Hamburg. Haus an der Davidwache feiert mit einer Gala nicht nur Spielzeiteröffnung, auch 20 Jahre Zusammenarbeit des Duos Collien/Waller.

Es hat Tradition, dass das St. Pauli Theater seine Spielzeit mit einer Gala eröffnet. Und dieser Brauch gilt in Hamburgs ältestem Privattheater (von 1841) seit nunmehr 20 Jahren. So lange arbeiten Thomas Collien, Eigentümer des Hauses, und der künstlersche Leiter Ulrich Waller bereits zusammen.

Und so begrüßten die Hausherren nicht nur das Publikum zur Saison 2023/24. Das ungleiche Paar führte auch als Moderatorenduo durch den fast dreistündigen Abend.

Die Gala geriet – nach einem Intro mit Bildern der beiden „Blutsbrüder“ auf der Leinwand – zu einer vielfältigen Rück- und Vorschau mit Künstlerinnen und Künstlern, die teilweise schon unter Waller an den Kammerspielen im Grindelviertel gespielt hatten und mit ihm 2003 auf den Kiez zogen.

St. Pauli Theater: Jubel, Trubel und Spitzen zur Spielzeiteröffnung 23/24

Dass „Die Jungs mit dem Tüdelband“, verkörpert von den Haudegen Peter Franke und Gerhard Garbers, am Montagabend den musikalischen Auftakt übernahmen, ergab Sinn. Mit der von Waller inszenierten Revue um die fast vergessenen jüdischen Hamburger Gebrüder Wolf, die eigentlich Isaakson hießen, hatte Colliens Zusammenarbeit mit dem Theatermacher begonnen.

„Das Gastspiel war bei uns ein richtiger Erfolg, und natürlich wusste ich, dass Uli sich in einem ziemlichen Clinch mit seinem damaligen Hausherrn befand, einem ihnen bekannten ehemaligen HSV-Präsidenten mit Vorliebe für asiatische Spezialitäten“, formulierte Collien süffisant. „Thomas wollte selbst auch noch mal was Neues ausprobieren, weg vom reinen Gastspielhaus. Und bald war klar, wir wollen das zusammen riskieren“, ergänzte Waller diese erste Episode.

Der Intendant darf sich zugutehalten, dass er auch die israelische Sängerin Esther Ofarim immer wieder zu Konzertabenden im St. Pauli Theater bewegt, auch in dieser Spielzeit ist solch ein Abend geplant. Die inzwischen 82-Jährige interpretierte „Bird On A Wire“ und das hebräische „Laila Laila“, jeweils begleitet von Matthias Stötzel am Klavier, überaus eindringlich und begeisternd.

„Broschen-Karin“ flehte Waller und Collien an: „Bitte verklagen Sie uns nicht!“

Hannelore Hoger amüsierte das Publikum mit ihrem Vortrag von Kurt Tucholskys „Der Beleuchter“ und einem satirischen Blick hinter die Theaterkulissen. Die Schauspielerin liest im St. Pauli Theater am 17. November Texte von Frauen nach der Trennung. Hannelore Hoger überzeugte auch 2005 als Martha in Wilfried Minks’ Inszenierung „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, eine der ersten Produktionen, mit der Waller und Collien die Evaluierungskommission für Privattheater überzeugen konnten, ihr Haus in die Förderung der Kulturbehörde aufzunehmen.

Peter Franke (l.) und Gerhard Garbers waren als „Jungs mit dem Tüdelband“ Teil der Saisonauftaktshow am St. Pauli Theater in Hamburg.
Peter Franke (l.) und Gerhard Garbers waren als „Jungs mit dem Tüdelband“ Teil der Saisonauftaktshow am St. Pauli Theater in Hamburg. © Jürgen Joost | Juergen Joost

Neun Kultursenatoren und -senatorinnen haben Waller und Collien insgesamt erlebt, vom SPD-Mann Wolfgang Tarnowski über die parteilose Helga Schuchardt, die ebenfalls parteilose Dana Horáková (im CDU-Schill-FDP-Senat) bis hin zum Corona-Krisen-Manager Carsten Brosda (SPD). Doch hätten die Hamburger Anwältinnen Gisela Wild und Maja Stadler-Euler im Auftrag des St. Pauli Theaters bei der Behörde nicht mit dem EU-Wettbewerbsrecht gedroht – wer weiß, ob die bis dato ungleiche Verteilung des Geldes für die Privattheater vor 18 Jahren aufgehoben worden wäre, unkten Collien und Waller.

„Broschen-Karin“, wie die langjährige parteilose Kultursenatorin Karin von Welck wegen deren Vorliebe für Ansteckbroschen flapsig nannten, habe die beiden Theatermacher beinah angefleht: „Bitte verklagen Sie uns nicht!“

Kabarettist Deutschmann über Aiwanger: „Oder geht der Ihnen am Arsch vorbei?“

Derlei Anekdoten von Collien und Waller, seit 2009 auch Betreiber des Hansa-Theaters, ließen ebenso aufhorchen wie Tim Fischers Gesangseinlagen aus dem Musical-Klassiker „Cabaret“. Auch das Lied „Mein Weib will mich verlassen“ aus seinem Georg-Kreisler-Programm „Tigerfest“ machte Fischer mit Klavierbegleiter Mathias Weibrich zu ebensolchem. Den Chanson-Star kann man wie Hamburgs Soul-Mann Stefan Gwildis mit seiner musikalischen Interpretation von Wolfgang Borcherts „Ich bin der Nebel“ immer wieder hören.

Licht ins Dunkel brachte Matthias Deutschmann. Das satirische Schwergewicht aus Freiburg, Dauergast bei der Spielzeit-Eröffnungsgala, spannte auch ohne sein früher geliebtes Cello den Bogen über zwei Jahrzehnte St. Pauli Theater in Zeiten der Regierungswechsel und Krisen bis zur Gegenwart. Und erinnerte an Erinnerungslücken von Scholz bis Aiwanger: Ob man Letzteren im liberalen Hamburg überhaupt kenne, fragte Deutschmann. „Oder geht der Ihnen am Arsch vorbei...?“

Horst Schroth zum ersten „Ehrenlotsen des St. Pauli Theaters“ ernannt

Deutschmanns Kabarett-Kollege Horst Schroth durfte sich über eine unverhoffte Auszeichnung freuen: Ihn ernannten Waller und Collien nach der Pause zum ersten „Ehrenlotsen des St. Pauli Theaters“. Der 75-Jährige aus Ahrensburg war der Erste, der mit seinen Programmen („Herrenabend“, „Katerfrühstück“) dem Regisseur Waller aus den Kammerspielen auf den Kiez gefolgt war und dort weitere erfolgreiche Premieren gefeiert hatte. Gerührt und unter großem Beifall setzte sich Schroth, der mit seiner „Schlusskurve“ zu Beginn der Corona-Krise seine Laufbahn beendet hatte, die Lotsenmütze auf.

Im Anschluss stießen Gustav Peter Wöhler und Hannelore Hoger auf das St. Pauli Theater an.
Im Anschluss stießen Gustav Peter Wöhler und Hannelore Hoger auf das St. Pauli Theater an. © Jürgen Joost | Juergen Joost

International wurde es, als Matteo Marsan, Daniela Morozzi, Ilona Schulz und Nadja Petri Auszüge aus einem Stück des Sommertheaters des St. Pauli Theaters zeigten, das Waller und seine Frau Dania Hohmann 2014 in der Toskana ins Leben gerufen hatten. Es ist bis heute ein deutsch-italienisches Theater der Erinnerung. Auch möglich, weil der Förderkreis des St. Pauli Theaters um den Vorstand und jetzigen Theater-Mitgesellschafter Claus Budelmann inzwischen mehr als 400 Mitglieder zählt.

„Lust auf St. Pauli“: Gurkenhobel-Vertreter bringt Publikum zum Toben

Neue Lust auf Schauspiel mit Gesang machten Anneke Schwabe mit dem „Kanonensong“ aus der „Dreigroschenoper“. Sie wird als Polly im Oktober ebenso erneut zu erleben sein wie Holger Dexne in „Lust auf St. Pauli“ Als schneidig-komischer Gurkenhobel-Vertreter brachte der Darsteller das Publikum zum Toben, angeheizt von Franz Wittenbrink am Klavier, der diese Figur in seine Liederabend-Trilogie aus „Lust“, „Nacht-Tankstelle“ und „Ricky“ zu integrieren weiß.

Christian Redl, neben Schroth und Wittenbrink noch so ein kreativer 75-Jähriger am St. Pauli Theater, ließ mit seinem Buch „Das Leben hat kein Geländer“ alte Zeiten am Deutschen Schauspielhaus aufleben. Die Art, wie er bei der Inszenierung „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ den legendären Schauspielkollegen Ulrich Wildgruber so richtig kennenlernte, spielen, fressen und saufen sah – ein wunderbares Kapitel für sich.

St. Pauli Theater: Schauspieler-Paar Gehlen/Bezzel liest Erich Kästner

Nur alte weise Männer also?

Das Schauspieler- und Ehepaar Johanna Christine Gehlen und Sebastian Bezzel sorgte mit gelesenen Texten von Erich Kästner für heiter-melancholische Momente. Mit Bezzel, Stephan Grossmann und Nadja Petri will Waller im Januar 2024 die französische Komödie „Einszweiundzwanzig vor dem Ende“ neu herausbringen; mit Samuel Becketts „Das Endspiel“ (und Sven-Eric Bechtolf und Stefan Kurt) steht in Wolf-Dietrich Sprengers Regie dann eine weitere prominent besetzte Premiere an.

Gustav Peter Wöhler und Band blieb es am Montag vorbehalten, für eine famose musikalische Abrundung einer würdigen Jubiläumsgala zu sorgen: Erst schmückte Wöhler, drapiert mit Tuch um die Stirn, „Moonshadow“ von Cat Stevens alias Yusuf theatralisch und lautmalerisch komisch aus, dann rührte er mit der nordirischen Ballade „Carrickfergus“ gesanglich und brachte schließlich mit „Eye In The Sky“ (von The Alan Parsons Project) fast alle zum Tanzen, egal wie talentiert.

Programm und Karten im St. Pauli Theater 2023/24: www.st-pauli-theater.de