Hamburg. Mit seiner Fassung des Kinoerfolgs gelingt dem Ohnsorg ein großer Wurf – nicht nur, weil auf der Bühne Messer fliegen.
„Wer nichts wird, wird Wirt“, lautet eine dieser gern wiederholten Lebensweisheiten. „Wer wagt, gewinnt“, eine andere.
Zumindest die zweite These gilt seit dem Wochenende fürs Ohnsorg-Theater. Die Idee des Intendanten Christian Seeler, „Soul Kitchen“, den Kinoerfolg des türkischstämmigen Hamburger Regisseurs Fatih Akin und seines griechischstämmigen Freundes Adam Bousdoukos, als plattdeutsche Erstaufführung herauszubringen, erwies sich als voller Erfolg. Minutenlang feierte das Publikum die zehn Schauspieler, Regie und Bühnenbild sowie die Liveband.
Und wann gab es im Ohnsorg – ob früher an den Großen Bleichen oder seit knapp fünf Jahren am Heidi-Kabel-Platz – schon mal Messerwurf-Einlagen, laszive weibliche Stangenakrobatik, eine Masturbationsszene des Hauptdarstellers (hinter einem weißen Vorhang!) und strippende Polizisten zu erleben, ohne dass das Ganze peinlich wirkt, sondern die Story zusätzlich würzt? Liebe, Freundschaft, Kochkunst, Spekulantentum und heiße Musik, hier stimmt die Mischung, für die Regisseur und Autor Ingo Putz sowie Cornelia Ehlers (Dramaturgie und Übersetzung) mit reichlich Kunstgriffen verantwortlich zeichnen.
Im Unterschied zum Film steht die „Soul Kitchen“ nicht etwa in Wilhelmsburg, sondern mit einem Bühnenbild (von Yvonne Marcour) aus Bierkisten, Holztresen auf Rollen und Baugerüsten in St. Georg. Wirt und Betreiber Sino Feddersen (Holger Dexne) hat aus dem Ohnsorg ein Kneipenlokal gemacht, nachdem das Theater ins Deutsche Schauspielhaus schräg gegenüber gezogen ist – die Stadt hatte alle Kultursubventionen gestrichen.
Doch die Bar läuft mehr schlecht als recht: Reicht eben nicht, dass die einzige Bedienung, die treue Luzie (Kristina Bremer), den Kartoffelsalat aus Plastikeimern auf die Teller knallt und alles Fleischige, von der Frikadelle bis zum Schnitzel, in Sahnesoße aufgetischt wird. Und Stammgast Sokrates (Horst Arenthold) verlangt auch vergeblich nach „’ner heeten Gazpacho“, als Sino und Luzie mit Hein (Oskar Ketelhut) ein echter Meister der Kreativküche hilft. Dank des Kochs wird die „Soul Kitchen“ zum Szene-Restaurant. Auf der Karte stehen nun Gerichte wie „De Düüvel sien Klöten“ oder „De geele Gefahr“, und Musikerin Love (Love Newkirk) singt: „Let The Good Times Roll“. Von hier an ist das Publikum mittendrin statt nur dabei.
Diese musikalische Inszenierung läuft rund. Und die beiden Ohnsorg-Ensemble-Mitglieder Arenthold, allein schon ob seiner Leibesfülle in Fischerkittel oder Bademantel ein Ruhepol in der turbulenten Geschichte, und Ketelhut als Messer wetzender stoischer Koch sind als Nebenfiguren wahre Komik-Garanten und -Giganten.
Letztgenanntem rutscht als Hein gegenüber Sino nur einmal sein Küchengerät aus der Hand – beim Messerwurf. Dexne aber entwickelt als von der Liebe und von einem Bandscheibenvorfall geplagter Wirt nicht bloß heitere Facetten: Dass ein Bürgermeister wie Olaf Scholz in Reihe eins bei der Premiere das gereichte Bier zwar annimmt, aber sogleich zur Seite stellt, ist für Sino das geringste Problem. Er steckt in der Zwickmühle zwischen der Liebe zu seiner nach Shanghai abgewanderten Flamme und seinem aufdringlichen Bruder Linus (Tim Ehlert), der bei ihm als Freigänger aus der Haft Halt und immer wieder einen „Zwanni“ sucht. Als vom Bruder eingesetzter Geschäftsführer übertreibt es Linus, den Ehlert gekonnt als sympathischen Filou spielt, beim Pokerspiel mit Immobilienmakler Neumann, der auf das Grundstück scharf ist. So scheint die „Soul Kitchen“ Knall auf Fall den Besitzer gewechselt zu haben.
Tobias Kilian überzeichnet den Immobilienhai – Kennzeichen: getönte Brille, rosa Hemd und weiße Socken – ganz wunderbar. Wann heimst solch ein Kotzbrocken schon mal Szenenbeifall ein? Diesen Neumann lässt Regisseur Putz ebenso bewusst hochdeutsch sprechen wie dessen Freundin Tanja (Jenny Klippel, die Stangenakrobatin) und die Finanzbeamtin Schuster (mal scharf, mal überkorrekt: Kathrin Ost).
Das Personal und die Gäste der „Soul Kitchen“ sowie die Brüder Sino und Linus hingegen pflegen untereinander stets ihr Platt – ein weiterer geschickter Einfall des Regie-Teams: So kommt der Zusammenhalt der schrägen Figuren noch stärker zur Geltung, vor allem aber die Loyalität der Brüder.
Einziges Manko: In dieser „Soul Kitchen“ treffen sich bis auf die starke US-Sängerin Love Newkirk (die hier auch Platt spricht!) nur Deutsche. Im Film waren es auch Griechen und Türken. Das ist wohl auch fürs Ohnsorg noch Zukunftsmusik – obwohl Stammgast Sokrates hier mehr Gewicht hat.
„Soul Kitchen“ bis 3.4. und 9.–17.7., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 23,- bis 31,50 unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de