbedingt um den einzelnen zu stärken.
Welche Fremdtexte sind diesmal in die Inszenierung eingebaut?
Hübner: Es gibt Auszüge aus dem „Herz der Finsternis“. Als Militärangehöriger war man in den Kolonialgebieten. Conrad offenbart, wie dünn der Firnis ist zwischen Zivilisation und absoluter kosmischer Destruktion, angerichtet durch den Menschen. Das ist ein gigantisches Menschheitsverbrechen.
Sie haben ja einen ideologischen und seelischen Heimatverlust durch das Ende der DDR erlitten. Verbindet Sie das mit Castorf?
Hübner: Schon. Frank ist meine Vatergeneration. Seelisch und altersmäßig. Er hat es schwer gehabt, aber eine große Karriere hingelegt. Die ganze Drangsal, das Unangenehme und Schreckliche an der DDR habe ich nicht erlebt, weil ich zu jung war.
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Am 4. Dezember folgt ja schon Ihre nächste Schauspielhaus-Premiere. Die verschobene Michael-Kohlhaas-Version von Studio Braun. Herrscht in „Coolhaze“ fröhliche Anarchie?
Hübner: Das ist die Gegenerzählung des Westens. Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk gucken sehr unterschiedlich alternativ auf die BRD-Erzählung. Das fasziniert mich als spätes Ost-Kind natürlich. In diesem Humor in seiner Verzerrtheit, Abgründigkeit und Banalität, liegt schon viel Irrsinn. Und gleichzeitig so viel Grauen. Das ist keine Karikatur sondern Realität. Und da treffen sich die Geister Frank Castorf und Studio Braun. Die wollen aber auch wirklich unterhalten. Das ist sehr präzise gearbeitet von Pointe zu Pointe. Eine Perlenkette. Wie ein Song. Anders als der englisch-afrikanische Dschungel, den Frank Castorf aufbaut.
Am 9. Januar 2022 folgt ja dann auch noch der letzte „Polizeiruf 110“ im TV mit Ihnen als Kommissar Sascha Bukow. Bereuen Sie das Aufhören schon?
Hübner: Nein, die Entscheidung ist ja drei Jahre alt. Das ist alles richtig. Es gibt ein Interesse an der Coolness so einer Figur, aber das ist kein lieber Mensch, kein Heilsbringer, sondern auch ein Rüpel und das haben wir elf Jahre lang erzählt und so wird er auch gehen – nämlich wie er kam.
„Es gibt kein größeres Glück als keinen Plan zu haben“, haben Sie kürzlich gesagt, wie ist es im Augenblick?
Hübner: Der Augenblick hat im Nebel viel Plan gefunden. Aber ich freue mich jetzt schon wieder sehr auf das nächste große weiße Blatt Papier, das auf mich zugesegelt kommt.
„Der Geheimagent“ Premiere Fr 12.11., 18.30, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 2G, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de