Hamburg. Erschütternd und nachdenklich: Für „Am Ende Licht“ gab es am Ernst Deutsch Theater langen Beifall am Premierenabend.
Viel Licht gibt es nicht in Simon Stephens’ Theaterstück „Am Ende Licht“. Wut und Einsamkeit verdunkeln das Leben seiner Figuren. Zeit und Ort des 2019 uraufgeführten Dramas spiegeln die Gefühlslage des Bühnenpersonals.
„Am Ende Licht“ spielt 2017 im Norden Englands. Blackpool ist ein heruntergekommenes Seebad, Ulverston, Warrington, Doncaster und Durham sind abgehängte Städte, deren beste Zeit Jahrzehnte zurückliegt. 2017 hatte eine knappe Mehrheit der Briten für den Brexit gestimmt, für den populären Dramatiker Stephens ein „struktureller Horror“.
Bei dem Votum hatte die Mehrheit in den Labour-Hochburgen des Nordens für den Austritt aus der EU gestimmt. Der Brexit wird in Stephens’ Stück nicht explizit erwähnt, doch er liefert den Hintergrund für sein Familiendrama, das Elias Perrig nun zum Saisonauftakt am Ernst Deutsch Theater auf die Bühne gebracht hat.
Ernst Deutsch Theater: Nach dem Auftaktmonolog folgen vier parallel laufende Geschichten
Das Stück beginnt mit einem Monolog. Christine (Maria Hartmann) erzählt, wie sie durch die Straßen läuft und die Menschen um sie herum beobachtet. Sehr schnell kommt sie auf das Thema, das sie am meisten umtreibt: ihre Familie und vor allem ihre Tochter Ashe, die einen Selbstmordversuch unternommen hat.
Christine fragt nach ihrer eigenen Mitschuld, denn als alkoholkranke Frau ist sie alles andere als eine gute Mutter gewesen. Ihr Spaziergang endet in einem Supermarkt und mit dem Griff nach einer Glasflasche oben im Regal. Ihre Sucht ist nicht vorbei, doch bevor sie den Wodka in Händen hat, bricht sie zusammen.
Nach dem Auftaktmonolog folgen vier parallel laufende Geschichten mit Christines Kindern Ashe, Jess und Steven und ihrem Mann Bernard. Petra Winterer hat dafür eine freie Bühne mit hohen, ockerfarben angestrahlten Stellwänden und Sitzquadern gebaut, auf der die Spieler Platz nehmen können, wenn ihre Szene vorüber ist.
Bis zur Pause sind alle neun Schauspieler auf der Bühne, nur Maria Hartmann – nun als Kneipenwirtin und verwirrte Touristin – kommt und geht. Christines dysfunktionale Familie wird in Zweier- bzw. Dreier-Konstellationen gezeigt.
Ernst Deutsch Theater: Man fühlt sich mit den schnellen Szenenwechseln manchmal wie im Kino
Schnell springt die Inszenierung zwischen den einzelnen Geschichten hin und her. Das gibt dem zweidreiviertel Stunden dauernden Abend Spannung und Abwechslung. Man fühlt sich mit diesen schnellen Szenenwechseln manchmal wie im Kino.
Die erste Figur, die beleuchtet wird, ist Jess (Louisa Stroux). Nach einer durchsoffenen Nacht wacht sie mit einem älteren Mann (Andreas Jeßing) auf, den sie am Abend zuvor aufgerissen hat. Sie möchte einerseits Nähe zu dem ihr unbekannten Michael, doch sie zeigt auch ihre Ängste. Ihre Einsamkeit überwiegt, sie meldet sich krank und verbringt den Tag mit Michael, mit dem sie später Sex auf einem Friedhof hat.
Große Komik: Christoph Tomanek spielt einen Mann, der mehr will als er kann
Überhaupt scheint Sex ein Mittel gegen die Wut und die Frustrationen zu sein. Bernard (Christoph Tomanek) möchte mit seiner Geliebten (Marion Elskis) und deren attraktiver Freundin (Anne Diemer) einen Dreier in einem plüschigen Hotelzimmer mit einem Himmelbett. Sein linkischer Umgang mit den beiden Frauen verhindert die Erfüllung seiner Fantasien.
Besonders diese Szenen sind von großer Komik, weil Tomanek seine Figur als einen Mann spielt, der mehr will als er kann und sich dadurch vor den Frauen lächerlich macht. Auch Steven (Maximilian Kurth), als Jurastudent überfordert, möchte am liebsten sofort über seinen Freund (David Meyer) herfallen.
Kurth, schon in der vergangenen Saison in „Frühlings Erwachen“ positiv aufgefallen, ragt mit seinem Spiel aus diesem starken Ensemble heraus. Seine Wut ist ein verzweifelter Schrei nach Liebe, außerdem hat er Angst verlassen zu werden und dem älteren Liebhaber nicht zu genügen.
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Genauso verzweifelt wie ihr Bruder ist auch Ashe (Ines Nieri). Sie ist alleinerziehende Mutter eines zweijährigen Jungen, der Kindsvater (Rune Jürgensen), ein Ex-Junkie, schafft es nicht einmal, 20 Pfund Unterhalt in der Woche zu zahlen. Mit ihren langen schwarzen Haaren, der verlaufenen Schminke und den zu klobigen Doc-Martens-Stiefeln wirkt die zierliche Schauspielerin wie die Hilflosigkeit in Person.
Ihren Selbstmord hat sie „vermasselt“, wie ihre Schwester Jess sarkastisch kommentiert, nun schreit sie ihre Verzweiflung und ihre Wut heraus. Etwas Perspektive eröffnet sich ihr am Ende des Stücks bei der Beerdigung der Mutter. Am Grab steht die Familie zusammen und bekommt so „Am Ende Licht“.
Elias Perrig, der schon in der vergangenen Spielzeit am EDT mit „The Wanderers“ überzeugte, hat dem Theater an der Mundsburg einen starken Saisonauftakt beschert. „Am Ende Licht“ ist das Gegenteil von Wohlfühl-Theater, aber das ist nicht das Hauptinteresse von Intendantin Isabella Vértes-Schütter. Sie will an ihrem Haus Theater, das zum Nachdenken anregt und erschüttert. Langer Beifall am Premierenabend bestätigt sie und das Ensemble auf diesem Weg.
„Am Ende Licht“ läuft bis 22.9., Ernst Deutsch Theater, Karten unter T. 040/22701420; www.ernst-deutsch-theater.de