Hamburg. Sonntag feiert „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer“ Uraufführung – der Sieger des Wettbewerbs „Große Freiheit Schreiben“.

„Die Themen liegen auf der Straße“, lautet eine Weisheit des guten alten Journalismus. Doch manchmal muss man sie etwas länger suchen, um sie zu finden und interessant aufzubereiten Wie aber geht das am Theater? Noch dazu bei einer regional verwurzelten Traditionsbühne wie dem Ohnsorg?

Das Theater fürs Niederdeutsche hatte bereits unter seinem langjährigen Intendanten Christian Seeler eine behutsame, indes erkennbare Abkehr von angestaubten Bauernschwänken vollzogen und diesen Kurs seit Mitte 2017 unter seinem Nachfolger Michael Lang fortgesetzt. Schließlich soll das Ohnsorg, seit fast zwölf Jahren im Bieberhaus am Hamburger Hauptbahnhof ansässig, auch Themen einer modernen Stadtgesellschaft aufgreifen und abbilden.

Dank Autoren-Wettbewerb: Ohnsorg-Theater hat neue Stücke gefunden

Weil neue zeitgemäße Stoffe in Deutschland eben nicht abholbereit auf der Straße zu finden sind, hatte das Ohnsorg im Frühjahr 2021 den Autoren-Wettbewerb „Große Freiheit Schreiben“ ins Leben gerufen, maßgeblich initiiert vom seit Mitte 2018 amtierenden Oberspielleiter Murat Yeginer. Er hatte das ungewöhnliche Projekt mit Ohnsorg-Dramaturgin Anke Kell angeschoben. An diesem Sonntag feiert das im Vorjahr nach einer Leseprobe der drei Finalisten vom Publikum ausgewählte Siegerstück von Tatjana Kruse, „Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer“, am Heidi-Kabel-Platz Uraufführung.

Das Ganze war ein langer und arbeitsreicher, jedoch ebenso spannender Prozess, sagt Anke Kell. Zunächst musste für „Große Freiheit Schreiben“ – die Ausschreibung lief von April bis Ende Juli 2021 – erst mal die Werbetrommel gerührt und die Finanzierung gesichert werden. Die damalige, findige Marketingleiterin Simone Schmidt und die Stiftung zur Förderung des Ohnsorg-Theaters halfen, denn die ursprünglich veranschlagte Crowdfunding-Summe von 15.000 Euro reichte nicht.

Aus rund 150 eingesandten Exposés entstanden elf Stückvorlagen

Die für Sonderprojekte verantwortliche Theaterfachfrau Kell hat den Wettbewerb permanent begleitet, stand den Autorinnen und Autoren bei Bedarf auch mit Rat und Tat zur Seite. „Es waren durchaus etablierte Autoren dabei, aber auch Anfänger“, sagt sie. Aus rund 150 eingesandten Exposés von zwei bis vier Seiten wählten sie, Yeginer und acht weitere Jury-Mitglieder, darunter der frühere Thalia-Dramaturg John von Düffel, dann elf aus, die zu Stückvorlagen wurden.

Den Autoren-Wettbewerb hatte Ohnsorg-Dramaturgin Anke Kell mitinitiiert.
Den Autoren-Wettbewerb hatte Ohnsorg-Dramaturgin Anke Kell mitinitiiert. © G2 Baraniak | G2 Baraniak

Das Themenspektrum reichte von einer Biografie eines Werftarbeiters aus den 1970ern bis hin zur Verwechslungskomödie. Kell erinnert sich genau an zwei Telefonate mit einer Autorin. „Es ging um Handlungsstruktur, Figuren-Konzeption und Spannungsbögen“, erläutert Anke Kell.

Tatjana Kruse brauchte derlei Tipps nicht, sagt aber: „Anke war auch mein allererster Mail-Kontakt zum Ohnsorg.“ Die Autorin aus Schwäbisch Hall hat mütterlicherseits norddeutsche Wurzeln, kannte das Theater bis dato jedoch nur von den legendären ARD-Fernsehübertragungen an Neujahr aus Kindheitstagen.

Sieger-Autorin Tatjana Kruse – Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland

Dass die 63-Jährige mit ihrem auf Hochdeutsch verfasstem Stück „Sterben ist auch nicht mehr das, was es mal war“ bei der Jury-Endauswahl im Vorjahr schon den mit 3000 Euro dotierten Inszenierungspreis gewinnen konnte, entspringt einem Zufall: Eine befreundete Moderatorin von Radio Bremen hatte Tatjana Kruse im Sommer 2021 kurz vor Ultimo auf den Wettbewerb hingewiesen. Die bereits seit zwei Jahrzehnten als Krimiautorin arbeitende Literatur-Übersetzerin nahm während der Corona-Zeit an der Uni Oxford am Online-Seminar „Writing Drama“ teil.

„Exposé und erster Akt waren bereits fertig auf Englisch, als Anja Goerz mich auf die Ausschreibung aufmerksam machte“, erzählt Tatjana Kruse. Sie habe dann beides „in einer Hauruckaktion“ ins Deutsche übersetzt. Als Mitglied des „Syndikats“, der Vereinigung von mehr als 800 deutschsprachigen Krimi-Schreibenden, und des PEN-Zentrums Deutschland weiß sie, wie Bücher zu verfassen sind. „Ich schreibe ,Krimödien‘“, beschreibt Tatjana Kruse ihre Mischung aus Krimis und Komödien.

Mitreißend! Kirsten Boies Jugendroman auf der Bühne

Ernst Deutsch Theater- Vértes-Schütter gibt Leitung ab

Ohnsorg-Theater und Museum sollen jahrelang umziehen

Eine Krimikomödie wie die Ihre hatte dem Ohnsorg-Spielplan noch gefehlt. Im neuen Stück macht sich das Mordopfer in einer Pension selbst auf die Suche nach ihrer Todesursache und scheint an ihren Mitmenschen zu verzweifeln. Kerstin Stölting hat Kruses Stück ins Plattdeutsche übersetzt und Oberspielleiter Yeginer daran beim Lesen offenbar so viel Gefallen gefunden, dass er es selbst inszeniert.

Ohnsorg-Theater: Zweite Runde des Autoren-Wettbewerbs beginnt bald

„Ich glaube es erst, wenn ich bei der Premiere im Saal sitze und es mit eigenen Augen sehe“, freut sich Tatjana Kruse auf ihren Besuch der Uraufführung, obwohl sie im vorigen Juli bei der Endausscheidung schon einmal Gast im Ohnsorg war.

Die Dramaturgie für Kruses Stück hat Anke Kells erfahrene Kollegin Cornelia Stein übernommen, doch Kell ahnt, was demnächst auf sie zukommt: Ende April soll die zweite Runde von „Große Freiheit Schreiben“ beginnen, die Kür eines weiteren neuen Stücks dann im Sommer 2024 folgen. Nicht von der Straße, aber womöglich mit einem Thema von der Straße.

„Starven is ok nich mehr dat, wat dat mal weer“ Uraufführung So 16.4., 19.30, bis 27.5., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.) Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 22,- bis 35,50 unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de