Berlin. Grandioses Regiedebüt einer Berlinerin: Steffi Niederzolls Dokumentarfilm über eine Hinrichtung im Iran, die hohe Wellen schlug.
„Ich bin 26. Ich soll erhängt werden. Aber das macht mir keine Angst. Alle sollen meine Geschichte hören.“Der schockierende Fall von Reyhaneh Jabbari ging um die Welt. 2014 wurde die Studentin mit nur 26 Jahren hingerichtet.Weil sie in Notwehr einen Mann getötet hat, der sie vergewaltigen wollte. Sieben Jahre hat sie dafür im Gefängnis gesessen, sieben Jahre hat ihre Familie für ihre Freilassung gekämpft.
Doch der Mullah-Staat verdrehte die Wahrheiten, um ein Exempel zu statuieren. Und hatte wohl nicht damit gerechnet, welchen Sturm der Entrüstung dieser Fall durch die im Iran noch jungen sozialen Medien entfachen würde. Es war ein früher, mutiger Akt des Widerstands, Jahre vor dem Fall Mahsa Amini, die bei der Polizei zu Tode kam, weil sie kein Kopftuch trug. Wie Mahsa Amini ist deshalb auch auch Reyhaneh Jabbari ein Symbold des Widerstands in der Protestwelle „Frauen, Leben, Freiheit“.
Der Dokumentarfilm lebt von seinem ganz unglaublichen Material
Nun gibt es auch einen Film zu ihrer Geschichte. Einen, der niemanden unberührt lässt und zutiefst erschüttert. Dennoch sollte man sich nicht von dem erdrückenden Thema abschrecken lassen. „Sieben Winter in Teheran“ dokumentiert zwar einen misogynen, menschenverachtenden Unrechtsstaat mit all seinen Repressionen.
Er bringt uns aber auch ganz einfache Menschen nahe, Leute wie du und ich, die in dieser Situation über sich hinauswachsen und sich nicht einschüchtern lassen. Das sind Bilder, die einen ganz anderen Iran zeigen. Und so ist der Film vor allem ein Zeugnis von großem Humanismus und kämpferischem Geist, das Mut macht und Hoffnung gibt.
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Dabei kann sich der Dokumentarfilm auf ein unglaubliches Material stützen. Reyhaneh hat früh begonnen, ihre Geschichte aufzuzeichnen. Und die Familie hat ihre Briefe aus dem Gefängnis aufbewahrt. Hat die Telefongespräche mit der Inhaftierten aufgenommen. Und hat alle Versuche, sie freizubekommen, alle Proteste und Demonstrationen gefilmt. Heimlich. Mit dem Handy. Als Gegenbeweis. Denn die Justiz verdrehte von Anfang die Wahrheit.
Die schrecklichste Szene: Die Mutter erfährt vor laufender Kamera vom Tod der Tochter
Weil der Chirurg ein ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes war, sollte sein Name nicht beschmutzt werden. Reyhanehs Version dagegen wurde gar nicht erst angehört, sie bekam nicht mal einen Anwalt. Wurde bei Verhören gefoltert, um ihr ein falschen Geständnis abzupressen, die Tat sei vorsätzlich geplant gewesen. Beweismaterial wurde vernichtet, ein Richter, der den Fall neu aufrollen wurde, versetzt. Auch die Familie wurde unter Druck gesetzt, selbst der 14-jährigen Schwester warf man Beihilfe zum Mord vor. Und Reyhaneh wurde gesagt, dass sich die Familie für sie schäme und von ihr abwende.
Die Familie wollte die Wahrheit dokumentieren. Im festen Glauben, dass Reyhaneh am Ende freikäme. Um ihr zeigen zu können, wie sie für sie gekämpft haben. Dann aber muss die Mutter, Shole Pakravan, mitten bei einer Demonstration für ihre Tochter, erfahren, dass Reyhaneh bereits hingerichtet wurde. Und schreit ihre Verzweiflung auf offener Straße heraus. Auch dabei läuft eine Handykamera. Es ist die schrecklichste Szene, die sich tief einbrennt. Und die man nicht vergisst.
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Aber so wird dieser Dokumentarfilm zu einem einzigartigen, unschätzbaren Zeitdokument. Weil das Originalmaterial für sich selbst spricht, gerade in der Art, wie es heimlich aufgenommen wurde. Und weil da eine Familie Einblick in ihre Geschichte gibt: Die Mutter und die Töchter in Berlin, wohin sie inzwischen ins Exil gegangen sind.
Der Vater Fereidoon Jabbari noch immer im Iran, wo er auf ewig als Geisel festgehalten wird. Als letzter Druck gegen die Familie. Inszeniert aber ist der Film so, als ob Reyhaneh selbst ihre Geschichte erzählt. Und das macht diesen Film ganz unmittelbar.
Steffi Niederzoll hatte Zweifel: Wie kann ich als Deutsche einen Film darüber machen?
Gedreht hat ihn die Berliner Filmemacherin Steffi Niederzoll. Und das ist umso unglaublicher, weil es der erste Langfilm der 41-Jährigen ist. Dabei war sie nie selbst im Iran. Aber das Thema, sagt sie im persönlichen Gespräch in Kreuzberg, „ist zu mir gekommen“. Sie war damals mit dem iranischen Filmregisseur Sina Ataeian Dena zusammen. Der hatte ein Stipendium in Istanbul, lernte dort Verwandte von Reyhaneh kennen, deren Mutter und Schwestern aus dem Iran erst mal in die Türkei geflohen waren.
Die Familie suchte da bereits jemandem, der ihre Geschichte verfilmen könnte. Schließlich wurde Steffi Niederzoll gefragt. „Ich hätte nie an mich selber gedacht“, gibt sie offen zu. „Ich fragte mich schon: Wie kann ich als Deutsche einen Film darüber machen?“ Aber dann sah sie das Material, das aus dem Iran geschmuggelt worden war. Und in Berlin hat sie schließlich Shole Pakravan kennengelernt, die ihr sofort Vertrauen entgegengebracht. „Da habe ich es mir dann doch zugetraut.“
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Der Film besteht zum einen aus dem unfassbaren Originalmaterial, sie sind „das Herzstück des Films“, wie Niederzoll selbst findet. Zum anderen besteht er aus den Interviews, die sie mit der Familie gemacht hat. Aber es blieben Leerstellen, die die Filmemacherin anderweitig füllen musste. Natürlich hätte sie nie eine Drehgenehmigung im Iran erhalten.
Der Film wurde lange geheimgehalten. Jetzt gibt es Kräfte, die dagegen wirken
Aber Menschen, die solidarisch mit Reyhaneh waren und denen es wichtig war, dass ein Film über sie gemacht wurde, haben geholfen. Und machten, wiederum heimlich und unter großem Risiko, Aufnahmen, von dem Haus des Toten etwa oder dem Gefängnis, in dem Reyhaneh saß. „Ich hatte panische Angst, dass dabei jemand erwischt werden könnte“, so Niederzoll.
Darüber hinaus gewährte ihr ein Kollektiv iranischer Filmemacher, die über ein großes Archiv an Alltagsaufnahmen aus Teheran verfügen, den Zugang dazu. „Das alles war ein großes Glück.“ Dieses Wort fällt bei Niederzoll oft. Schließlich hat sie auch noch die ebenfalls im Exil lebende iranische Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi gewonnen, der es ebenfalls wichtig war, dass diese Geschichte Gehör findet und die Reyhaneh ihre Stimme lieh. Dass sie kurz darauf in Venedig für „Holy Spider“ als beste Schauspielerin ausgezeichnet wurde, sei ein weiterer Glücksfall für ihren Film gewesen.
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„Sieben Winter in Teheran“ kam nur unter größter Geheimhaltung zustande. Auf der Berlinale feierte er dann im Februar seine Premiere, unter Tränen und großer Anteilnahme. Und fand ein überwältigendes Echo. Was natürlich mit der derzeitigen Protestwelle im Iran zu tun.
Ein weiteres Zeugnis des menschenverachtenden Regimes. „Ich hätte nie gedacht, dass der Film so wahrgenommen wird“, meint die Filmemacherin. Viele Iranerinnen kämen plötzlich auf sie zu und vertrauten ihr Geschichten an, die sie noch nie jemanden erzählt haben. „Der Film scheint Schleusen zu öffnen. Das gibt mir das Gefühl zurück dass Kino wirklich etwas bewegen kann.“
Der Film ist auch ein Schutzschild für den Vater, der noch immer im Iran leben muss
Seit der Film in der Welt ist, spürt die Regisseurin natürlich schon „Mächte, die dagegen wirken, und Kräfte, die herauskriegen wollen, wie ich an die Bilder gekommen sind.“ Diese Kräfte aber, das ist ihr wichtig, richten sich gegen die Produktion, nicht gegen die Familie. Für den Vater im Iran ist der Film offenbar sogar ein Schutzschild. Vorher zumindest wurde er ständig verhört, seither nicht wieder.
Und was hat der Film mit der Filmemacherin selbst gemacht? „Sehr viel“, gibt Steffi Niederzoll zu. Erst mal professionell. Es war ja ihr erster Langfilm. Sie war da anfangs „vielleicht auch ein wenig naiv“. Aber sie habe ganz viel übers Filmemachen gelernt. Dass man eine Haltung haben muss, zu einem Film, zu seinen Quellen. Auf der persönlichen Ebene hat sie zudem viele Freunde gefunden. Dann aber hat sie auch etwas fürs Leben gelernt: „Ich bin demütiger geworden. Ich weiß die Freiheit, die wir hier im Westen leben dürfen, jetzt viel mehr wertzuschätzen.“
Dokumentarfilm, Deutschland 2023, 97 min., von Steffi Niederzoll