Hamburg. Erstmals hat Peter Nissen ohne Hartmut Cyriacks fürs Ohnsorg-Theater übersetzt. Was der „Platt-Papst“ zum Streit an der Bühne sagt.
Fast drei Jahrzehnte lang arbeitete Peter Nissen mit Hartmut Cyriacks in der von beiden 1994 gegründeten Textmanufaktur in Hamburg-Ottensen für Theater, Hörfunk und Fernsehen sowie an Übersetzungen. Das Duo Cyriacks und Nissen avancierte zu „Plattdeutsch-Päpsten“, übersetzte nicht nur fürs Ohnsorg-Theater zahlreiche Stücke ins Niederdeutsche, sondern darüber hinaus zwei Romane von „Harry Potter“ und mehrere „Asterix“-Bände, es schrieb plattdeutsche Drehbücher für die NDR-TV-Serie „Neues aus Büttenwarder“, erfand und sprach für den Radiosender NDR 90,3 die „Nachrichten op Platt“, ehe Cyriacks und Nissen 2012 ausgemustert wurden – den Verantwortlichen klangen ihre Stimmen zu alt. 2014 erhielt das mehrfach ausgezeichnete Duo den Fritz-Reuter-Preis für die Förderung der niederdeutschen Sprache.
Ohnsorg-Übersetzer Nissen spricht auch über den jüngsten Streit am Theater
In diesem Jahr nun hat Peter Nissen erstmals ein Stück allein fürs Ohnsorg übersetzt – sein Freund und Kompagnon Cyriacks war im November gestorben. Am Pfingstsonntag feiert „De Heven schall töven“ in Nissens Übersetzung plattdeutsche Erstaufführung. Es ist die erste Premiere nach den internen Turbulenzen an der Traditionsbühne. Wie es der 66-Jährige (fast) allein geschafft hat und was der frühere Ohnsorg-Dramaturg zum Streit hinter den Kulissen nach der Wahl von Ex-Ensemble-Mitglied Sandra Keck zur Vorsitzenden des Aufsichtsrats (im Verein Niederdeutsche Bühne Hamburg) meint, sagt er im Abendblatt-Interview.
Hamburger Abendblatt: Herr Nissen, im vergangenen Sommer hatten Sie und Hartmut Cyriacks vom Ohnsorg-Theater den Übersetzungsauftrag für die plattdeutsche Fassung des Stücks „Wer hat Angst vorm weißen Mann?“ bekommen. Mitte November ist Ihr jahrzehntelanger Kompagnon gestorben. Wie schwierig war es, die Vorlage nun allein zur plattdeutschen Erstaufführung zu bringen?
Peter Nissen: Nach 35 Jahren Übersetzen von Stücken ins Plattdeutsche entwickelt man eine gewisse Routine. Aber in der letzten Arbeitsphase, dem Feinschliff, da hat Hartmut mir sehr gefehlt. Zuletzt haben wir uns die Dialoge immer laut vorgelesen, denn man hört mehr, als man beim Lesen sieht. Und wenn man fürs Theater arbeitet, kommt es aufs Hören an und nicht aufs Lesen.
Platt-Übersetzer Nissen: „Hartmut Cyriacks konnte gut entscheiden!“
Wobei haben Sie Hartmut Cyriacks besonders vermisst?
Beim Entscheiden. Hartmut hielt es mit dem Wahlspruch des Vaters einer ehemaligen Geschäftsführerin des Ohnsorg-Theaters: „Entscheide dich und bereue, aber entscheide dich!“ Das konnte Hartmut wirklich besser als ich. Im Großen wie im Kleinen: „Machen wir das, machen wir das nicht?“ oder auch klein: „Welches Wort passt hier besser?“
Haben Sie zwischendurch mal daran gedacht, die Brocken bei „De Heven schall töven“ hinzuwerfen – die Filmvorlage spielt als eine Art Mystery-Komödie ja im tiefsten Bayern ...?
Nein. Da gab es schon herausforderndere Aufgaben. Das Stück spielt heutig und in einem kleinbürgerlichen Milieu, wenn auch ursprünglich in Bayern. Das Milieu scheint mir trotzdem vertraut, und da finde ich dann auch schon passende plattdeutsche Lösungen. Das ist kein Shakespeare. Nee, ganz bestimmt nicht.
Peter Nissen: „Bei den szenischen Proben störe ich bloß.“
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Regisseurin Meike Harten? Und wie oft waren Sie selbst bei den Proben mit dabei?
Die Zusammenarbeit war für mich sehr angenehm. Meike Harten hat zum Teil Hartmuts Funktion übernommen. Wir haben uns meine Rohübersetzung bei zwei Treffen laut vorgelesen. Mir hat das sehr geholfen, und ich hoffe, ihr bei der Konzeption der Inszenierung auch ein bisschen. Bei der Leseprobe vor Beginn der richtigen Probenarbeit habe ich mir angehört, ob die Schauspieler und Schauspielerinnen mit dem Text zurande kommen. Das war der Fall. Danach, bei den eigentlichen szenischen Proben, war ich nicht mehr dabei. Da habe ich als Übersetzer nach meiner Ansicht auch nichts zu suchen. Da störe ich bloß.
Was manche Gemüter in den vergangenen Wochen am und rund ums Ohnsorg am meisten erregte: Wie hoch darf denn nun der Hochdeutsch-Anteil auf der Bühne sein – bei Ihren Übersetzungen und generell?
Wenn Hochdeutsch sein muss, muss es sein. Bei diesem Stück war für mich klar, Alpha, ein kongolesischer Asylbewerber, muss einfaches Hochdeutsch sprechen. Ebenso alles, was mit diesem Status zu tun hat: Agentur für Arbeit etwa und Polizei. Alles andere wäre mir albern vorgekommen.
Ohnsorg-Übersetzer: „Es gibt gute Gründe für hochdeutsche Anteile.“
Heidi Kabels Tochter, die jahrzehntelange Ohnsorg-Schauspielerin Heidi Mahler, sagte kürzlich gegenüber dem Abendblatt: „In einem plattdeutschen Theater hat Hochdeutsch nichts zu suchen!“ Eine zu dogmatische Ansicht?
In der Verkürzung ja. Ich habe es ja gesagt, es gibt gute Gründe für hochdeutsche Anteile. Und die gab es am Ohnsorg-Theater schon immer. Früher waren es oft die Beamten oder „die Bösen“ im Stück, die Hochdeutsch sprachen. Heute wird das zum Glück weniger klischeehaft, sondern zum Beispiel nach sozialem oder geografischem Hintergrund gehandhabt.
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Mahlers Kollegin, das jahrzehntelange Ohnsorg-Ensemblemitglied Sandra Keck, war Ende April auf der Mitglieder-Versammlung des Vereins Niederdeutsche Bühne Hamburg e. V. auch dank ihres traditionsorientierten Kurses überraschend zur neuen Vorsitzenden des Aufsichtsrates und damit zur Chefin des Kontrollgremiums des Ohnsorg-Eigentümers gewählt worden. Daraufhin folgten mehrere Rücktritte, der Künstlerische Leiter Murat Yeginer will im Sommer 2024 aufhören. Wie beurteilen Sie diesen Streit, wie sehen Sie die Zukunft des Ohnsorg-Theaters?
Die Konstruktion des Ohnsorg-Theaters ist für ein Theater dieser Größe und Bedeutung schon ungewöhnlich. Ich war es von einem anderen für mich wichtigen Verein anders gewohnt. Da war es verpönt, dass Angestellte Mitglieder des Trägervereins wurden. Ich war beim Ohnsorg-Theater ja vor langer Zeit auch mal angestellt und bin deshalb nie dem Verein Niederdeutsche Bühne Hamburg e. V. beigetreten. Aber beim Ohnsorg-Theater hat es über Jahrzehnte sehr gut funktioniert, denn die Angestellten – oder im Fall von Sandra Keck die ehemaligen – bringen ja wichtige Expertise mit. Streit hin oder her: Dat Ohnsorg is en olen Damper mit gode Fohrenslüüd. De löppt nich so gau op Schiet.
Und was hätte Ihr Freund und Kompagnon Hartmut Cyriacks zu den ganzen Turbulenzen am Ohnsorg gesagt ...?
Tja, was hätte er gesagt? Ach, er war ja notorischer Optimist, vielleicht hätte er in unserem Büro das Sprichwort zitiert: „Pack sleit sik, Pack eit sik.“ Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
„De Heven Schall töven“ Plattdeutsche Erstaufführung So 28.5., 19.30, dann bis 2.7., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 22,- bis 35,50 unter T. 040/35 08 03 21; www.ohnsorg.de