Hamburg. In „Die Gewerkschafterin“ spielt Isabelle Huppert eine Kämpferin, die zum Verstummen gebracht werden soll.
Um Isabelle Huppert muss man sich eigentlich nicht sorgen. Ihre Filmfiguren haben zwar immer etwas Unterkühltes, Unnahbares. Und oft verhalten sie sich nicht so, wie die Gesellschaft das erwarten würde. Aber sie sind dabei immer stark und selbstbewusst. Und lassen sich nichts gefallen. Schon gar nicht von Männern. Ein Musterbeispiel dafür war Paul Verhoevens provokanter Film „Elle“ (2016), in dem der französische Star eine Frau spielte, die vergewaltigt wurde, aber so tat, als sei nichts gewesen. Bloß kein Opfer sein.
Umso größer nun der Schock, la Huppert jetzt im Film „Die Gewerkschafterin“ zu sehen. Auch hier tritt sie als Maureen Kearney zunächst stark und streitbar auf. Als Gewerkschafterin im französischen Nuklearindustriekonzern Areva setzt sie sich für Tausende Arbeiter ein, kämpft für Kündigungsschutz, für Weiterbildung für Frauen und Gleichberechtigung in Führungsetagen.
Kino Hamburg: Isabelle Huppert im Fadenkreuz toxischer Männlichkeit
Aber als die Chefin des Konzerns bei der Politik in Ungnade fällt, schlägt ihr sofort ein anderer Wind entgegen. Der Nachfolger Luc Oursel (Yvan Attal) ist ein Choleriker, der sie einzuschüchtern versucht, ihr offen droht, sogar vor aller Augen einen Stuhl nach ihr wirft. War die Arbeitsatmosphäre bisher von Vertrauen geprägt, ist sie nun durch toxische Männlichkeit und unverhohlene Misogynie vergiftet.
Noch ist Kearney ganz Kämpferin. Als sie durch einen Informanten erfährt, dass Oursel einen Deal mit Billigfirmen in China plant, will sie das offenlegen und bis zu den höchsten Stellen gehen. Aber da wird nicht mehr nur gedroht. Am Tag, als sie den französischen Präsidenten informieren will, wird sie in ihrem eigenen Zuhause überfallen. Ihre Haushälterin findet sie im Keller, gefesselt und verletzt. Jemand hat ihr mit einem Messer ein „A“ auf den Bauch geritzt. Und den Griff des Messers in die Scheide gepresst.
Das Opfer verbrennt den Stuhl, auf dem es gemartert wurde
Die Parallele zu „Elle“ ist augenfällig. Aber diese Huppert-Figur steckt das nicht so einfach weg. Zwar will auch sie den Überfall zunächst am liebsten vertuschen, geht danach mit dem Hund Gassi und verbrennt den Stuhl, auf dem sie gemartert wurde. Eine klassische Huppert, möchte man meinen. Aber ihr Ehemann drängt sie doch, zur Polizei zu gehen.
Dort aber mag man ihr nicht recht glauben. Wieder und wieder werden ihr dieselben Fragen gestellt, natürlich ausnahmslos von Männern, die sich nicht eben feinfühlig gerieren. Dabei muss man nun erleben, wie die Frau zunehmend verunsichert und verstört wird. Wie der Druck auf sie zunimmt. Und Kearney darüber fast depressiv wird.
Eine unbequeme Streiterin soll zum Verstummen gebracht werden
Da soll eine unbequeme Streiterin gebrochen, eine lästige Stimme zum Verstummen gebracht werden, mit allen Mitteln der Macht. Dass diese Frau von Isabelle Huppert gespielt wird, die man mit einem ganzen Arsenal starker Frauen verbindet, verstärkt diese Verstörung, macht sie komplett. Am Ende wird Kearney sogar vorgeworfen, den Überfall nur vorgetäuscht zu haben.
Der Fall basiert auf einem wahren Fall, der 2012, noch unter Präsident Hollande, als „Affäre Maureen Kearney“ bekannt geworden ist – und sich bis ins Jahr 2018 zog. Die Investigativjournalistin Caroline Michel-Aguirre hat das in dem Buch „La syndicaliste“ aufgearbeitet. Regisseur Jean-Paul Salomé sah in dem Stoff sofort einen Film. Und wusste auch gleich, dass nur eine dafür infrage kam: Isabelle Huppert, mit der er zuletzt „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ gedreht hat.
Manches erinnert an den Film „Silkwood“ mit Meryl Streep
„Die Gewerkschafterin“ wird mit den klassischen Mitteln des Thrillers erzählt. Beginnend mit dem Überfall wird der Fall aufgerollt. Wobei sich allmählich eine schleichende Paranoia entwickelt. Dabei spielt Salomé bewusst mit Zitaten. Wenn Kearney etwa nachts im Auto verfolgt und im Rückspiegel geblendet wird, muss man sofort an „Silkwood“ von 1982 denken, einen Film, der ebenfalls auf wahren Begebenheiten basiert und in dem Meryl Streep als Gewerkschafterin gegen einen übermächtigen Atomkonzern agiert. Dieses Filmzitat steigert den Nervenkitzel noch. Weiß man doch, dass Silkwood auf mysteriöse Weise ums Leben kam. Und sorgt sich umso mehr auch um Kearney.
Der Film erlaubt sich dabei eine Dramaturgie, die man zumindest als schwierig bezeichnen darf. Der Überfall wird lange nicht gezeigt. Das ist auch gut so, denkt sich der Zuschauer, man muss nicht jeden Gewaltakt ausschlachten. Aber durch das Nichtzeigen wird er fast noch mehr ausgeschlachtet. Weil die Ermittler immer unverschämter die These aufstellen, dass es diesen Übergriff nie gegeben habe, dass er nur inszeniert worden sei, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten.
Der Überfallenen soll die Glaubwürdigkeit genommen werden
Für eine kurze Zeit ist man da auch als Zuschauer nicht mehr ganz sicher, ob man dieser Figur, mit der man doch bis dahin die ganze Zeit mitgelitten und -gezittert hat, noch glauben kann. Ein Gedanke, für den man sich, noch nicht zu Ende gedacht, schon schämt. Weil man ja genau in die Falle tappt, die da ausgelegt wird: um ein Opfer zu diskreditieren, ihm noch sein Letztes, die Glaubwürdigkeit, zu nehmen.
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Am Ende wird auch Kearney wieder zu einer typischen Huppert-Figur, die ihre Ängste überwindet und doch nicht klein beigibt. Und Madame spielt das mit einer Souveränität und Klasse, die alles überstrahlt und dieses Drama zu einem wichtigen und nötigen Film macht. Die kleine Irritation aber bleibt. Kann man eine solche Figur, um des bloßen Spannungsbogens willen, infrage stellen, wenn auch nur für wenige Momente? Und, auch diese Frage muss erlaubt sein, hätte eine Filmemacherin diesen Coup angewendet? Es darf bezweifelt werden.
„Die Gewerkschafterin“ 121 Minuten, ab 16 Jahren, läuft im 3001, Blankeneser, Koralle, Passage