Berlin. Tom Schilling über die Neuverfilmung von „Das fliegende Klassenzimmer“, über seine eigenen Lehrer – und seine Anfänge als Kinderstar.
Erich Kästner scheint zeitlos. Gerade seine Kinderbücher. Die gehören längst zu den populärsten ihres Fachs und erfreuen sich bis heute hoher Auflagen. Sie werden aber auch immer wieder neu verfilmt. Wie jetzt „Das fliegende Klassenzimmer“, das am 12. Oktober in die Kinos kommt. Es ist bereits die vierte Verfilmung. Und diesmal spielt Tom Schilling die Rolle des beliebten Lehrers Dr. Bökh, nach Paul Dahlke in der Version von 1954, Blacky Fuchsberger 1973 und Ulrich Noethen 2003. Jede Generation scheint damit also sein eigenes „Klassenzimmer“ zu bekommen. Und für Tom Schilling ist es ein interessanter Anknüpfungspunkt, erfolgte sein Durchbruch doch auch mit einem Internatsfilm, „Crazy“. Und erst vor zwei Jahren hat er in Dominik Grafs gefeierter Verfilmung von Kästners Erwachsenen-Roman „Fabian“ die Titelrolle gespielt. Wir sprachen den 41-Jährigen kurz vor der Berlin-Premiere des „Klassenzimmers“ am 1. Oktober in der Kulturbrauerei.
Herr Schilling, nach „Fabian“ spielen Sie nun in der Neuverfilmung von „Das fliegende Klassenzimmer“. Lässt Erich Kästner Sie nicht los?
Tom Schilling: Vielleicht fehlt den Entscheidungsträgern ein wenig die Fantasie. Und dann werden sie durch solche Filme auf Ideen gestoßen. Das kann ich mir schon vorstellen. Aber auch wenn ich den „Fabian“ nicht gespielt hätte, hätte ich diese Besetzung nicht verkehrt gefunden. Ich habe ja schon mal einen Kinderfilm gemacht, „TKKG“, da spielte ich einen Vertrauenslehrer. Der entpuppte sich zwar als Bösewicht. Aber da habe ich schon mal zeigen dürfen, dass ich etwas Zugewandtes, Einfühlsames ausstrahle.
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Auch Dominik Graf hat sich ja nach „Fabian“ jetzt mit seiner Dokumentation „Jeder stirbt für sich allein“ mit inneren Emigranten und damit auch mit Kästner beschäftigt.
Den habe ich auch kürzlich gesehen. Und Fun Fact am Rande, passt ja gut in diesem Zusammenhang: Da erfährt man, dass ausgerechnet vor Kästner, diesem großen Kinderbuchautor, Kinder in Sicherheit gebracht werden mussten. Weil er ein ausgesprochener Kinderhasser war.
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Haben Sie denn selber Erich Kästner als Kind gelesen, sind Sie mit seinen Büchern aufgewachsen?
Nein, bin ich nicht. Ich habe bestimmt mal einen Film gesehen, „Das doppelte Lottchen“ oder auch „Das fliegende Klassenzimmer“. Meine Eltern hatten aber nicht viel Kästner zu Hause stehen. Ich habe mich erst in der Zeit, als ich „Fabian“ gedreht habe, richtig mit Kästner beschäftigt. Vor allem mit seinen großartigen Gedichten. Von denen bin ich Fan!
Und wie ist das mit Ihren Kindern? Wird da Kästner gelesen? Oder ist das heute nicht mehr en vogue?
Ich involviere ja gern mein Berufsleben ins Privatleben, wenn das möglich ist. Und kann dann schon mal ausprobieren, wie das wirkt, wie die Kinder darauf reagieren, ob das bei ihnen was auslöst. Damit bereite ich mich selbst schon mal vor und schlage zwei Fliegen mit einer Klappe. (lacht) Ich habe ihnen das Buch also in Vorbereitung auf den Film vorgelesen. Aber sonst keinen Kästner, nein. Ich habe mal einen angefangen, aber die Kinder sind da schwer reingekommen. Wir haben dann zu einem anderen Buch gegriffen. Man muss sich schon einlassen auf Kästner. Aber wenn man es tut, ist es ganz toll. Inhaltlich, und was damit vermittelt wird. Aber die Sprache ist halt sehr altmodisch.
Es gibt schon drei große Verfilmungen vom „Klassenzimmer“. Kennen Sie sie, gibt es da einen Liebling?
Als Vorbereitung habe ich mir nur den vor 20 Jahren angeschaut, mit Frederick Lau. Die anderen kenne ich nicht. Aber offenbar bietet sich das für jede Generation an, dass sie ihr eigenes „Klassenzimmer“ bekommt. Und wenn die Filme nicht funktioniert hätten, hätte man sie nicht immer neu verfilmt. Das ist zu einer kleinen, süßen Tradition geworden. Wo man schauen muss, wie lange sie noch anhält. Und ob wir sie fortsetzen können.
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Hübsch ist auch Hannah Herzsprung im „Fliegenden Klassenzimmer“. Deren Vater hat ja selbst in einer früheren Verfilmung mitgespielt.
Jaja, der schöne Theodor in der 73er-Verfilmung! Das habe ich aber auch nur durch Zufall rausbekommen, als ich mal geschaut habe, wer in den alten Filmen so mitgespielt hat. Daraus hat Hannah aber kein großes Ding draus gemacht.
Ursprünglich war der Film schon für 2020 angekündigt, damals noch mit Daniel Brühl und Sandra Hüller Was ist da passiert? Ist das ein Corona-Opfer?
Gut möglich. Bei Drehverzögerungen gibt es dann immer ein Besetzungskarussell. Das gab es hier auch später noch mal. Ich war schon angefragt. Aber als der Film dann gedreht werden sollte, war ich schon in einem anderen Projekt und hatte keine Zeit. Da wurde sicher noch ein anderer angefragt. Dann musste der aber noch mal verschoben werden. Und dann war ich wieder dabei. Damit schließt sich jetzt ein Kreis nach „Fabian“. Aber das ist alles kein großer Plan. Sondern, wie so oft beim Film, ganz viel Zufall.
Was gleich auffällt: In Ihrer Verfilmung ist alles anders. Ein bewusst neuer Akzent?
Ja, wir wollten das betont anders machen. Wir haben kein Jungen-, sondern ein gemischtes Internat. Wir haben ein Mädchen als Hauptfigur. Und es gibt sehr diverse Mitschüler. Ich muss aber gestehen: Ich erzähle das jetzt nur aus der Erinnerung. Ich habe seither einen anderen Film gedreht und bin für den nächsten in Vorbereitung. Aber das „Klassenzimmer“ habe ich noch gar nicht gesehen. Das kommt jetzt erst zur Premiere.
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Wie war die Zusammenarbeit mit Kindern? Viele Schauspieler fürchten sich ja davor, weil Kinder unberechenbar sind.
Das ist mit ihnen nicht anders als mit erwachsenen Schauspielern. Das vergisst man nur oft beim Drehen. Ich aber nicht. Das ist ja der Hauptteil der Vorbereitung, dass ich versuche, eine Verbindung und Nähe mit anderen aufzubauen, mit denen ich eine Szene spiele. Ansonsten kann es kein Schauspieler schaffen, das verständlich rüberzubringen. Wenn dich einer zwischen den Takes nicht mit dem Arsch anschaut, ist das nicht herzustellen. Je natürlicher, je organischer es zwischen Dreh und Drehpause zugeht, desto besser wird die Performance vor der Kamera.
Hilft es, dass Sie selbst als Kinderdarsteller angefangen haben?
Klar. Ich habe dafür total das Herz. Und muss mich da auch gar nicht anbiedern. Ich bin immer auf der Seite der Kinder. Und auf der Seite von denen, die gerade vor der Kamera stehen. Denn dieser Druck, das ist wie Hochleistungssport. Deshalb hatte ich auch immer volles Verständnis, wenn ein Kind gerade mal nicht konnte. Denn wir sind ja alle keine Roboter. Ich habe dann immer ein bisschen Quatsch gemacht und versucht, in ein Arbeitsfeeling reinzukommen.
Hat man das mit Ihnen auch gemacht, als Sie Kinderdarsteller waren?
Das hätte ich mir total gewünscht. Aber ich musste merken, dass das oft gar nicht der Fall ist. Der alte Spruch „Der Fisch stinkt vom Kopf her“ passt da leider genau. Film ist ja hierarchisch. Und wenn der Head of Departments nah an den Menschen ist und den Film nicht nur als Produkt sieht, das schnell gedreht werden muss, der schafft ein ganz anderes Klima. Deshalb musst du sehr genau darauf achten, mit wem du arbeitest. Das habe ich schon als Kind gelernt: Dass man am Berliner Ensemble ganz anders mit mir gearbeitet hat als etwa bei einer Folge „Für alle Fälle Stefanie“ bei Sat.1. Da habe ich schon viel Erfahrung sammeln dürfen, was es heißt, sich selbst zu beschützen.
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Sie sind dann mit einem Internatsfilm bekannt geworden. Und haben später noch lange Schüler gespielt, auch als Sie längst aus dem Alter raus waren. Jetzt sind Sie der Vertrauenslehrer. Sind Sie damit endgültig in der Erwachsenenliga angekommen?
(lacht) Ich denke, ja. Aber so viele Schüler waren das auch gar nicht. Das hat mich schnell nicht mehr erfüllt. Natürlich konnte ich mit meinem Aussehen immer sehr gut viel jünger spielen, das kann ich auch heute noch. „Werk ohne Autor“ etwa habe ich mit 35 gedreht. Und da spielte ich einen Künstler, dessen Geschichte als 16-Jähriger begann, und spielte hoch bis 42. Ich kann da die ganze Bandbreite ausfüllen. Aber das hat sich für mich relativ schnell abgenutzt. Weshalb ich ab Mitte 20 keine Coming-of-Age-Filme mehr gemacht habe. Ich habe dann eher Woyzeck und den jungen Hitler bei Tabori gespielt.
Wenn man Kinder hat, dreht man Kinderfilme wie „TKKG“ und „Das fliegende Klassenzimmer“ dann auch, um die eigenen Kinder ein bisschen zu beeindrucken? Und auch Filme mit ihnen gemeinsam schauen zu können? Viele Erwachsenendramen können sie ja erst viel später schauen.
Nö! Daran denke ich überhaupt nicht. Das ist ein netter Nebeneffekt, dass die mal einen schauen. Aber danach suche ich meine Filme nun wirklich nicht aus. Bei der Arbeit denke ich gar nicht an meine Kinder. Wenn ich sie „brauche“ für meine Arbeit, um etwas aus mir herauszuholen, benutze ich natürlich all das, was ich an Erfahrungen gesammelt habe: von mir selbst als Kind, aber auch von meinen Kindern. Das fließt dann in eine Rolle ein. Aber sowie ich am Set bin, bin ich ganz selbstvergessen in dieser anderen Realität.
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In Deutschland wird viel debattiert über die Bildungsmisere, fehlende Lehrer und die verheerenden Zustände von Schulen. Ist „Das fliegende Klassenzimmer“ eine Idealvorstellung, wie Schule sein sollte? Wie auch Lehrer sich um Schüler kümmern sollten?
Ja, unbedingt. Der Dr. Bökh, den ich da spiele, ist so ein Lehrer, wie wir ihn vielleicht alle gern gehabt hätten. „Justus, der Gerechte“, heißt er im Buch. Das ist für Kinder ja ganz wichtig, dass jemand da ist, der fair ist und zuhört und sich selbst dabei ganz zurücknimmt. Lehrer ist ein harter Job. Und ich fürchte, die wenigsten sind prädestiniert, ihn zu machen. Daher sollte man den Berufsstand auch ganz hoch achten. Ob der Putz bröckelt in der Schule, finde ich nicht so wichtig. Aber wer auf die Kinder losgelassen wird, ob die wirklich fähig sind, mit Kindern umzugehen und die Geduld aufbringen, das ist ganz entscheidend. Und daran hapert es oft.
Hatten Sie einen Lieblingslehrer, einen Justus Bökh?
Ja, Herrn Werner. In politischer Weltkunde und Geschichte. Der war leidenschaftlich, zugewandt. Vielleicht war das auch ein Vorbild für meine Rolle. Wenn, dann war das aber nur unbewusst. Ich habe auch aus dem schönen Dokumentarfilm „Herr Bachmann und seine Klasse“ ganz viel Inspiration gefunden, wie ein Lehrer heute sein sollte. Aber wenn man sich so zurück erinnert: Man hat ja doch ziemlich viele Lehrer während der Schulzeit. Wenn man sich da nur an einen oder zwei gern erinnert, ist das doch ganz schön wenig.