Hamburg. Die Künstler schilderten die „documenta fifteen“ aus indonesischer Perspektive und bekam dafür viel Kritik aus dem Publikum.

Wie wichtig, aber auch wie schwierig es ist, eine gemeinsame Sprache zu finden, um die Ereignisse der skandalträchtigen „documenta fifteen“ zu begreifen und zu verarbeiten, zeigten zwei Veranstaltungen im Rahmen des Symposiums, die am Donnerstag an der Hochschule für bildende Künste Hamburg stattfanden.

Reza Afisina vom Künstlerkollektiv ruangrupa und Hestu A. Nugroho vom Künstlerkollektiv Taring Padi, das das umstrittene Banner „People’s Justice“ gezeigt und nach Protesten wieder abgehängt hatte, diskutierten mit dem Publikum über „Die documenta fifteen aus indonesischer Perspektive“.

documenta fifteen: Kuratoren lösen Antisemitismus-Debatte aus

Entschuldigungen wegen verletzter Gefühle, ausgelöst durch antisemitische Symbole im Bild, hatte es schon in Kassel gegeben. Auf dem Podium, das von der Kulturjournalistin Kate Brown moderiert wurde, sollten sich die Verantwortlichen nun erklären: Warum tauchen auf dem Banner überhaupt Davidstern und SS-Rune neben Zuschreibungen von CIA, Mossad und einer Kampfeinheit des indonesischen Diktators Suharto auf, und wie kann es sein, dass solch ein Bild ausgerechnet auf Deutschlands größter Kunstausstellung mit internationaler Strahlkraft gezeigt wurde? Fragen, die die Öffentlichkeit schon seit Sommer 2022 bewegen und bisher unbeantwortet blieben.

Das 2001 entstandene Werk sei auch heute noch aktuell, da es Menschenrechtsverletzungen durch militante Regime und Kolonialismus weltweit anprangern soll, erklärte Nugroho. Ihm sei die konkrete Bedeutung der hier als antisemitisch bezeichneten und wahrgenommenen Symbole nicht bewusst gewesen. Diese Äußerung löste Empörung in der Aula aus; was denn diese Symbole sonst ausdrücken sollten, fragte eine Zuhörerin aufgebracht. Eine andere wollte wissen, ob Taring Padi nach diesem Skandal „People’s Justice“ jemals wieder ausstellen würden. Der sichtlich durch dieses Kreuzverhör in die Enge getriebene Künstler antwortete nach einer langen Pause „Ich weiß es nicht“ – was für noch größeren Unmut im Publikum sorgte.

ruangrupa „wusste kaum etwas über die Geschichte des Landes“

Ihm zur Seite sprang Afisina, der dieses „Missverständnis“ aufklären wollte: „Wir haben in Indonesien nicht dasselbe Bewusstsein und dementsprechend auch nicht dasselbe Vokabular wie in Deutschland oder Europa für die Anfeindung von Juden. Indonesien unterhält keinerlei Beziehungen zum Staat Israel.“ Kuratorische Verantwortung für die Zulassung des Banners übernahm er nicht. Man sei aber offen dafür, von anderen Kulturen über Antisemitismus zu lernen. „Encounter“ (Begegnung) sei übrigens ruangrupas gesamtkünstlerisches Konzept für die „documenta fifteen“ gewesen.

Dieses Konzept sei ja offensichtlich gescheitert, intervenierte Brown. „Es war ein Versuchslabor, wir wussten nicht, ob dieses Ökosystem funktionieren würde“, so Afisina. Bevor ruangrupa gefragt wurde, die documenta künstlerisch zu leiten, hätten die Kollektivmitglieder kaum etwas über die Bedeutung der Ausstellung oder über „das Kräfteverhältnis und die Geschichte des Landes gewusst“.

Antisemitismus müsse global verstanden werden

Diese kaum vorstellbare und naiv klingende Erklärung wurde im anschließenden Panel „Antisemitismus und Postkolonialismusforschung: eine (global-)geschichtliche Debatte“ gleich aufgegriffen. „Ich war immer der Meinung, dass Antisemitismus global verstanden wird und nicht länderspezifisch“, sagte Jürgen Zimmerer, Professor für Globalgeschichte. Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums, betonte, man müsse mit diesem „Clash of Cultures“ konstruktiv umgehen.

Das Banner habe einen solchen Skandal ausgelöst, weil „es viel bequemer ist, sich mit dem Rassismus oder Antisemitismus in anderen Kontexten zu beschäftigen. Unbequemer wird es, wenn wir uns mit Rassismus in Deutschland beschäftigen und in politische Debatten kommen.“