Hamburg. Tamara Stefanovich springt für Yuja Wang ein – und spielt dadurch eine dreitägige Konzert-Langstrecke in der Elbphilharmonie.
Die Orchesterprobe mit dem NDR und Esa-Pekka Salonen endete gut eine Stunde früher als geplant? Vielleicht nicht das schlechteste Vorzeichen. Die dadurch gewonnene Zeit kann die Pianistin Tamara Stefanovich bestens gebrauchen. Denn von jetzt auf gleich hat sie zugesagt, an diesem Wochenende zweimal das 3. Klavierkonzert von Magnus Lindberg zu spielen, als Last-minute-Einspringerin für die erkrankte Yuja Wang. Lindberg hatte es Wang auf die rasant schnellen Finger komponiert, im Oktober wurde es von ihr und Salonen in San Francisco uraufgeführt. Und an diesem Sonnabend, dem Tag zwischen den Kraftakten mit Orchester, hat Stefanovich ihren eigenen, fünfstündigen Sonaten-Marathon im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, der an sich schon anstrengend genug gewesen wäre.
Hamburger Abendblatt: Wann und wie haben Sie dieses Angebot bekommen?
Tamara Stefanovich: Um Mitternacht am Freitag, meine Agentin schrieb mir nur: Hättest Du Lust auf das Lindberg-Konzert? Und ich dachte, ja, er steht schon sehr lange auf meiner Liste der Komponisten, die ich noch kennenlernen möchte. Ich war gerade beim Abendessen, mit nicht wenig Wein. Mein Enthusiasmus war ziemlich groß, realitätsfern war ich auch. Und dachte: herrlich, wunderbar. Am nächsten Morgen bekam ich die Noten und machte mir einen Kaffee.
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Ganz nüchtern hätten Sie also nicht zugesagt?
Wirklich nüchtern bin ich nie, ich träume immer sehr weit. Ich will kein normales Leben führen, deswegen passt das. Kurzfristig eingesprungen bin ich schon oft, meine Nerven sind in dieser Hinsicht ziemlich stabil. Aber so ein Stück in so kurzer Zeit zu lernen? Ich glaube, das ist die höchste Herausforderung, die ich je hatte. Doch es ist auch wichtig, dass man seine Rolle als Interpret gut versteht. Wir sind für die Komponisten hier. Wenn ein befreundeter Dirigent fragt, den ich so schätze wie Esa-Pekka, nimmt man all seine Kräfte zusammen und tut, was man kann.
Konzert-Langstrecke: „Es gibt jetzt wirklich nur üben, schlafen und essen“
Wo auf der Skala von 1 – kein Problem – bis 10 – um! Himmels! willen! – verorten Sie dieses Stück?
170. Es ist nicht an sich unspielbar. Bei Ligetis Klavierkonzert bin ich nach wie vor immer kurz vor dem Herzinfarkt. Hier ist die Menge an Noten erstaunlich, die Dauer auch, und das ist kein minimalistisches Konzert. Das ist ein absolut maximalistisches Konzert, das sehr viel erzählen will und sich wirklich nicht versteckt.
Lindberg lebt, haben Sie sich mit ihm schon kurzgeschlossen?
Magnus kommt morgen, ich habe schon eine Liste mit Fragen vorbereitet.
Die erste Frage: Bist Du denn irre?
(lacht) Wir sind alle verrückt.
Die erste Probe heute lief wie?
So, dass ich nicht in Ohnmacht gefallen bin. Meine erste Hoffnung hat sich also schon mal erfüllt.
Zwischen Ihren Orchester-Terminen haben Sie Ihren Marathon mit 20 Sonaten. Ist das alles schon so solide geübt, dass Sie zeitlich klarkommen?
Es gibt jetzt wirklich nur üben, schlafen und essen. Seit Sonnabend hat mich mein Kind kaum gesehen oder hat neben mir gespielt, während ich geübt habe.
Konzert-Langstrecke: „Eine normale Pianistin wollte ich nie sein“
Was ist der größere Brocken? Wovor haben Sie mehr Respekt?
Ich glaube, wir sind in einer Gesellschaft, die ständig Triumphe sammelt oder wartet, dass jemand triumphiert oder nicht triumphiert. Aber viel wichtiger ist, dass man genau weiß, welche Leidenschaft einem wichtig ist. Ich bekomme jetzt mehr Musik zu spielen, das ist doch herrlich. Es darf nicht bloß die Bewältigung einer Aufgabe sein. Ich muss dieses Konzert so präsentieren, dass sich das Publikum in das Stück verliebt, nicht in mich.
Eigentlich können Sie doch nur gewinnen. Selbst wenn Sie mittendrin schreiend rausrennen, würde Ihnen das niemand übelnehmen, weil Sie sich auf etwas eingelassen haben, was keine normale Pianistin machen würde.
Na ja, eine normale Pianistin wollte ich nie sein. Aber noch einmal: Im Zentrum müssen der Komponist und dieses Werk stehen.
Was hilft Ihnen gegen diese Art Stress, wie gehen Sie mit dieser Sorte Druck um?
Mein Leben verlief etwas anders als das der Menschen, die in so ein Konzert kommen. Wegen des Bürgerkriegs in Jugoslawien habe ich zehn Jahre lang gar nicht gespielt. Ich habe eine Trennung hinter mir, bin alleinerziehend, hatte Krankheiten, hatte sehr lange gar keine finanziellen Mittel. Das heißt: normaler Stress wegen eines Konzerts bedeutet mir wirklich absolut nichts. Meine Prioritäten bleiben immer gleich, egal, ob ich eine Suppe koche, mit meinem Kind spiele oder jetzt dieses Lindberg-Konzert spiele. Alles ist gleichermaßen wichtig. Es darf nicht sein, dass man das Leben in Wichtigkeitsstufen unterteilt.
Haben Sie sich schon eine Selbstbelohnung für Sonntag vorgenommen, sobald auch der dritte Konzerttermin überstanden ist?
Alles ist ein Geschenk – in diesem wunderschönen Gebäude zu sein, mit phänomenalen Kollegen und Dirigenten zu arbeiten. Konzerte zu geben. Ich armes Opfer muss mich belohnen? Meine Belohnung ist, dass man am Leben ist. Ich sehe das Leben nicht so, dass man mir etwas schuldet oder dass ich etwas Besonderes bin. Am Leben zu sein ist schon ziemlich groß.
Konzerte: 5.5., 20 Uhr/7.5., 11 Uhr: Lindberg-Klavierkonzert Nr. 3, Elbphilharmonie, Gr. Saal. Evtl. Restkarten an den Tageskassen. 6.5., 17 Uhr: Sonaten-Marathon, Kl. Saal. Karten ab 18 Euro.