Patricia Arquette als Stehauffrau in der Wüste: Pillen einschmeißen, labern, Hochkultur-Wissen droppen – großes Veteranenkino.

Nach einem bewusstseinserweiterten Abend ist ihr Auto oben ohne. Peggy Newman hat die Karre unter einen Truck gemäht. Und dabei gottlob den Kopf eingezogen. Ihr ist nichts passiert. sie wacht dann morgens planlos im demolierten Auto auf. Der Schrotthaufen ist eine Metapher: Peggys Leben sieht genauso aus. Aber sie macht weiter. Ramponiert, aber unverdrossen.

Das ist das Thema der neuen Apple-TV-Serie „The Desert“ (im Original: „High Desert“ – eine ganz und gar planlose Umbenennung für den deutschsprachigen Markt), die Erstaunliches schafft. Sie erzählt von der Tragik des White Trash, indem sie völlig frei drehend zwischen den Polen albern und abgedreht oszilliert – auf absurd gebürstet und auf kunstvolle Weise bisweilen noch nicht mal richtig komisch. „The Desert“ hat’s nicht so mit Krawallhumor und erinnert mit seiner Lust am Bizarren an die Coen-Brüder.

Neue TV-Serie „The Desert“: Peggy ballert sich mit Schmerztabletten weg

Im Zentrum der Serie steht also Peggy, die Frau, deren Leben mit dem Begriff „trist“ nur unzulänglich beschrieben ist. Sie lebt in der Wüste Kaliforniens, im Yucca Valley. Allein das ist schon bitter genug; wenn schon Kalifornien, dann doch bitte mit Meerzugang. Peggy ist über 50, lebt entfremdet von ihrem Sohn im Haus ihrer Kindheit. Die Mutter ist gerade gestorben, was ihr schwer zu schaffen macht.

Außerdem nörgeln Peggys Geschwister Diane (Christine Taylor) and Stewart (Keir O’Donnell) an ihr herum: Als Repräsentanten stabiler Bürgerlichkeit, die auf die kaputte ältere Schwester hinabblicken. Peggy war im Knast, weil sie mit Drogen dealte, die sie noch lieber aber selbst nahm. Sie wäre gerne eine Ex-Abhängige, die ihr Methadon-Programm diszipliniert durchzieht. Ist sie aber nicht. Peggy ballert sich immer noch gerne mit Schmerztabletten weg.

Patricia Arquette: Höchstform in einer neuen Dark Comedy

Weshalb „High Desert“ (Doppeldeutiges muss nicht subtil sein) auch von der gigantischen Opioid-Krise der USA handelt. Das strauchelnde Amerika als Dark Comedy ist mal ein neuer Angang, wo Crime-Epen wie „Breaking Bad“ und „Ozark“ die Drogen-Erzählung längst schon auf Unterhaltungsplateaus gehoben haben, die schwer zu toppen sind. Was einen dann endlich zu Patricia Arquette bringt, deren Darstellung von Prekär-Peggy die Serie trägt. Beim Apple-Großwerk „Severance“ arbeitete Arquette bereits mit dem auch bei „The Desert“ als Produzenten beteiligten Ben Stiller zusammen, aktueller Status: spätes Karriere-hoch.

Während sie, zugedröhnt oder nicht, durch den Alltag watet, also irgendwie ihr Leben finanziell auf die Reihe kriegen will, verliert Peggy nie ihren Enthusiasmus: Sie würde einem einen Scheißhaufen als leckeren Schokopudding verkaufen. In einer lächerlichen Westernshow tritt sie auf; und sie heuert bei einem Wrack von Privatdetektiv an (Brad Garrett). Ja, hier haben alle schon bessere Zeiten gesehen. Auch der Ex-Nachrichtensprecher Bob (Rupert Friend), der gefälschte Gemälde verkauft, wenn er nicht gerade als Pseudo-Guru das Valley heimsucht.

Apple-Serie „The Desert“: Natürlich eine total unplausible Story

Arquette spielt die deklassierte Drogen-Lady furchtlos: Wir sehen sie unter anderem mit heruntergelassener Hose beim erfolglosen Pipi-Versuch in der Methadon-Klinik. Bis die natürlich total unplausible Story um gefälschte Meisterwerke, eine tote Künstlerin und die verarmte Peggy, die einmal noch einen großen Coup landen will, indem sie womöglich einen Kriminalfall löst, in die Gänge kommt, hat man sich schon ein bisschen in die Hauptfigur verliebt.

Wie auch nicht. Die rhetorisch nie Pause machende Laberbacke Peggy („Bitte schmeiß die Beatles nicht in die Toilette“, „Ich weiß, Wagner war ein Nazi, aber ...“) mag zwar ganz unten angekommen sein, hochkulturelles Wissen droppt sie dennoch gerne. Und zwar jedes Mal, wenn (das Display ist zersplittert, eh klar) Smartphone klingelt; da ertönt der Walkürenritt. Richard Wagner ruft an! Könnte auch ein Coppola-Zitat sein, sicher – Apropos: Dies ist eine Apple-Serie, sie hat schöne Bilder und Kameraeinstellungen.

Neue TV-Serie Patricia Arquette als Peggy Newman: Die sind alle so weird hier

Und wenn Peggy einen Alias braucht, nennt sie sich Sylvia Plath. Sie kann außerdem schlaue Sätze zu Cezanne sagen und erkennt einen Picasso sofort, kann aber keinen normalen, seriösen Job ausüben. Die Figur Peggy ist wie alle anderen in diesem ambitionierten Entertainmentwerk auf Weirdo getunt. Sie sind seltsam, diese Wüstenmenschen, aber warum? Sind es allein die Drogen?

Peggys Kampf gegen die Dämonen der Vergangenheit – Rückblenden erklären ihr Gewordensein – und die Versuchungen des Ungesetzlichen wird von einem Plot (Drehbuch: Nancy Fichman, Katie Ford, Jennifer Hoppe-House) umrahmt, der vor Ideen sprudelt. Klar ist das alles ziemlich überladen, bei „The Desert“ wird ordentlich zugelangt. Peggys Noch-Ehemann Denny ist ein charmanter Gauner, der gerade aus dem Knast entlassen wurde, und nicht unwichtig ist für den Ton, den die Serie setzt. Denny hat kein Interesse daran, auf Verbrechen zu verzichten. Aber er ist doch ganz harmlos. Und irgendwie auch ein guter Mensch. Gespielt wird er von Matt Dillon: „The Desert“ ist ein Treffen der Hollywood-Veteranen.

Und dann besonders überzeugend, wenn es leicht surreal wird. Peggys Mutter Rosalyn (Bernadette Peters), sie ist eigentlich tot, stapft fortwährend als Doppelgängerin durch die Szenerie. Warum nicht, sagt sich Peggy, ist doch gut, von wegen Katharsis und so.

„The Desert“, ab 17.5. auf Apple TV