Hamburg . Am 2. Dezember liest die Schauspielerin am Ernst-Deutsch-Theater aus Texten von Selma Meerbaum-Eisinger.
Iris Berben, so viel ist sicher, ist eine Überzeugungstäterin. Sie hat etwas zu sagen, und sie scheut sich auch nicht davor, wenn der Gegenwind stärker wird. Sie hat – neben zahlreichen Bambis, Goldenen Kameras, Romys – Auszeichnungen für Zivilcourage erhalten, für Verständigung und Toleranz, Bundesverdienstkreuze (am Bande und Erster Klasse) und den Leo-Baeck-Preis, die höchste Ehrung des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Berben erhebt seit Jahren ihre Stimme
Vor allem gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus erhebt Berben seit vielen Jahren die Stimme. Sie hat schon aus Romanen der in Auschwitz ermordeten Schriftstellerin Irène Némirovsky gelesen, hat Anne Franks Tagebücher an einem Abend jenen von Goebbels gegenübergestellt, hat aus „Verbrannte Bücher und verfemte Komponisten“ vorgetragen. Am 2. Dezember bringt sie Texte von Selma Meerbaum-Eisinger, die 1942 mit 18 Jahren in einem Arbeitslager der Nazis starb, auf die Bühne des Ernst-Deutsch-Theaters. Ein Gespräch über Engagement, „Gutmenschen“ und Haltung.
Sie touren mit Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger. Warum gerade diese Texte?
Iris Berben: Selma Meerbaum-Eisinger hat, ähnlich wie Anne Frank, Gedanken notiert, die sehr kraftvoll sind. Sie haben mit Liebe zu tun, mit Sehnsucht und Angst, mit Natur, sie sind einfach wunderwunderschön. Es ist Weltliteratur, trotzdem ist Selma Meerbaum-Eisinger immer noch zu wenig bekannt. Ich möchte ihre Gedichte wieder ins Bewusstsein bringen. Man soll sich nach so einem Abend einerseits über die Biografie dieses Mädchens unterhalten. Aber man soll sich auch über die wunderbare Sprache austauschen. Der Abend soll anregen, auf mehreren Ebenen.
Welchen Zugang finden Sie zu den Texten einer 18-Jährigen?
Als mir das angeboten wurde, dachte ich im ersten Moment: das kann ich nicht sprechen, ich bin eine erwachsene Frau. Aber je länger ich mich mit den Texten beschäftigt habe, desto mehr bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass alles, worüber sie schreibt – Liebe, Sehnsüchte, Trauer – zeitlos ist. Diese Gefühle verlassen einen auch nicht im Alter.
Die Gefühle sind zeitlos. Die Zeit jedoch, in der sie von Selma Meerbaum-Eisinger niedergeschrieben wurden, ist essenziell für ihr Verständnis.
Unbedingt. Sie sind im Getto und im KZ geschrieben worden. Vielleicht ist es wie bei Anne Frank: Das Talent war bei beiden natürlich da, aber die ausweglose, grausame Lebenssituation scheint zu ermöglichen, dass ein so junger Mensch zu solcher Tiefe fähig wird. Das Wissen darum, dass es schon morgen vorbei sein könnte, scheint in den Texten eine zusätzliche Kraft zu bündeln.
Sie setzen sich schon seit sehr vielen Jahren gegen das Vergessen ein. Beobachten Sie Veränderungen? Gibt es neue, unerwartete Reaktionen?
Es hat sich vieles verändert. Die Theater sind weniger schnell voll, es gibt weniger Häuser, die solche Programme überhaupt noch machen wollen. Da ist eine Müdigkeit, sich mit der Thematik auseinandersetzen zu wollen. Das bemerkt man. Dabei ist das Thema wichtiger denn je. Es gibt viele, die sich offenbar allein gelassen fühlen mit ihren Ängsten und Sorgen. Und die Flüchtlinge werden für einige zum Argument, Ängste zu haben – und für andere zum Argument, Ängste zu schüren. Das Menschenfischen vom rechten Rand aus wird einfacher. Man darf gar nicht mehr vom rechten „Rand“ sprechen, diese Positionen sind ja immer mehr in die gesellschaftliche Mitte gerückt. Ein Grund, sich mehr denn je zu engagieren.
Sie predigen in Ihren Lesungen ja im Grunde zu den Bekehrten. Lässt Sie das manchmal verzweifeln?
Am Anfang hab ich das gedacht. Es hat aber etwas mit einer Haltung zu tun, zu so einem Abend zu gehen. Es ist eine Haltung, die man bewusst einnimmt und die man nach außen zeigt. Es ist wichtig, den Menschen solche Möglichkeiten zu geben. Auch die Möglichkeit, andere Menschen zu treffen, die diese Haltung teilen.
Und wer weiß, ob sich nicht doch der eine oder andere potenzielle Rechtsaußen-Wähler in solche eine Veranstaltung verirrt ...
Eben! Ich begreife es ja auch einfach nicht: Eine Politik abzuwatschen, indem man sich ausgerechnet einer Partei anschließt, die eher rückwärtsgewandt ist. Politikverdrossenheit mit Politikverdrossenheit bekämpfen? Man muss dieUnsicherheiten der Leute wirklich ernst nehmen. Ich glaube aber, man kann ihnen viel mehr zumuten. Keine dieser verdammten Wahlversprechen, sondern Wahrheiten. Man muss ehrlich sagen, dass sich die Welt verändern wird! Die Globalisierung kann ja nicht nur Gutes bringen, aber wir müssen auch lernen, mit dem Negativen umzugehen, neue Wege suchen.
Als in den 90er-Jahren die Asylantenheime brannten und ein rechter Mob dazu applaudierte, wurde das in der Öffentlichkeit anschließend weitgehend einhellig verdammt. Heute hat man manchmal den Eindruck, dass erst einmal die „Sorgen“ der Bürger gewürdigt werden, dass fast um eine Art Verständnis geworben wird. Wie beobachten Sie das?
Man muss die Sorgen unterscheiden: Manche haben Existenzängste. Das ist für jeden schlimm, natürlich, und das wird ja auf perfide Art und Weise auch noch geschürt. Viele aber müssen bloß mal aus ihrer Komfortzone. Ist halt alles so schön bequem gewesen, und jetzt muss man sich plötzlich bewegen. Es kann doch nicht wahr sein, dass in unserem Land mit 80 Millionen Einwohnern kein Platz sein soll für eine oder meinetwegen zwei Millionen Flüchtlinge! „Aufstand der Anständigen“, das klingt immer so naiv, aber das würde ich mir schon wünschen. Einen gesellschaftlichen Aufbruch, ein gemeinsames Gefühl. Ein „Wir“, das sich stark anfühlt. Und eine Politik, die endlich Möglichkeiten der Integration schafft.
Die Kombination der Wörter „Gut“ und „Mensch“ ergibt keinen positiv besetzten Begriff, sondern ist in der Regel als Beleidigung gemeint ...
So weit ist es mit unserer Sprache gekommen! Ich weiß ja, dass man es belächeln kann, wenn ich meine Lesungen gebe. Aber Worte haben Macht und Kraft. Sie können zerstören, sie können ermutigen, sie können zu Fragen führen. Das sollte man nicht unterschätzen.
Die Publizistin Carolin Emcke, die kürzlich den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam, hat in ihrer viel beachteten Rede zu mehr Zivilcourage aufgerufen. Dafür ist sie als „Margot Käßmann des Journalismus“ und ähnliches verspottet worden. Macht Sie so eine Reaktion wütend?
Ich kenne das ja. Es ist schmerzhaft, ich habe aber gelernt, meine Energien daran nicht zu verschwenden. Man muss es aushalten können. So eine Reaktion ist außerordentlich zynisch. Zynismus ist aber keine Antwort, sondern ein arroganter Zustand.
„Lieber politisch korrekt als moralisch infantil“, hielt Carolin Emcke ihren Kritikern entgegen.
Ein guter Satz!
Sie haben Erfahrungen mit Beschimpfungen und Anfeindungen. Kann man sich daran gewöhnen?
Ich versuche, es als Motivation zu nehmen. Es war mal weniger, aber ich merke, dass es wieder zunimmt. Kaum sage ich „Israel“, schreit einer auf. Und da traut man sich heute mehr. Ich bekomme zum Beispiel viel mehr Post mit Absender. Aus allen gesellschaftlichen Schichten. Es gibt Ärzte und Anwälte und Lehrer, die mir seitenlang schreiben, wie falsch ich liege, um es mal vorsichtig zu formulieren. Man schämt sich nicht mehr, man versteckt sich nicht mehr. Ich will aber nicht nachlassen, ich will dieses Terrain den anderen nicht überlassen.
„Ich bin aufgewachsen in dem Glauben, die Welt wird besser“, haben Sie mal gesagt. Und jetzt?
Jetzt möchte ich es mir verbieten, fassungslos und sprachlos zu sein. Es gibt zu viele, die sprachlos sind.
Sie wollen stattdessen „weicher“ werden. Wie meinen Sie das?
Ich bin im letzten Drittel meines Lebens angekommen. Diese Welt irgendwann mit dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu verlassen, das entspricht ganz und gar nicht meinem Lebensgefühl.
„Ich bin in Sehnsucht eingehüllt“ Iris Berben liest Texte von Selma Meerbaum-Eisinger, Hilde Domin, Paul Celan. Klavier: Martin Stadtfeld, Fr 2.12., 19.30 Uhr, Ernst Deutsch Theater, Karten: 37,-/18,50 unter T. 22 70 14 20