Berlin. Wo der Blitz einschlägt, ist der Mensch machtlos: Im Film „Im Herzen jung“ verliebt sich ein wesentlich jüngerer Mann in Fanny Ardant.

Im Deutschen ist gern von der Liebe auf den ersten Blick die Rede. Die Franzosen sind in der Hinsicht stets etwas weiter und auch poetischer, wenn sie vom Coup de foudre sprechen. Denn so ein Blitzschlag schafft gleich ganz andere Assoziationen, geht es doch um Spannung, aufgeladene Kräfte, höhere Mächte – und unkontrollierbare Folgen.

Und genau davon handelt Carine Tardieus Film „Im Herzen jung“, der am 3. August ins Kino kommt: von einer – noch so eine französische Redewendung – amour fou, einer unmöglichen Liebe: Die eines Mannes, der verheiratet ist und durchaus glücklich verheiratet ist, zu einer 25 Jahre älteren Frau. Für viele ist das noch immer ein Tabu. Freilich nur in der Konstellation. An einem älteren Mann und einer jungen Frau stört sich niemand. Wie ungerecht!

„Im Herzen jung“: Eine Amour fou - er könnte ihr Sohn sein

Wo die Liebe hinfällt, wo der Blitz einschlägt, da ist der Mensch machtlos. Von Anfang an aber spielt das Alter und der Tod eine zentrale Rollen in dem Liebesfilm. Denn das erste Mal begegnet sich das Paar in einem Krankenhaus. Sie, Shauna Loszinsky (Fanny Ardant), ist hier, weil ihre beste Freundin einen Herzinfarkt erlitten. Er, Pierre Escande (Melvil Poupaud), ist diensthabender Arzt. Tröstet die Fremde, die so in Sorge ist. Und ist sofort elektrisiert. Aber dann wird er angepiept. Und dann ist sie fort.

Sie begegnen sich erst 15 Jahre später wieder. Durch Zufall. Pierre fährt mit seinem Freund und Kollegen Georges (Charif Andoura) in dessen irisches Landhaus. Und da steht sie plötzlich wieder vor ihm. Es gehört zu den vielen Reizen dieses Films, das er nicht alles gleich erklärt. Das müssen sich die Zuschauer selbst zusammenpuzzeln.

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Die Frau, die an dem Herzinfarkt starb, war die Mutter von Georges, Shauna ist wie eine zweite Mutter für ihn. Und da sie Architektin ist, renoviert sie das Landhaus. Pierre ist elektrisiert wie damals. Auch wenn Shauna sich erst nicht an ihn erinnern kann. Aber dann kommen sich die beiden doch näher. Auch wenn sie sich anfangs sträubt: „Ich werde bald 71!“ Doch er pariert das sehr charmant: „Lädst du mich zum Geburtstag ein?“

Eigentlich wollte Sólveig Anspach diesen Film drehen. Sie wurde dabei von der Geschichte ihrer eigenen Mutter inspiriert, die mit 75 noch einmal die Liebe fand – zu einem wesentlich jüngeren Mann. Aber die Regisseurin starb 2015 an Brustkrebs. Den Film, den sie sich erträumte, haben dann ihre Freunde für sie zu Ende geführt. „Auf die Angst vor dem Tod mit dem Wunsch nach Leben zu reagieren, ist das Thema dieses Films, und das ist es, was mir Sólveig mit dieser Geschichte vermittelt hat“, sagt Carine Tardieu.

Eine Frau konnte diesen Film nur träumen, ihre Freunde haben ihn vollendet

Tardieu hat in ihren Filmen bislang vornehmlich von Generationenkonflikten erzählt. Ihr Debüt „La tête de maman“ (2007), der leider nie in die deutschen Kinos kam, handelte von einer Jugendlichen und ihrer depressiven Mutter. Und „Eine bretonische Liebe“, der 2017 auch bei uns ein Erfolg war, von einem Mann, der erfahren muss, dass sein Vater nicht sein Vater ist. „Im Herzen jung“ passt gleichwohl in dieses Oeuvre – wird das Thema doch nun auf ein Liebespaar ausgeweitet.

Und da sind viele Reibungen und Spannungen, ist Gewitter vorprogrammiert: Der Arbeitskollege, der sich betrogen fühlt, von seinem Freund wie von seiner Ersatz-Mutter. Melvils Frau J (Cécile de France), die zwar kein Problem mit einer offenen Ehe hätte und selbst schon selbst eine Affäre hatte, aber geschockt ist, dass die Neue im Leben ihres Gatten „eine Frau ohne Zukunft“ ist, wie sie das nennt. Und Shaunas Tochter (Florence Loiret Caille), die sich erst freut, dass ihre Mutter, die seit ihrer Scheidung viele Jahre allein gelebt hat, wieder Vertrauen zu einem Mann gefunden hat. Aber dann erschüttert ist, dass der ihr Bruder sein könnte.

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Sie ist schockiert über die Neue im Leben ihres Mannes: Cécile de France als Jeanne Escande.
Sie ist schockiert über die Neue im Leben ihres Mannes: Cécile de France als Jeanne Escande. © Alamode

„Im Herzen jung“ heißt der deutsche Verleihtitel, aber auch der trifft es wieder mal nicht ganz. Im Original heißt der Film viel schöner „Les jeunes amants“, also: die jungen Liebenden. Und wirklich scheint diese Liebe, scheinen diese Gefühle, als sie sie erst mal zulässt, Shauna jünger zu machen. Trotz der großen Distanz. Sowohl was das Alter als auch die räumliche Entfernung betrifft.

Aber da ist noch ein anderes Problem. „Du nimmst Dopamin?“, ist eine der ersten Fragen von Pierre, als er im Landhaus eine Schachtel Tabletten sieht. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der gern „Botenstoff des Glücks“ genannt wird. Shauna aber braucht sie, weil sie Parkinson. Und bald schreitet die Krankheit voran. Und führt zu einem weiteren Konflikt. Denn Pierre ist Arzt, hat sich – das ist wohl eine Replik auf die verstorbene Anspach – auf Brustkrebs spezialisiert. Und sucht nun nach allen möglichen Therapien für Shauna. Aber die will nicht seine Patientin sein.

Auch als Zuschauer verliebt man sich sofort in Fanny Ardant. Egal in welchem Alter

Herzkino ohne Kitsch: Man fühlt hier mit allen Figuren mit. Weil sie alle liebevoll gezeichnet und gespielt sind. Getragen aber wird der Film von der immer faszinierenden Fanny Ardant, die einst als Muse von François Truffaut begann und längst mit Catherine Deneuve den Olymp des französischen Cinéma bildet.

„Im Herzen jung“ ist für sie eine – wir würden das sonst nie so nennen, aber in dem Zusammenhang ist es angebracht – große Altersrolle, in der la Ardant noch einmal ihre ganze Aura versprühen und eine Bandbreite an Gefühlen spielen darf: Vom Herbst zum zweiten Frühling bis zum beginnenden Winter. Ein großer Film mit einem großen Thema und einer großartigen Hauptdarstellerin, in die man sich auch sofort verliebt, egal in welchem Alter.

Drama, Belgien/Frankreich 2021, von Carine Tardieu, mit Fanny Ardant, Melvil Poupaud, Cécile de France