Hamburg. In den Zeise-Kinos begeisterten Regisseur Lukas Nathrath und seine Crew mit „Letzter Abend“ – ein Film wie das echte Leben.

Mit 4000 Euro einen Film in einer Woche drehen? Absoluter Wahnsinn eigentlich. Unmöglich. Doch Lukas Nathrath (32) hat es geschafft. Und wie. Mit „Letzter Abend“ hat der Münchner Jungregisseur seine große Begeisterung fürs Filmemachen bewiesen. Am Sonnabend in den Zeise-Kinos sprang dieser Funke auch auf das Publikum über. Dort stellten Nathrath und die gesamte Darstellerriege seinen ersten Langspielfilm vor.

„Ich habe hier im Zeise so viele inspirierende Filme gesehen“, sagte er im Gespräch mit Kinobetreiber Matthias Elwardt, „und ich habe davon geträumt, selbst einmal so einen Film zu machen.“ Der Absolvent der Hamburg Media School hat schon für seinen Kurzfilm „Kippa“ mehrere Preise erhalten. Mit „Letzter Abend“ hat er jetzt auch international für Aufsehen gesorgt, war auf den Festivals in Rotterdam, Shanghai und Melbourne und räumte den Max Ophüls Preis für die beste Regie ab.

„Letzter Abend“: Essen mit Freunden und andere Katastrophen

Dabei ist der Inhalt erst mal unspektakulär: Lisa und Clemens laden Freunde zu einem letzten Essen in ihre schon fast leer geräumte Wohnung ein. Es soll nach zwei Jahren in Hannover nach Berlin gehen. Dort will Lisa eine Stelle als Ärztin antreten. Und ihr Freund kommt mit, schließlich kann er als freiberuflicher Musiker überall arbeiten. Theoretisch, denn Clemens hat seit Längerem keinen Song mehr geschrieben.

Es geht aber schief, was schiefgehen kann: Erst platzt Clemens die Tüte Mehl, die Lisa dringend für die Bechamelsauce der Lasagne braucht, dann sagt sein bester Kumpel ab. Und auch Lisas angeblich beste Freundin bekommt nach zwei Gläsern Gin die Krise und haut ab. Stattdessen kommen die Nachbarin von oben und eine Backpackerin, die ihr Handy dringend aufladen und aufs Klo muss.

Gender-Wahn, Depressionen, Eifersucht kommen auf den Tisch

Die Tempi des sich anbahnenden Desasters werden atemloser, und der Zuschauer windet sich vor Fremdscham, wenn Lisas Arbeitskollege sich hemmungslos an sie ranschmeißt, während Clemens ihr sein Liebeslied auf der Gitarre vorspielen will, das ignorante Publikum doch lieber seinen Hannoveraner Schlager „E-Damm!“ hören will. Man leidet mit Clemens, ist genervt von der kommunikationstrainernden Nachbarin und lacht über den durchgeknallten Schauspielerfreund, der den Abend vollends aus dem Ruder laufen lässt.

Sperriges Warmwerden bei Pasta, Bier und Wein (v. l.): Valerie (Isabelle von Stauffenberg), Aaron (Valentin Richter), Katharina (Susanne Dorothea Schneider) und Lisa (Pauline Werner)
Sperriges Warmwerden bei Pasta, Bier und Wein (v. l.): Valerie (Isabelle von Stauffenberg), Aaron (Valentin Richter), Katharina (Susanne Dorothea Schneider) und Lisa (Pauline Werner) © BetaCinema

Und man schmunzelt bei den typischen Small-Talk-Themen, mit denen sich die notgedrungen zusammengefundene Runde aufzuwärmen versucht, nur um dann ans Eingemachte zu gehen: Toxische Männlichkeit, Gender-Wahn, Depressionen, Arbeitsplatzverlust, Eifersucht – es kommt alles auf den Tisch, was die Generation Y zu bieten hat. Mit jedem gekippten Glas fallen Hemmungen, werden lange unterdrückte Gefühle hochgespült.

Kino Hamburg: eine Woche Zeit, eine Wohnung in Hannover und 4000 Euro

Corona sei ein Segen gewesen, erzählte Clemens-Darsteller Sebastian Jakob Doppelbauer im Kino. Kein Termindruck und keine Castings, die man versemmeln könne. Stattdessen: viel Zeit, um die Idee für diesen Film zu entwickeln. In massenhaften Sprach- und Textnachrichten schickten sie sich ihre Ideen hin und her und trafen sich schließlich im Haus von Doppelbauers Eltern im österreichischen Vorarlberg, um zu schreiben. Was so aussah, dass die Freunde in wechselnden Rollen die Dialoge laut aufsagten und dabei eine Menge Spaß hatten.

„Für den Dreh hatten wir eine Woche Zeit, eine Wohnung in Hannover und das Startbudget von 4000 Euro von Klinkerfilm“, ergänzte Nathrath. Kurzerhand wurden befreundete Schauspielerinnen und Schauspieler angefragt und ein Kameramann gefunden, der in diesem Käfig voller Narren und ohne Klappe filmen würde. Philip Jestädt übernahm den Job. „Einfach toll war der Dreh, denn jeder war da, jeder war in seiner Rolle“, lobte er die Darsteller.

„Letzter Abend“, das Erfolgsgeheimnis: Keine Figur lässt Zuschauer kalt

Es ist genau diese unmittelbare Nähe zu den Figuren, die „Letzter Abend“ so mitreißend macht. Keine Figur lässt einen kalt. Ob es der gestresste Fahrradkurier mit der Nudellieferung ist oder Lisas Bruder, der im Laufe des Abends die Maske des guten Benehmens abnimmt. Daraus spricht die Liebe des Regisseurs zu seinen Schauspielerinnen und Schauspielern und die Begeisterung fürs Geschichtenerzählen. Alle Darsteller konnten sich in ihre Rollen miteinbringen, erzählten sie in Hamburg.

Dass der Film aber überhaupt in die Kinos kommen konnte, ist vielen helfenden Händen zu verdanken, von günstigen Schneideplätzen, die in Altona angeboten wurden, über die sehr engagierte Cutterin Silke Olthoff bis zu Familienmitgliedern, die Maske und Aufnahmeleitung übernahmen. Und schließlich gewann „Letzter Abend“ beim Filmfest in Locarno den First Look Award und 50.000 Euro, womit die Postproduktion bezahlt werden konnte.

Kino Hamburg: Publikum singt Song „Hand in Hand“ live mit

Die Reaktionen auf den Film seien total unterschiedlich gewesen, so die Macher. In Shanghai hätte das Publikum kaum gelacht („nur über die Szenen, wo Hände und Klinken wegen Corona desinfiziert wurden“), in Rotterdam seien die Persiflage auf einen österreichischen Akzent und ein Spruch über Hitler besonders gut angekommen. Auf Norderney, wo die Zuschauer mehrheitlich Ü70 waren, bekamen sie zu hören: „Ach, solche WG-Partys haben wir früher auch gefeiert.“ „Letzter Abend“, ein generationenübergreifender Film wie das echte Leben.

Nicht zuletzt trägt die Musik diesen besonderen Film, in den so viel Herzblut geflossen ist. Auch hier hat Sebastian Jakob Doppelbauer ordentlich mitgewirkt, nicht nur das Liebeslied „Lonely Girl“, sondern auch den Hit „Hand in Hand (Übern E-Damm Baby)“ beigesteuert. Den gab es zum Schluss als Überraschung für die Gäste im Kino live auf der Gitarre, und es wurde tatsächlich mitgesungen (dank Texteinblendung auf der Leinwand). Der Song blieb noch lange im Ohr. Genauso wie die Figuren und ihre Geschichten im Gedächtnis.

„Letzter Abend“, 91 Min., ab 12 Jahren, läuft im Koralle und Zeise