Hamburg. Das französische Künstler-Trio (La) Horde hat schon für Madonna gearbeitet. Sein neues Stück feiert Weltpremiere beim Sommerfestival.

Wie reagiert man, wenn man auf Instagram eine Anfrage erhält: „Wanna collaborate?“ (Wollen wir zusammenarbeiten?) und diese Anfrage von Superstar Madonna stammt? Man steigt natürlich darauf ein. Das hat auch das französische Künstler-Trio (La) Horde getan. Und bereits ein Kapitel von Madonnas anstehender Jubiläums-Welttournee choreografiert.

Sommerfestival Kampnagel: Tanz als Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse

Dabei sind Marine Brutti, Jonathan Debrouwer und Arthur Harel alles andere als unterbeschäftigt. Im Hauptberuf leiten sie das renommierte Ballet National de Marseille und erfinden dort seit 2019 mit frischen Ideen den Tanz der Zukunft. Ihr neues Tanzspektakel präsentieren sie nun mit großem Ensemble anlässlich der Eröffnung des Internationalen Sommerfestivals 2023 auf Kampnagel. Dort feiert am 9. August in der großen Halle „Age of Content“ Weltpremiere.

Abseits der Probe ist Zeit für ein Gespräch, auch wenn in der verbleibenden Woche noch alle Teile irgendwie auf der Bühne zusammenfinden müssen. Marine Brutti raucht eine E-Zigarette und macht sich Notizen. „Die Aufführung ist wie ein Multiversum aufgebaut. Es gibt viele simultane Eintrittsmöglichkeiten“, erläutert sie. Viele Referenzen soll es geben an das (Action-)Kino, das Musical, aber auch an den Avatar im Computerspiel. Aspekte wie künstliche Intelligenz und Transhumanismus werden gestreift. „Wir versuchen ein Kaleidoskop zu schaffen, in dem es um die Repräsentationen des Ich in der Gegenwart geht“, so Brutti.

Das Trio (La) Horde arbeitet häufig mit Amateuren zusammen

„Der Abend ist zugleich wie eine Art Fusion unserer Arbeit der vergangenen Jahre“, ergänzt Arthur Harel. „Auch Autorinnen wie Lucinda Childs spielen dabei eine Rolle.“ Mit der Tanzlegende arbeitete das Trio in Marseille bereits zusammen. Ein hohes Tempo versprechen die drei, die seit 2013 ein Team sind.

Es ist erstaunlich, wie eingespielt sie auch im Gespräch auftreten. Intuitiv wechseln sie einander in ihren Antworten ab. Ihre Zusammenarbeit sei eine wirkliche Kooperation, so Brutti stellvertretend für das Trio. Und in einer Produktion sei genug Platz, all ihre Gedanken unterzubringen.

Die Zugänge von (La) Horde laufen über – auch unkonventionelle – Themen und Bewegungen aus dem Alltag und der Wirklichkeit. Häufig arbeiten sie mit Amateuren. „To Da Bone“, ihr Jumpstyle-Stück, das 2018 beim Sommerfestival für Furore sorgte, entstand nachdem sie auf Jumpstyle-Tänzer im Internet trafen, die dort im Angesicht geschlossener Clubs in ihren Heimatorten ihre Kunst verbreiteten. (La) Horde machte daraus einen mitreißenden Theaterabend.

(La) Horde: „Der Körper ist politisch. Jede Bewegung hat Symbolwert“

„Tanz kann sehr vieles sein. Wir verweigern uns nicht einem elitären Ballettanspruch und technischem Können, wir arbeiten vielmehr mit Experten auf ihren Gebieten. Demokratie im Tanz bedeutet, sich daran zu erinnern, dass Tanz eine Realität der Körper ist“, erläutert Marine Brutti. „Es geht uns um eine universelle Sprache mit vielen Ausprägungen. Da ist keine besser als die andere.“ So wie sich Worte zur Poesie verbinden können, sollen die Tanzenden in den Aufführungen von (La) Horde zu einer Poesie der Bewegung zusammenfinden.

Zugleich ist der Tanz für (La) Horde ein Akt des Widerstands. „Der Körper ist politisch. Jede Bewegung hat Symbolwert, ist universell“, sagt Jonathan Debrouwer. Und Arthur Harel fügt hinzu: „Punk oder Avantgarde zu sein, bedeutet für uns, eine Hoffnung zu haben. Uns geht es auch um eine Zukunftsvision, bedingt durch die Sichtbarkeit des Tanzes im Internet. Es war noch nie so leicht, den Tanz zu verbreiten. Er ermöglicht es den Menschen, Teil einer Gemeinschaft und einer Geschichte zu sein ohne die Notwendigkeit von Sprache. Insofern ist er auch ein Fluchtort für Widerstand und Revolte.“

Das gelte erst recht für die globalisierte Gesellschaft und ihre Schattenseiten. Für eine nebulös gewordene Welt, in der es mitunter nicht so einfach ist, Gut und Böse zu unterscheiden. In der die Menschen auf ein Thema aus unterschiedlichen Perspektiven blicken. Und so ist jede Performance von (La) Horde auch eine Feier des Tanzes, der Freiheit, der Humanität. Wo Gesten möglich werden, die vielleicht nicht überall erlaubt sind.

Die Maxime der Kunst von (La) Horde ist eigentlich gar nicht so neu. Sie stammt von der großen Pionierin des modernen Tanztheaters, Pina Bausch: „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt.“ Ein prägnanter, kluger Satz. Er ist auch die Erfolgsformel von (La) Horde.

(La) Horde Ballet National de Marseille: „Age Of Content” Weltpremiere am 9.8. und Vorstellung 10.8.(beide ausverkauft), 11./12.8., jew. 19.30 Uhr, eventuell Restkarten, Internationales Sommerfestival, 9. bis 27.8., Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de