Hamburg. In „Sommergäste“ blickt die Hamburgerin Agnes Krup auf vertrackte Beziehungen, es geht um Menschen und (präparierte) Vögel.
Sonnenuntergänge seien ja „ganz schön“, bemerkt Charlotte gewohnt selbstgefällig, „aber doch eher etwas für Maler.“ Die Amerikanerin Charlotte ist Schriftstellerin, und schreiben, beschließt sie, lässt es sich am besten bei Nebel. Den gibt es verlässlich auf der kanadischen Insel Rockcliff Isle, auf die sich Charlotte und ihre Gefährtin Ellen – eine Bildhauerin und die eigentliche Hauptfigur der Geschichte – zwischen den Weltkriegen regelmäßig zurückziehen. Sie sind dort „Sommergäste“, so wie es die Hamburger Autorin Agnes Krup auf dem tatsächlichen Atlantik-Eiland Grand Manan war, dem sie die Inspiration für den so benannten Roman verdankt. Es ist ihr zweiter, und die Witterung spielt eine maßgebliche Rolle.
Witterung, Landschaft, Fauna. Agnes Krup ist eine gründliche Beschreiberin der Natur. Vor allem Vögel haben es ihr und ihrer Protagonistin Ellen angetan – die meisten allerdings sind tot. Gleich zu Beginn trifft es ein besonders prächtiges Exemplar, einen verirrten Albatros, den der eigenbrötlerische Inselbewohner Crawford Maker schießt und – nein, nicht „ausstopft“, wie es nur Unkundige formulieren, sondern „aufstellt“.
Autorin beschreibt ausführlichst, wie man Tiere präpariert
„In der Taxidermie muss jedes Detail stimmen“, lernt Ellen und den Sinn für Detailgenauigkeit hat sich auch Agnes Krup zu eigen gemacht. Taxidermie? Die Kunst der Tierpräparation. Nur ein Beispiel für ornithologisches Vokabular, das einem recht bald vertraut wird. Nicht jeder dürfte vor der Lektüre viel vom „Abbalgen“ verstanden haben; ein „Balg“ aber ist nicht nur ein verzogenes Kind, sondern auch eine Tierhaut. Ein Vogelkörper, entfettet, mit Arsenik zum Konservieren vergiftet.
Ein verblüffend faszinierendes Handwerk, das die Autorin ausführlichst nachzeichnet. Der präparierte Albatros soll wieder zum Fliegen gebracht werden, die Vogelverehrung aber reicht auch bis in scheinbare Nebensächlichkeiten: Mal ist eine Teekannenhaube (ein liebenswert altmodisches Requisit übrigens) mit einem Wellensittich bestickt, mal wird die Größe eines Kunstwerks in Vogelmaßen angegeben: „Nicht größer als ein Seeadler, nicht kleiner als ein Papageientaucher“.
Vordringlich aber geht es um die Entfaltung einer Frau, um weibliche Freiheiten grundsätzlich, Frauen, die sich aufschwingen aus beengten Rollenvorstellungen und die doch nicht gänzlich frei sein können. Die lesbische Liebe zwischen Ellen und Charlotte wird als solche nie konkret benannt, die Verbindung erweist sich eher nebenbei als Problem zeitgebundener Konventionen.
Agnes Krup schildert die vertrackte Dreiecksgeschichte über Jahre
Komplizierter ist das Verhältnis zwischen Künstlerinnen, Ellen ordnet der Vertrauten die eigenen Leidenschaften unter: „Zwei Künstler in einem Haushalt, fand Charlotte immer, sei auf jeden Fall einer zu viel.“ Die Umstände und ihre jeweiligen Talente führen die Frauen und den unglücklichen Mr. Maker vom Nordatlantik bis in den Kongo, gesucht wird nach seltenem Flügelgetier, nach der Liebe und dem eigenen Platz im Leben.
Über viele Jahre und Schauplätze schildert Agnes Krup die vertrackte Dreiecksgeschichte, „Sommergäste“ ist eine Langzeit-Beobachtung. Sinnlichkeit findet sich weniger zwischen Menschen als in bildreichen Natur- und Handwerksbeschreibungen. Doch folgt man den Figuren meist gern. Zumal in einem Sommer ausgebremster (Fern-)Reiselust: Dieses Buch sollte man am Meer lesen und sich vorstellen, die schnöde kreischenden Ostsee-Möwen wären Albatrosse – „Sommergäste“ ist nicht die schlechteste Art, sich die Zeit bis zum nächsten Sonnenuntergang zu vertreiben.