Hamburg. Die Ausstellung „Can You Hear it?“ im Museum für Kunst und Gewerbe zeigt die Berührungspunkte von Musik und künstlicher Intelligenz.
Seit einigen Wochen traut man beim Musikhören kaum noch seinen Ohren, täglich kommen neue Sonderbarkeiten dazu, die es so nie gab: Paul McCartney, der John Lennons „Imagine“ singt? Die Beatles mit „God Only Knows” der Beach Boys? Freddie Mercury in Michael Jacksons „Thriller” und Lennon arbeitet sich, als hätte er die Britpop-Zeit noch miterlebt, an „Wonderwall” von Oasis ab.
Wer sich beim Trudeln durchs Internet extrastark verstören lassen will – es gäbe auch Donald Trump mit einer schlimmen Mutation von Harry Styles‘ „As It Was“ im Angebot. Eine längere Hitparade aus der Informatik-Nerd-Hölle ist fast mühelos möglich; erschaffen, errechnet, auf die Wirklichkeit losgelassen wurden diese Stimm-Klone durch rasant lernende Computer-Prozessoren. Einige Eingaben für den virtuellen Zauberlehrling hinter dem Monitor, Klick, fertig. Willkommen in der KI-Matrix.
Im Museum trifft künstliche Intelligenz auf echte Töne
Dass das Museum für Kunst & Gewerbe gerade jetzt eine Ausstellung zum Trend-Thema „Musik und Künstliche Intelligenz“ eröffnet, in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Institut für Systematische Musikwissenschaft der Uni Hamburg, könnte wie visionäres Timing wirken, Punktlandung auf DEM Triggerpunkt des Zeitgeists. Wäre aber verkehrt, denn die Planungen dafür zogen sich über zwei Jahre.
Weitergehende Reflexionsansätze fürs Heute oder gar das Morgen liefert diese belehrungswillige Schau allerdings eher nicht. Manches wirkt wie ein Messestand mit Projektvorführungen von Start-up-Unternehmen auf Kapitalsuche. Wer sich auf diese Ausstellung einlässt und sich in ihren zehn Kapiteln an 23 Stationen Wissensportionen abholt, dürfte mit mehr unbeantworteten Fragen als zuvor das Haus verlassen.
Emotions-Landkarten für „verschlagwortete Filmmusik“
Ein erstes Beispiel für das Verwirrungspotenzial: „Welche Musik wird morgen gehört? Was wird morgen gebraucht?“ Diese Fragen zur Wertschöpfungsmaximierung als Rechtfertigung für das KI-basierte Durchsortieren von musikalischen Genres, gestellt durch den Vertreter einer Firma, die 2023 mit optimierten Playlists Abspielgeräte für Hotellerie und Gastronomie betankt? Nun ja. Adorno schrieb schon 1944 weitsichtig seinen kapitalismuskritischen Klassiker „Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug“ über die Ware Kreativität.
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Dass und wie KI populäre Tanzmusik oder Filmmusik-Prototypen nach Parametern in selbstorganisierende „Kohonen-Karten“ einsortieren kann, in neuronale Netzstrukturen also, die beim Datenverzehr eigenmächtig „klüger“ werden, ist als Rechenleistung zweifellos bestaunenswert. Das Anlegen von Emotions-Landkarten für „verschlagwortete Filmmusik“ klingt vor allem nach Dienstleistung, nicht nach Fantasie. Was das für die Verwertungskette bedeutet und für Akteure in einer Musikbranche, die von Streamingdiensten mit mal besseren, mal schlechteren Almosen abgespeist wird? Denkt eine KI über die Urheberrechtsprobleme nach, die sie ignorieren kann? Die Schau weiß es auch nicht. Unschöne neue Musikwelt.
Visualisierung von Schallwellen
Stattdessen beweist die Ausstellung durch Visualisierung farbig flirrender Schallwellen in Resonanzböden, dass ein historisches Cembalo ganz anders klingt als ein moderner Konzertflügel, während beides grundsätzlich Tasteninstrumente sind. Erstaunlich nur für alle, denen Äpfel ganz anders schmecken als Birnen, obwohl beides Obst ist. Dass ein fabrikneues Klavier anders klingt als ein Instrument, das länger im Gebrauch ist, hat allen fleißig ermittelten und gebündelten KI-Messwerten zum Trotz einen ähnlich überschaubaren Sensationsgehalt. Ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sich die Ausstellung auf das „Was geht?“ der KI beschränkt, anstatt sich um ein „Wofür eigentlich?“ zu bemühen, das nicht nach Kapitalisierung riecht.
Wie sehr es in die Hose geht, wenn man einer KI die Fragmente von Beethovens Zehnter zum Fertigmachen übergibt, um daraus eine Marketing-Aktion für ein Telekommunikationsunternehmen basteln zu lassen, wurde im Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 schon angemessen durch den Kakao gezogen. Eine der Ausstellungsetappen bietet an, mit der „Ricercar“-Software (kleiner Insiderwitz, weil sie nach einem Kompositionsschema aus der Renaissance benannt wurde) Klassiker von Beethoven, Bach, Mendelssohn oder Schumann in verschiedenen Alternativen „neu“ „weiter“ zu schreiben. Das Ergebnis: Ein Retorten-„Opus“ ist banaler und verstolperter als das andere. Gut zu wissen, dass KI – zumindest Stand 2023 – aus sich selbst heraus keine schönen Götterfunken produzieren kann. Sondern höchstens so tut, als ob.
Risiken und Nebenwirkungen
Ebenfalls schwierig wird es beim Kapitel „KI und Ethnologie“, das der Musikwissenschaftler und Kurator Rolf Bader als „hochaufgeladenes, sehr sensibles Thema“ bezeichnet. Nach China fahren, die Musik von Volksgruppen wie den Uiguren und den Kaichin durch KI nach Parametern ethnischer Merkmale durchkategorisieren zu lassen, um ablesbar zu machen, wer wohin gehört – kann man inzwischen machen, der Info-Tafel dazu lautet vorsorglich: „KI (…) ist grundsätzlich neutral. Allerdings kann sie auch missbraucht werden.“ Schon ab dem zweiten Gedanken an die Möglichkeiten, die diese Technik einem autoritären und Hightech-affinen Staat wie China bieten könnte, wird einem sehr schnell ziemlich anders. Die Ausstellung, so Museumsdirektorin Tulga Beyerle, solle zeigen, „wie sinnvoll und wertvoll KI“ sei. Sie zeigt aber vor allem, wie komplex die Auseinandersetzung mit Risiken und Nebenwirkungen zu sein hat.
„Can You Hear It?“ Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, bis 31.10. Zur Ausstellung wird ein Rahmenprogramm angeboten. Weitere Informationen: www.mkg-hamburg.de