Hamburg. Zur 12. Hamburger Theaternacht öffneten 42 Häuser ihre Türen. Fast 12.000 Besucher erlebten Oper, Inklusionstheater, Komödie und mehr.
Schlange stehen hat ja was. Etwas Freudvolles, Erwartungsfrohes, manchmal auch Kommunikatives. Es gehört zur Hamburger Theaternacht, auch an diesem Sonnabend. Zum zwölften Mal öffnen die hiesigen Privat- und Staatstheater ihre Türen für einen langen Abend. Die Besucher können sich mit einem Ticket für 17 Euro pro Person in 42 Theatern ihrer Wahl Appetit für die neue Saison holen.
18.50 Uhr, Staatsoper. Wo ist hier bloß die Besucherschlange? „Aufgrund von Umbaumaßnahmen ist der Zugang nur über Colonnaden möglich“, künden Schilder von einem Umweg für Operngänger. Ob das der Grund ist, dass sich im großen Haus überraschend Lücken auftun? An den neuen Hausherren kann es nicht liegen.
19.01 Uhr: Georges Delnon und Kent Nagano, der neuer Opernintendant und der neue Generalmusikdirektor, begrüßen nach einem warmherzigen Applaus bei ihrer Theaternacht-Premiere das Publikum. „Vorhang auf für die neue Spielzeit, Vorhang auf für ein neues Kapitel in der Geschichte dieses Hauses“, sagt Delnon. Und Kent Nagano erläutert, wie viel „Kraft von der Equipe“ der Oper er bereits in den ersten Wochen bekommen habe. „Vielen Dank, dass Sie heute Abend gekommen sind“, sagt der Generalmusikdirektor zum Publikum. „Bravo!“, ruft ein Besucher im Parkett, bevor der Star-Dirigent im Orchestergraben überhaupt zum Stab gegriffen und die Philharmoniker mitsamt Chor und Extrachor der Staatsoper angeleitet hat.
Flüchtlingsthema wird aufgegriffen
Mit Bezügen zum aktuellen Flüchtlingsthema führt Delnon in die Eröffnungsproduktion „Les Troyens“ (Premiere: 19.9.) von Hector Berlioz ein. Er moderiert die konzertanten Ausschnitte mit drei Solisten. „Ich hoffe, Sie sagen: ,Das war aber zu wenig´“, wendet sich Delnon nach knapp 25 Minuten an die Zuhörer, „und Sie wollen mehr davon!“ Applaus. Der neue Intendant hat Sinn und Zweck der Theaternacht schnell verstanden: Neugier wecken, Hemmschwellen abbauen – und am besten gleich den Ticketabsatz ankurbeln. Im Foyer hat sich am Sonderkassen-Schalter eine Schlange gebildet.
Was aber kann bei der Theaternacht noch kommen?
19.45 Uhr, Jungfernstieg: Wegen des Alstervergnügens – eine bisher unbekannte Parallele zur Theaternacht – halten die 50 Sonderbuslinien diesmal am Speersort bei der St.-Petri-Kirche. Wer schnell zur Elbarkaden Lounge will, die erstmals an der Theaternacht beteiligt ist, steigt besser hinab zur U 4.
20.05 Uhr, Elbarkaden Lounge: Unweit vom Überseequartier ist die Schlange im Foyer mit Bar zwar sicht-, jedoch überschaubar. Auf dem Abendprogramm steht „Hamburg – Das Tor zur Welt in Sand gemalt“, bekannt aus „Das Supertalent“ (RTL). Mehr als 70.000 Menschen haben die Malerei hier schon live gesehen, moderiert Betreiber Wolfgang Mansen an. Der Saal ist mit 200 Menschen voll.
Es folgen 25 Minuten erstaunliche Peformance: Natalya Netselya kreiert auf einer beleuchten Glasplatte, per Kamera und Beamer übertragen auf eine 4 x 2 Meter große Leinwand, mit Sand immer wieder neue Hamburger Stadtbilder. Ein paar Striche reichen, um Große Freiheit, Reeperbahn, Fernsehturm oder Elbphilharmonie zu zeichnen, untermalt von stimmiger Musik. Mit einem Wisch ist zwar nicht alles weg, dieser reicht indes, um die „Queen Mary“ aus dem Hafen aufs Meer und schließlich in eine Buddel zu setzen. Großer Beifall, ehe sich die Perfomance-Künstlerin aus Moskau in ihrem roten Abendkleid fast schüchtern dafür bedankt.
„Wir haben die Sandmalerei nicht erfunden und könnten auch nicht allein von Hamburger Gästen leben“, sagt Mansen, „aber mit mehr als 1000 Leuten heute ist unsere erste Theaternacht voll gelungen.“ Schon am Nachmittag hatte die Elbarkaden-Lounge im Saal 2 mit „Das Dschungelbuch“ als Teil des Theaternacht-Kinderprogramms Jung und Alt angelockt.
21.35 Uhr, Hamburger Sprechwerk in Borgfelde. Hier stehen Salman Rushdies brisante „Satanische Verse“ auf dem Programm. Eigentlich. Gespielt werden verschiedene Szenen – von einer Ausstellungseröffnung bis zum Musical „Cabaret“ –, für die am Ende zwölf Darsteller, darunter auch Rollstuhlfahrer, Applaus bekommen. Manche Besucher hatten – wohl etwas irritiert – den 150-Plätze-Saal mit den harten Holzstühlen während der Collage verlassen. Auf der Bühne hat die Minotauros Kompanie agiert, eine Einrichtung der Elbe-Werkstätten, die Theater und Inklusion verbindet. Andreas Lübbers vom Sprechwerk erklärt dass zwei Schauspieler der „Satanischen Verse“ im Theater Das Zimmer in Horn kurzfristig einspringen mussten.
Ergreifende Liebesszenen in der Komödie Winterhude
22.31 Uhr, Komödie Winterhude. Der letzte Set von „Schau mir in die Augen, Kleines“ im großen Saal hat begonnen. Sonja Dengler und Gunnar Titzmann spielen zum dritten Mal an diesem Abend die zehn ergreifendsten Liebesszenen der Theater- und Filmhistorie – von „Romeo & Julia“ bis „Casablanca“. Regisseurin Ayla Yeginer („Mutti“) hat das 15-Minuten-Stück eigens für die Theaternacht geschrieben. „Es ist spannend zu sehen, wo gelacht wird“, sagt sie. „Beim ersten Mal waren es derbe Lacher, beim zweiten Mal extrem intelligente Lacher, und beim dritten Mal war es durchmischt.“ So wie das Programm und das Wetter bei der Theaternacht 2015, die diesmal gut 12.000 Menschen besuchten, 2000 weniger als im Vorjahr.