Hamburg. Das Kinderbuch „Wolf“ von Saša Stanišić in einer sehenswerten Bühnenfassung. Die Musik sorgt für eine interessante zweite Ebene.
Vielleicht ist das Allerschlimmste am Mobbing gar nicht, selbst gemobbt zu werden. Vielleicht ist das Allerschlimmste, zuzusehen, wie ein Freund gemobbt wird, und nichts zu unternehmen, weil man Angst hat, selbst zur Zielscheibe zu werden. Saša Stanišić erzählt in seinem Kinderbuch „Wolf“ von Kemi, der (mehr oder weniger lustlos) ins Ferienlager geht und dort miterlebt, wie sein Zimmergenosse Jörg drangsaliert wird. Jemanden wie Jörg gibt es halt immer. Einen Typen, der zeichnet, der gerne wandert, der gar nicht wirklich „anders“ ist, sondern bei dem entschieden wird: Der ist jetzt das Opfer. „Andersig“ sei Jörg, so beschreibt Stanišić das, Jörg wird anders gemacht.
Theater Hamburg: Camilla Ferraz zeigt ihre erste eigene Inszenierung
Camilla Ferraz, bislang Regieassistentin am Thalia Theater, hat für ihre erste eigene Inszenierung am Haus „Wolf“ für die Bühne adaptiert – als kleinformatiges, sympathisches Jugendtheater, das sich auf seine Schauspieler verlassen kann. Johannes Hegemann ist als Kemi ein Typ, der irgendwie nicht in seine Haut passt, der zu groß ist und zu dünn, und der seine Unsicherheit hinter bitterem Sarkasmus zu verstecken weiß. Steffen Siegmund als Jörg ist ein eigentlich netter Junge, der das Richtige machen will, das aber irgendwie nie zu 100 Prozent hinbekommt.
Und dazu bereitet Clara Brauer als Vertreterin der Erwachsenenwelt die Basis, indem sie die Handlung vorantreibt: Ihre Betreuerin erfindet jeden Tag neue Ideen, die den Jugendlichen ihr Bloß-nicht-Auffallen verunmöglichen, Nachtwanderung, Schmetterlingssafari, Klettern.
Theater Hamburg: Die Musik sorgt für eine interessante zweite Ebene
Dass Brauer darüber hinaus auch noch eine Mitschülerin darstellt, die die beiden Jungs irgendwie gut finden, wäre eigentlich gar nicht nötig – im Grunde ist die Welt, die Stanišić beschreibt, abgeschlossen zwischen Kemi und Jörg. Dass Brauer darüber hinaus aber auch noch die Musik verantwortet, sphärischen Dreampop, mit dem die Performerin unter dem Namen „Clarks Planet“ bekannt ist, zieht dem Abend allerdings eine interessante zweite Ebene ein.
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Kemi stolpert also über Nadin Schumachers abstrakte Bühne, versucht irgendwie, mit den Ärgernissen der Jugend zurechtzukommen, traut sich an ein paar hilflose Rettungsversuche für Jörg (wobei gar nicht immer klar ist, ob der überhaupt gerettet werden muss), streitet sich mit dem Koch (ebenfalls Siegmund, mit Mut zum derben Humor) und begegnet irgendwann einem Wolf, der Traum sein könnte oder Realität, Bedrohung oder Beschützer. Oder womöglich alles zusammen.
„Wolf“ wieder am 9., 20., 24. Oktober, 6. und 10. November, jeweils 19 Uhr, Thalia in der Gaußstraße (Garage), Gaußstraße 190, Tickets unter T. 32814444, www.thalia-theater.de