Hamburg. Hamburgs größte Spielstätte feierte mit einem Klassikabend eine vielversprechende Premiere. Am Ende gab es begeisterten Beifall.
Eine klassische Theater-Eröffnung war das nicht, trotz Eröffnungsrede und Bauherrenstolz und Rest-Stress auf den allerletzten Metern. Doch ein klassisches Haus soll und will das Mehr! Theater auch gar nicht sein, das zeigt neben der Wahl des Standorts in einem Abschnitt der denkmalgeschützten Großmarkthallen das angekündigte Programm, in dem neben Entertainment-Shows und Popkonzerten auch Musicals geplant sind. Und deswegen: erster Abend, roter Teppich, volle Lotte. 30 Millionen Euro Umbaukosten nach 15 Monaten. Keine Verspätung, keine Preisexplosionen, nicht mal ein harmloses Preisböllerchen. Da durfte, sollte, musste es zur Feier des Tages Klassik geben. Repräsentativ, druckvoll und schön groß besetzt wurde an diesem Sonnabend das neue, größte Multifunktions-Event-Theaterhaus Hamburgs eröffnet.
Maik Klokow, bis 2008 Kronprinz im Stage Entertainment-Musicaluniversum und mittlerweile Chef des Mehr! Entertainment-Konzerns, hat kurz vor den ersten Akkorden von Tschaikowskys 1. Klavierkonzert bei seiner Begrüßungsrede sogar das gute Rhetorikbesteck für Lokalpatrioten herausgeholt: Die Verpflichtung des London Symphony Orchestra – kurz LSO – sei eine Anspielung darauf, dass die britische Metropole olympischer Austragungsort gewesen war.
Saal ist konsequent abgedunkelt
Während vorher, draußen vor der Tür in direkter Sichtachse zuwartend, die Elbphilharmonie-Baustelle im purpurnen Abendlicht dezent daran erinnerte, dass der Baukonzern Hochtief nicht immer so pünktlich mit dem Liefern von Leistungen war wie auf dem Großmarkt-Gelände, spazierten 2400 Menschen neugierig durch das Garderobenabgabegewusel im Foyer in den sehr konsequent abgedunkelten Saal, der weitgehend so gut wie fast vollendet war. Und nicht nur „normales“ Publikum war neugierig auf diese neue Bühne mit ihrem spektakulär großem Platzpotenzial: Mehrere örtliche Veranstalter aus allen Genre-Geschmacksrichtungen waren gekommen, um sich mit eigenen Augen und Ohren einen ersten Eindruck zu machen.
Denn wenn in Bälde das CCH wegen Sanierung wegfällt, kommt eine Alternative und Ergänzung zu den etablierten Spielstätten jedem Anbieter sehr gelegen, wenn er bis zu 3500 Menschen unterbringen möchte. Sogar einige Fachkräfte aus der Boxsport-Branche hatten ihre muskulären Trainingserfolge in Abendgarderobe gezwängt und saßen tapfer knapp zwei Stunden Klassikbeschallung durch. Am Bühnenrand standen – kleiner Willkommensgruß von den Großmarkt-Nachbarn? – einige Obstkistchen, so praktisch in Griffweite, dass sich im Dreivierteldunkel des Konzertabwartens mehrere Damen mit verstohlenem Konfirmandinnenkichern bei den Gratis-Vitaminen bedienten.
Ein "Moin, moin!" mit englischem Akzent
Statt Brot und Salz zum Einzug ins neue Haus gab es vom Orchester vor Konzertbeginn einen symbolischen Violinschlüssel und ein synchron gerufenes „Moin, moin!“ mit englischem Akzent für Klokow und seine Theaterchefin Nathalie Heinrich. Als Bodydoubles für das LSO aus London hatte Heinrich vor einigen Tagen das WSO aus Wandsbek in den Bühnenkasten gesetzt, um die Gegebenheiten der Akustik auszutesten.
Das Ergebnis konnte sich gut hören lassen, denn das Klangangebot erwies sich am Premierenabend, mit voll gefüllten Sitzreihen bis unter das sehr hohe Dach, als erstaunlich detailklar. Kein Musik-Mus, kein Nachhall vom Feinsten wie in einer regulären Konzerthalle, aber die Bühnen-Seitenwand-Konstruktion sorgte erfreulich gut dafür, dass – ohne elektronische Verstärkung! – nichts übermäßig klumpte oder die Symphonik ins Unanhörbare kippen ließ. Und mit dem LSO hatten Klokow und Heinrich sich ein Orchester engagiert, das zu den belastbaren, zuverlässig guten Klangkörpern in Europa zählt.
Hyperaktiver Mittelklasse-Gastdirigent
Gianandrea Noseda entpuppte sich allerdings als gediegener und hyperaktiver Mittelklasse-Gastdirigent, der Solist Roman Zaslavsky erwies sich als austauschbarer Pflichtstück-Abarbeiter. Einen Tod muss man sterben, kommentiert der Volksmund so ein Personal. Doch das war für die gute Laune im Saal bei dieser Eröffnungsfeier unerheblich. Hauptsache Tschaikowskys beliebtes Klavierkonzert, die Ausgestaltung war Manövriermasse, großer Notenverschiebebahnhof, sozusagen.
Noseda, ein Freund der sehr demonstrativen Dirigiergesten, gelang es auch nach der Pause nicht, das Orchester mit seiner Anwesenheit im Rampenlicht aus dem Konzept zu bringen. Die Londoner lieferten eine handwerklich sehr solide Interpretation von Schostakowitschs Fünfter ab, ausgerechnet jene Symphonie, die mit ihrem demonstrativen Jubelfinale ein Paradebeispiel für die Doppelbödigkeit der Macht von Musik ist.
Am Ende gab es begeisterten Beifall und – weil es ein so beliebtes Ritual für durchreisende Orchester ist – einen Ungarischen Tanz des Hamburgers Brahms als Zugabe. So war das also, an diesem ersten Abend der Großmarkt-Bühne. Und demnächst an dieser Stelle unter der formschön geschwungenen Dachwelle: Achim Reichel, ebenfalls eine Hamburger Musik-Legende.