Hamburg. Plattdeutsch lernen lohnt sich – finden Hartmut Cyriacks und Peter Nissen. Warum das so ist, erläutern die Experten im Interview.

Nach zwei coronabedingten Absagen bietet der „Hamburger Plattdeutsch-Tag“ an diesem Sonnabend ein buntes Programm. Dabei haben alle Hamburgerinnen und Hamburger die Möglichkeit, die Sprache an vielen Orten kennenzulernen und auszuprobieren.

Rund 40 Veranstaltungen gibt es dazu in verschiedenen Stadtteilen – unter anderem auch in der Speicherstadt, bei Hagenbeck, im Michel und im Rathaus. Geboten wird ein buntes Programm von Theaterstücken und Mitmachaktionen bis zu Lesungen, Platt-Führungen, Platt-Workshops und Vorträgen über die Geschichte der plattdeutschen Sprache.

Plattdeutsch-Tag: Über die Bedeutung des „Platt“

Das Abendblatt sprach mit den Plattdeutsch-Experten Hartmut Cyriacks und Peter Nissen über die besondere Bedeutung des „Platt“. Beide betreiben seit 1994 eine Textmanufaktur für Theater-, Hörfunk- und Fernseharbeiten sowie Übersetzungen. Sie veröffentlichen außerdem Anthologien plattdeutscher Texte zu verschiedenen Themen. Außerdem sind sie „Väter“ der plattdeutschen Nachrichten bei NDR 90,3 und haben unter anderem „Asterix“ ins Plattdeutsche übersetzt. Die Antworten gibt’s logischerweise zweisprachig.

Hamburger Abendblatt: Immer weniger Menschen sprechen Plattdeutsch – in Schleswig-Holstein sind es zurzeit mit nur noch 700.000 rund halb so viele wie noch vor 20 Jahren. Stirbt das Plattdeutsch aus?

Hartmut Cyriacks und Peter Nissen: Bereits vor 100 Jahren hatten die Plattdeutschen die Befürchtung, ihre Sprache könnte aussterben. Dies ist bis heute nicht geschehen. In Hamburg gehen wir davon aus, dass es bis zu 150.000 Menschen gibt, die Plattdeutsch sprechen oder zumindest verstehen können. Gleichwohl ist es Fakt, dass die Sprecherzahlen in den zurückliegenden Jahrzehnten deutlich abgenommen haben.

Al vör hunnert Johr weren de Plattdüütschen bang, ehr Spraak kunn utstarven. Dor hett sik bet hüüt nix an ännert. In Hamborg rekent wi, dat gifft goot 150.000 Lüüd, de noch Platt snacken oder tominnst verstahn köönt. Liekers is dat wohr, dat dat in de letzten Johrteihnten jümmers weniger Plattsnackers gifft.

Woran liegt das?

Cyriacks und Nissen: Grund hierfür ist, dass die Regionalsprache seit zwei Generationen praktisch nicht mehr von den Eltern an die Kinder weitergegeben wurde. Sie waren der Meinung, dass ihre Kinder mit Plattdeutsch als Erstsprache größere Probleme in der Schule hätten. Heute weiß man, dass dies nicht Fall ist. Im Gegenteil: Das Aufwachsen mit mehreren Sprachen bringt für Kinder nur Vorteile. Deshalb ist es notwendig geworden, die Weitergabe der Sprache an Kinder durch die Schulen zu unterstützen, wie es auch von der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen eingefordert wird, einem europäischen Gesetzeswerk, das auch von der Stadt Hamburg unterzeichnet wurde.

Dat kümmt dorvun, dat de Öllern düsse Spraak vun hier siet twee Generatschonen ehr Kinner nich mehr wiedergeven doot. Se hebbt glöövt, wenn de Kinner eerst mal blots Platt lehrt, kriegt se Maleschen in de School. Vundaag weet wi, dat stimmt nich! Wenn Kinner mit mehrere Spraken groot warrt, hebbt se dor blots goot vun! Dorüm is dat nödig worrn, dat de School dorbi mithölpen deit, dat de Kinner Platt lehrt. So will dat ok de Europäische Charta för de Regionaal- oder Minnerheitenspraken. Dat is en europäisch Gesett, dat ok vun de Free’e un Hansestadt Hamborg ünnerschreven worrn is.

Was haltet ihr selbst davon, Plattdeutsch als Schulfach anzubieten?

Cyriacks und Nissen: Sehr viel! Da Plattdeutsch in Hamburg kaum noch von Eltern an Kinder weitergegeben wird, muss die Sprachvermittlung über die Schulen passieren. In Hamburg sind wir in der glücklichen Lage, dass die Hansestadt das erste der acht Bundesländer war, in denen Plattdeutsch gesprochen wird, das die Regionalsprache als Schulfach eingeführt hat und somit zum Vorbild wurde. Als erster Schritt wurde es als Wahlpflichtfach an ausgewählten Schulen angeboten und in die Rahmenpläne aufgenommen.

Bannig veel! Plattdüütsch warrt in Hamborg ja meist gor nich mehr vun de Öllern an de Kinner wiedergeven. Dorüm mööt de Lütten Plattdüütsch in de School lehren. In Hamborg hebbt wi dat Glück, dat de Hansestadt dat eerste vun de acht Bunneslänner ween is, wo Platt snackt warrt, dat de Regionalspraak as Schoolfach inföhrt hett un dormit Vörbild worrn is. Eerst mal is dat as Wahlplichtfach an’n Handvull Scholen anbaden un in de Rahmenrichtlinien rinschreven worrn.

Nach welchem Konzept?

Cyriacks und Nissen: Es reicht heute nicht mehr, wenn die Schüler der Sprache nur in Lesetexten im (Hoch-)Deutschunterricht begegnen. Stattdessen bedarf es eines richtigen Spracherwerbs, vergleichbar mit dem anderer Fremdsprachen, um die Schüler systematisch mit der Sprache und Literatur vertraut zu machen – und der es ihnen ermöglicht, das Fach bis zur Oberstufe zu belegen. Hierfür werden mehr Lehrer mit einer entsprechenden plattdeutschen Kompetenz benötigt. An den Hamburger Hochschulen und in der Schulbehörde sind also Bedingungen zu schaffen, die die Ausbildung von Plattdeutschlehrern nachhaltig fördern. Dies gilt besonders auch für eine Fachdidaktik Plattdeutsch.

Dat langt vundaag nich mehr, wenn de Schölers de Spraak blots mal in Texten bi’t Lesen in’n (Hooch-)Düütschünnericht bemöten doot. Nee, de Schölers mööt Plattdüütsch lehren as anner Fremdspraken, dat se mit de Spraak un Literatur so vertroot warrt, dat se dat Fach bet to’t Abitur wiederlehren köönt. Dorför warrt mehr Schoolmesters ­bruukt, de höchst kompetent in Platt sünd. Dor mutt an de Hamborger Hoochscholen un bi de Schoolbehörd för sorgt warrn, dat op Duer noog Platt­düütsch­lehrers utbillt warrt. Dat gellt besünners för en Fachdidaktik Platt­düütsch.

Aber warum überhaupt noch Platt sprechen?

Cyriacks und Nissen: Das Plattdeutsche als Sprache und die mit ihr verbundene Kultur hat über Jahrhunderte Norddeutschland geprägt und tut es in Teilen noch heute. Diese Prägung geht über ihre Blüte in der Hansezeit weit hinaus. So ist zum Beispiel auch die Hamburger Liedermode um 1900 ohne das Plattdeutsche nicht denkbar. Und auch heute erschließen sich viele Dinge in Hamburg erst dann richtig, wenn man sie über den plattdeutschen Zugang betrachtet. Seien es nun die Namen von Straßen oder Stadtteilen, die von speziellen Gerichten oder andere Hamburgensien.

De plattdüütsche Spraak mit ehr Kultur hett johrhunnertenlang dat Bild vun Norddüütschland bestimmt un deit dat to’n Deel ok vundaag noch. Dat duert also lang länger an as de wichtigste Tiet vun de Hanse. So sünd to’n Bispill ok de Hamborger Leder ut de Tiet üm 1900 nich wegtodenken. Un ok hüüt kannst en Barg Saken eerst denn verstahn, wenn du jüm vun de plattdüütsche Kant ankieken deist. Dat köönt de Naams vun Straten oder Stadtdele, vun spezielles Eten oder ok anner Hamborgensien ween.

Was spricht noch dafür?

Cyriacks und Nissen: Darüber hinaus bietet die Zweisprachigkeit grundsätzlich Vorteile für die Entwicklung eines Menschen, die häufig noch unterschätzt werden. Und in Hamburg ist das Plattdeutsche nun mal der natürlichste und naheliegendste Weg zur Zweisprachigkeit. Damit ist Plattdeutsch sozusagen ein zweites Fenster, aus dem man einerseits die große, weite Welt oder andererseits das Naheliegende in der Hansestadt betrachten kann. Diesen Mehrwert gilt es zu erhalten und zu fördern.

Opto is dat so: Twee Spraken lehren un könen is överhaupt goot för de Entwicklung vun Minschen. Dat hebbt wi faken veel to wenig op de Reken. Un in Hamborg is Plattdüütsch nu mal de natürlichste un kottste Weg to twee Spraken. Un so is Plattdüütsch, wenn een so will, en twetes Finster. Dor kannst du dörkieken un de wiede Welt, aver ok allens dichtbi in de Hansestadt to sehn kriegen. Mit düsse Spraak, dor köönt wi mehr mit sehn. Un dat wüllt wi uns bewohren un wieder op de Been hölpen.

Für Einsteiger: Lernt man Plattdeutsch eher leicht, oder tun sich viele schwer damit?

Cyriacks und Nissen: Den meisten Hochdeutschsprechern fällt es recht leicht, Platt zu lernen, denn die Ähnlichkeiten zu ihrer Erstsprache und zum Englischen, das viele auch erlernt haben, sind sehr groß. Wer dazu noch in Norddeutschland aufgewachsen ist, bringt nochmals verbesserte Voraussetzungen mit. Ihm ist als Beispiel in der Regel klar, dass ein ,g‘ am Ende eines Wortes in Norddeutschland, aber etwa auch in den Niederlanden als ,ch‘ ausgesprochen wird. Er muss dann nur noch von ,Hamburch‘ auf ,Hamborch‘ umlernen.

För de meisten Hoochdüütschen is dat keen grote Last, Platt to lehren. Denn an vele Steden is Platt nich so wiet weg vun jümehr eerste Spraak oder ok vun Engelsch, wat veel vun jüm ja ok lehrt hebbt. Un wokeen ok noch in Nord­düütsch­land groot worrn is, de bringt noch mehr mit. De weet meistens, dat en ,g‘ hier in Norddüütschland oder ok in de Nedderlannen as ,ch‘ utspraken warrt. He mutt denn blots noch vun ,Hamburch‘ op ,Hamborch‘ ümlehren.

Helfen Englischkenntnisse also weiter?

Cyriacks und Nissen: Menschen mit englischer Erstsprache fällt es üblicherweise wegen der verblüffenden Ähnlichkeiten einfacher, Plattdeutsch zu lernen als Hochdeutsch. Aber es nützt ihnen nicht viel, weil sie ohne Hochdeutsch in der Bundesrepublik nicht weit kommen. Aber für alle Menschen gilt, dass ihre Fähigkeit zum Erlernen neuer Sprachen sehr unterschiedlich ist. Manchen fällt es mehr oder weniger zu, sie wie ein Papagei nachzuplappern. Andere müssen sich durch grammatische Regeln und Wörterlisten quälen, um sie sich anzueignen. Voraussetzung ist in jedem Fall Neugier. Und wer die hat, der wird auch beim Plattdeutschlernen schnell Erfolge aufweisen.

För Minschen mit Engelsch as eerste Spraak is dat wegen de Wöör, de meist liek klingen doot, ofteens eenfacher, Plattdüütsch to lehren as Hoochdüütsch. Man dor hebbt se nich veel vun, denn ahn Hoochdüütsch warrst du nich veel in uns Land. Man för all Minschen gellt, dat se en nee’e Spraak ganz ünnerscheedlich goot lehren köönt. Den een fallt dat eenfach so to, un he plappert ehr eenfach so na. Anner mööt sik dör grammatisch Regelwark un Wöörlisten marachen, üm ehr in’n Kopp un op de Tung to kriegen. Op jeden Fall musst du neeschierig ween. Un wenn du dat büst, denn warrst du bi’t Plattdüütsch lehren ganz gau vörankamen.