Ein strauchelnder Popstar will durchstarten. Ein Guru soll ihr dabei helfen. Beide mögen Fifty-Shades-Sex. Soll das provozieren?
Wahrscheinlich hat einen diese im Vorfeld so gehypte Serie tatsächlich mit Erscheinen von Abel Tesfaye, besser bekannt als The Weeknd, verloren. Also nach nicht mal einer halben Stunde. Bis dahin war in „The Idol“, der vor Kurzem in Cannes Weltpremiere feiernden und jetzt auf Sky ausgestrahlten neuen HBO-Hoffnung, fast alles im Lot. Man sah eine überzeugende Lily-Rose Depp als strauchelnden Pop-Superstar Jocelyn, der sich nach einer persönlichen und künstlerischen Krise an einem Comeback versucht.
Beim Albumcover-Shooting und Videodreh in ihrer L.A.-Villa lässt sich gut beobachten, wie einsam man sich als Künstlerin und Projektionsfläche für Millionen fühlen kann: Unter kapitalistischen Monstern, die über Imagebildung und Verkäuflichkeit der Ware „Popsängerin“ entscheiden. Dieser erste Erzählstrang überzeugt, weil die Unbarmherzigkeit des großen Geschäfts mit Sex und Begehren unter Zuhilfenahme satirischer Überspitzung ausgestellt wird. Wem gehört der Köper eigentlich, wie kann man ihn zu möglichst viel Geld machen?
Neue Serie „The Idol“: Mit Sex- und Nacktszenen wird nicht gespart
Während die Entscheiderin von der Plattenfirma Nikki Katz (auf den Punkt: Jane Adams) noch Jocelyns früheren Zusammenbruch („Psychische Erkrankungen sind sexy“) PR-mäßig schönredet, trendet ein anzügliches Sexfoto. Das ganze Set weiß davon, Jocelyn lässt man erst mal im Status der Unwissenheit. Aber da unter anderem Sam Levinson, der zuletzt mit der äußert expliziten Jugendserie „Euphoria“ einen Hit landete, federführend hinter „The Idol“ ist, ahnt man bereits früh: Nicht nur Jocelyn wird das geleakte Bild zu sehen bekommen. Sondern auch wir Zuschauer. „The Idol“ spart weder mit Nackt- noch mit Sexszenen.
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Während man sich noch fragt, ob es eine krasse Geschichte aus der verdorbenen Entertainment-Industrie wirklich braucht, tritt dann The Weeknd auf. Als sinistrer Clubbesitzer und Anführer eines Kults, dessen Umrisse in der ersten „The Idol“-Folge noch nicht klar erkennbar sind. Das gilt nicht für Tesfayes Bildschirmpräsenz. Über die lässt sich sagen, dass sie eher überschaubar ist: Der kann das mit der Schauspielerei eher nicht so gut wie das mit dem Musikmachen. Auch im Vergleich zu Lily-Rose Depp. Als Pop-Guru Tedros ist The Weeknd, den man mit Fug und Recht als derzeit meistgehörten Musiker des Planeten bezeichnen kann, eine ganz lahme Nummer.
Aber Jocelyn erhofft sich von dem gleich drauflos legenden Pop-Dozenten (Pop-Lektion eins: „Die Scheiße hat große Macht“) die Formel fürs Durchstarten. Und hört sich nach einer ersten Fummelei in einer, Grusel, dunklen Ecke des Clubs Vorträge über Prince an. Später dann in ihrem Aufnahmestudio geht Tedros in die Vollen. Jocelyn müsse erst so singen, als würde sie wissen, wie man Liebe macht (um genau zu sein, in der Szene fällt das F-Wort), also so wie Donna Summer – dann könnte es was werden mit dem großen Comeback. Anschließend gibt es eine BDSM-Szene.
The Weeknd ist der maßgebliche Schöpfer von „The Idol“
Na toll. Wird das hier jetzt etwa tatsächlich eine Fifty-Shades-Geschichte um männliche Dominanz und weibliche Folgsamkeit? Und warum fand man eigentlich die Retro-Referenzen (Madonna, „Basic Instinct“) glatt noch das Beste an diesem plumpen Aufguss, der vermutlich ohne zweite Ebene bleiben wird? Bekannt ist, dass „The Idol“ auf einer Idee Abel Tesfayes fußt. Bekannt ist auch, dass ebendieser The Weeknd dafür sorgte, dass nur zunächst Amy Seimetz Regie führte. Und nach deren Weggang aus einer Story um weibliche Selbstermächtigung eine Erzählung über eine Frau wurde, die sich gerne den Sex- und Machtspielen eines Mannes hingibt. Wie hatte die Plattenfirma-Zynikerin Nikki Katz nach dem Porno-Fiasko Jocelyns gesagt, mit Blick auf die möglichen Verheerungen um das geleakte Bild? Die Sängerin müsse als feministische Heldin aus der Sache hervorgehen. Das steht aber zumindest arg in Zweifel nach den ersten Szenen, die wir nun von „The Idol“ kennen.
Kein Wunder, dass die bisherigen Kritiken nicht zimperlich mit dem natürlich effekthascherischen Werk umgehen, dessen Videoclip-Bildsprache übrigens überraschend matt bleibt. Wenn The Weeknd denkt, man könne mit ein bisschen Sex und toxischer Männlichkeit die Leute schocken, kommt er zu spät. Am zweiten Juli tritt er übrigens im Volksparkstadion auf. Als Sänger.
„The Idol“ läuft ab sofort auf Sky/Wow, jeden Montag gibt es eine neue Folge.