Hamburg. Nach Aufruhr im Hamburger Traditionstheater will die neue Vorsitzende Sandra Keck nun Heidi Mahler ins Kontrollgremium holen.
Wer aufmerksam durch die Stadt geht oder fährt, wird an einigen Litfasssäulen ein Plakatmotiv von zehn Menschen mit dem Schriftzug „Mittendrin“ entdecken. Es zeigt das aktuelle Ensemble des Ohnsorg-Theaters.
Eine, die bis Mitte 2020 als Schauspielerin mittendrin war, ist bald wieder dabei: Sandra Keck. Die Künstlerin, drei Jahrzehnte lang festes Ensemble-Mitglied am Ohnsorg, war am vergangenen Wochenende bei der jährlichen Mitgliederversammlung des Vereins Niederdeutsche Bühne Hamburg überraschend zu dessen Erster Vorsitzenden gewählt worden – in geheimer Wahl gegen den langjährigen Vorsitzenden Christian Breitzke, einen Juristen.
Ohnsorg-Theater: Heidi Mahler soll in den Aufsichtsrat
Die Niederdeutsche Bühne Hamburg ist auch Eigentümerin der Ohnsorg-Theater GmbH, und der Gesellschaftervertrag sieht vor, dass der erste und der zweite Vorsitzende auch Aufsichtsratsvorsitzender der GmbH sind.
Das war Sandra Keck durchaus bewusst. Am Donnerstagnachmittag äußerte sich die 55-Jährige erstmals nach ihrer Wahl ausführlich gegenüber dem Abendblatt. „Ich bin vor vier Jahren schon einmal gefragt worden, gegen Christian Breitzke zu kandidieren“, erläutert sie. Damals habe sie jedoch als fest engagierte Schauspielerin in einem Abhängigkeitsverhältnis gestanden. Nun sei sie von einem Teil der Belegschaft erneut gebeten worden, zu kandidieren.
Der gewählte zweite Vorsitzende nahm die Wahl nicht an
„Der bisherige Aufsichtsrat ist nicht besonders nahbar gewesen“ – diesen Satz hatte Sandra Keck, so berichtet sie, im Vorfeld öfter zu hören bekommen. Der stellvertretende Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzende Eggert Voscherau, jüngerer Bruder des 2016 gestorbenen Hamburger Ex-Bürgermeisters Henning Voscherau, wurde zwar vom Plenum der Niederdeutschen Bühne mehrheitlich im Amt bestätigt, nahm die Wahl jedoch nicht an. „Uns fehlt der zweite Vorsitzende“, räumte Keck ein. „Wir gehen jedoch intensiv auf die Suche.“
Derzeit hat das Gremium nur drei statt der üblichen sieben Mitglieder. Sandra Keck kündigt jedoch für den zum neuen Geschäftsjahr ab 1. August verantwortlichen Aufsichtsrat einen prominenten Zugang an: Heidi Mahler, die Tochter der legendären Heidi Kabel, sei bereit, im Aufsichtsrat mitzuwirken. Die Schauspielerin wäre dann ein sogenanntes bestelltes Aufsichtsratsmitglied, eingesetzt vom zweiköpfigen Vorstand.
Der Aufsichtsrat hat primär die Aufgabe, die Bilanzen zu kontrollieren und den Intendanten zu bestellen. Der heißt Michael Lang, und dessen Vertrag wurde vom bisherigen Aufsichtsrat des Ohnsorgs erst im Frühjahr 2022 um fünf weitere Jahre bis Mitte 2027 verlängert.
Ohnsorg: Ist es eine Revolution, ein Putsch oder ein Affront?
„Herr Lang hat das Haus fantastisch durch die Zeit der Corona-Krise gesteuert“, lobt Keck den studierten Kulturmanager, der 2017 von der Komödie Winterhude an den Heidi-Kabel-Platz gewechselt war, damals auf Empfehlung seines Vorgängers Christian Seeler. „Doch nun gilt es an frühere Erfolge des Hauses anzuknüpfen.“ Und den sehen Sandra Keck und viele, die schon seit Jahren hinter den Kulissen des Ohnsorgs arbeiten, offenbar gefährdet. Kecks Wahl ist Ausdruck dessen, ob man es nun als Revolution, Putsch oder Affront auffasst.
„Es gilt, manches zu hinterfragen“, sagt sie. Und: „Die Mitglieder des Vereins haben nun mal die Macht, den Vorstand zu bestimmen“, so Sandra Keck. Die gebürtige Cuxhavenerin verweist an den Satzungszweck des Vereins Niederdeutsche Bühne, der die Förderung von Kunst und Kultur hat, insbesondere durch die Förderung von Aufführungen von Bühnenwerken, Vorträgen, Publikationen und Matineen in niederdeutscher Art und Sprache sowie die Unterstützung des Ohnsorg-Theaters.
Sandra Keck: Dass Hochdeutsch gesprochen wurde, gab es im Ohnsorg auch früher schon
„Dass ein Beamter in einem Stück über den spitzen Stein stolpert und Hochdeutsch spricht, das gab es ja früher schon bei uns“, erinnert sich die auch als Regisseurin, Autorin und Sängerin tätige Keck. Erst in der Vorwoche hatten Lang, für Anfragen vorerst nicht erreichbar und dem Vernehmen nach krankgeschrieben, und Oberspielleiter Murat Yeginer bei der Vorstellung des Spielplans für die Saison 2023/24 darauf verwiesen, dass die Stücke nur noch hochdeutsche Titel tragen sollte – der allgemeiner Verständlichkeit wegen. Hochdeutsche Sprachanteile seien – wenn dramaturgisch sinnvoll – mehr denn je zugelassen.
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Die im Norden noch immer populäre und als Ohnsorg-Frau geltende Sandra Keck tourt derzeit mit einem Soloabend. Für Ende Januar 2024 wurde ihr Programm „Sabbel nich – Sing!“ in der Vorwoche auch bei der Spielzeit-Pressekonferenz angekündigt, es soll eine ausgewogene Mischung aus Platt und Hochdeutsch sein.. Als (ehrenamtliche) Aufsichtsratvorsitzende einen Gastspiel-Vertrag mit der Ohnsorg-Theater GmbH zu haben, wäre indes ein Interessenkonflikt. Keck wurde bereits nahegelegt, diesen zu kündigen. Sie wird es wohl tun (müssen).
Es wird nächste Woche Gespräche in der Hamburger Kulturbehörde geben
Und die Künstlerin hat in ihrer neuen Funktion für die nächste Woche bereits Termine bei der Hamburger Kulturbehörde gemacht, lässt sie im Abendblatt-Gespräch durchblicken. Und das wohl nicht nur mit Referenten.
Auch mit Lang und Yeginer, der nach ihrer Wahl auf der Versammlung mündlich seinen Rücktritt als künstlerischer Leiter des Ohnsorgs erklärt hatte, will Sandra Keck das Gespräch suchen. „Ich möchte dem Ohnsorg auf keinen Fall schaden“, sagt sie.
Denn das Drama um die Wahl des Aufsichtsrats und mehrerer folgender Rücktritte stand so schließlich auf keinem Spielplan. Fortsetzung folgt.