Hamburg. Christopher von Deylens Projekt Schiller überzeugt in der Barclays Arena. Warum es trotzdem kein Heimspiel ist.

Es ist erst mal leicht, Schiller nicht zu mögen. Diese ewig sanften Harmonien. Diese Ambient-Flächen, die klingen wie der Soundtrack zu einem Drohnenflug über Gletscherlandschaften. Dieses Bildungsgehubere, das sich schon im Namen des Musikprojekts um Christopher von Deylen manifestiert.

„Schiller“, der Dichterfürst? Meine Güte, da hat es von Deylen aber nötig, klarzustellen, dass er nicht nur ein Stranddisco-Publikum auf Ibiza mit smoothen Beats unterhalten will, sondern dass er ein richtiger Künstler ist!

Barclays Arena bei Schiller-Auftritt nicht ausverkauft

Dann beginnt das Konzert am Sonnabend schlag acht in der (nicht ausverkauften) Barclays Arena mit einem etwas unbeholfenen Progrock-Intro, bei dem jeder Musiker sich kurz solistisch einführt: Martin Fischer am Schlagzeug, Ro Nova an der Keytar (ein umgehängtes Keyboard), Günter Haas an der Gitarre. So geht das minutenlang. Es ist langweilig. Aber es ist auch sympathisch, wie von Deylen jedem seiner insgesamt sechs Mitstreiter so ein paar Momente Rampenlicht gönnt. Das gibt den Ton des Abends vor: Was Schiller hier macht, erfindet die elektronische Popmusik nicht neu. Aber es ist grundsympathisch.

Diese sympathische Haltung verschafft einem dann doch ziemlich schnell einen Zugang zum Auftritt. Klar, das Verstörungspotenzial von Ambient geht gegen null, aber erstens weiß man das schon vorher und zweitens glaubt man von Deylen, dass er diese Musik wirklich mag, die wattigen Bässe in „Empire Of Light“, die Flamenco-Gitarren in „El Color De La Luz“, die Gesangsharmonien in „Illuminate“, das im Grunde ein perfekter Popsong ist, wenn man den etwas nervigen Kunstanspruch rausrechnet.

Schade, dass das ein Sitzkonzert ist – man würde sich gerne bewegen

Das ist alles schon in sich stimmig, und der Meister weiß ja auch, was Sache ist. „Es wäre vermessen, hier von einem Heimspiel zu sprechen“, begrüßt er das Publikum. „Nur weil ich ein paar Jahre in Barmbek-Süd gewohnt habe. In der Bachstraße, im Komponistenviertel, wo ich ,Das Glockenspiel‘, naja, komponiert habe.“ Von Deylen wäre gerne E-Musiker, aber er ist sich darüber im Klaren, dass er vor allem ein hochtalentierter Popmusiker ist. Also konzentriert er sich in seinem Hamburger Auftritt auf den Pop-Charakter seiner Musik, „Miracle“, „Over You“, „Quiet Love“, alles tolle Songs, die sich einem ins Ohr schmeicheln und dann dort festsetzen. Eigentlich schade, dass das ein Sitzkonzert ist – man würde sich ganz gerne bewegen zu dieser Musik.

Von Deylen, Jahrgang 1970, liebt den Synthiepop und (punkfernen) New Wave der Achtzigerjahre, das wird im Laufe des Konzerts immer deutlicher. Wobei er in seiner Heimatstadt Visselhövede bei Bremen wahrscheinlich nicht wirklich die coolen Beispiele der damaligen Charts gehört hat: Alphaville sind erklärte Vorbilder, manchmal hört man Bands wie A Flock Of Seagulls raus, Mike Oldfield, oder, wenn Akustikgitarristin Tricia McTeague oder Keyboarderin Ro Nova ans Mikro treten, auch den hochproduzierten Powerpop einer Bonnie Tyler. Kann man machen.

Junge Hipsterbands wie Roosevelt bauen diesen Sound ebenfalls gekonnt nach, und niemand wirft denen ihr musikhistorisches Bewusstsein vor. Nur Schiller umweht immer ein wenig der Hauch des Überambitionierten, nicht wirklich zu Recht.

Barclays Arena: Von Deylen holt Musikerin Yalda Abbasi auf die Bühne

Denn zwischendurch traut sich von Deylen auch mal etwas. Zur Konzertmitte holt er die iranische Musikerin Yalda Abbasi auf die Bühne, die mit ihrer Stimme und ihrem persischen Lauteninstrument Dota den Saal sofort für sich einnimmt. Die Band derweil breitet mit ihren unzähligen Synthesizern den Soundteppich für die Songs „Das goldene Tor“ und „Love And Peace“ aus, und dass von Deylen dieses Zurücknehmen des eigenen Beitrags mit einem lakonischen „Da kommt man schon ins Nachdenken!“ kommentiert, das zeigt auch wieder: Das Grundkonzept seines Projekts mag einen Zug ins Wichtigtuerische haben, er selbst ist aber kein Wichtigtuer. Der ist jemand, der bereit ist, die Begeisterung des Publikums auf die Musikerin umzuleiten, die diese Begeisterung verdient hat.

Lange bedankt er sich bei seiner (durch die Bank tollen) Band. Dann bedankt er sich bei den Tontechnikern (die es geschafft haben, den Sound nach den ersten, in den Höhen etwas scharfkantigen Songs, perfekt einzupegeln), er dankt dem Licht, der gesamten Crew. Dann endet dieses schöne, sympathische Konzert so, wie es begonnen hat: Schiller spielt „Harmonia“, nach und nach verlassen die Musiker die Bühne, eine Verbeugung, ein Winken, schließlich bleibt ein sanftes Dröhnen im Raum hängen.

Und man mag Schiller, es hilft alles nichts.