„Air – Der große Wurf“ erzählt die Geschichte des legendären „Air Jordan“-Sportschuhs. In der Hauptrolle: Matt Damon.

„Ein Schuh ist nur ein Schuh“, heißt es einmal in „Air – Der große Wurf“. Und doch handelt dieser Film fast zwei Stunden lang von nichts anderem als davon, wie man einen Schuh an den Mann bringen kann. Denn es geht hier nicht um irgendein Laufwerkzeug, sondern um eines der berühmtesten und meistverkauften Sportschuhmodelle: den Air Jordan. Der vor nicht ganz 40 Jahren genau auf den Basketballstar Michael Jordan zugeschnitten und maßgefertigt wurde. Und einen wahren Markenfetischismus lostrat.

Nachträglich ist es kaum zu glauben – und daher ziemlich amüsant anzusehen –, wie der Sportartikelhersteller Nike im Orwell-Jahr 1984 ein eher stagnierendes Unternehmen ist. Das obendrein als reichlich uncool gilt. Alle Sportlergrößen tragen Adidas oder Converse. Nike steht deshalb schon kurz davor, seine Basketball­linie ganz einzustellen, weil sich nur die Joggingschuhe gut verkaufen. Aber da ist ein Mitarbeiter, der eine Vision hat. Während die Firma drei mittelmäßige Basketballstars für die Werbung verpflichten und dafür gerade mal 250.000 Dollar berappen möchte, will Sonny Vaccaro (Matt Damon) alles auf eine Karte setzen: auf Michael Jordan.

Der Air Jordan ist ein Schuh, der Geschichte schreiben wird

Der ist zu dieser Zeit noch nicht der Superstar. Aber Vaccaro erkennt in ihm das künftige Talent. Er will das ganze Marketing auf diesem einen Namen aufbauen – und den Etat dabei noch verdoppeln. Was überall für Kopfschütteln sorgt, selbst im eigenen Büro, weil jeder weiß, dass Jordan schon in Verhandlungen mit Adidas steht und nichts von der Marke Nike hält. Jordans Manager Chris Messina (David Falk) will Vaccaro deshalb gar nicht erst an seinen Klienten heranlassen. Aber der fliegt dreist trotzdem nach L. A. und steht unangemeldet vor dem Haus der Jordans. Weil er instinktiv erkennt, dass Michael Jordan zwar das große Talent ist, aber die Geschäfte von seiner resoluten Mutter Deloris (grandios verkörpert von Viola Davis) geführt werden.

Wir müssen hier nicht spoilern. Dass der Coup gelang, ist hinreichend bekannt. Dass Nike damit zur Eins-a-Marke aufstieg, ebenfalls. Das impliziert ja auch schon der Titel dieses Films: „Air – Der große Wurf“. Und der spielt denn auch überwiegend in Managerbüros, wo ältere weiße Herren sich über Marketingstrategien mit jungen schwarzen Sportlern streiten. Das klingt nicht gerade nach großem Entertainment. Und doch lebt Ben Af­flecks mittlerweile fünfte Regiearbeit von dem ironischen Wissen, wie das Ganze ausgeht. Urkomisch ist allein Matt Damon, der sich hier als Sonny Vaccaro die Nächte um die Ohren schlägt, um als Erster ein künftiges Basketballtalent zu entdecken. Ein Mann, der zwar ein Sportprodukt vermarkten will, sich selbst aber dem Fitnesswahn der 80er-Jahre entzieht. Immer wieder wird er dabei gefragt, ob er denn auch Sport betreibe und – Nike produziert ja Laufschuhe – jogge. Statt einer Antwort zeigt er dabei nur auf seine Wampe.

Teil des Werbekonzepts: Martin Luther Kings „I Have a ­Dream“-Rede

Aber genau darum geht es eben: um das Bauchgefühl. Und das hat er. Ebenso wie Jordans Mutter. Und so entsteht ein Deal, der mit allen damaligen Spielregeln der Unternehmenspolitik im Allgemeinen und der Basketballvereinigung NBA im Besonderen bricht – indem ein Sportler nicht nur seinen Namen für ein Produkt hergibt, sondern prozentual am Verkauf beteiligt wird. Dass das findige Marketinggenie Vaccaro dabei nicht mal davor zurückschreckt, seine Idee mit Martin Luther Kings legendärer Rede „I Have a ­Dream“ zu verbinden, mag eine gewisse Hybris durchschimmern lassen. Am Ende aber wird Vaccaro selbst über den Tisch gezogen: von Jordans Mutter, die ihre eigenen Bedingungen diktiert.

Hübsch ist dabei auch, wie die Konkurrenz Adidas immer nur als „die Deutschen“ bezeichnet wird. Barbara Sukowa hat hier einen schönen Kurzauftritt als Käthe Dassler. Interessant ist aber vor allem, dass Michael Jordan in diesem Deal (und diesem Film) fast gar keine Rolle spielt. Man hätte diese Rolle ausbauen und von einem großen Star spielen lassen können. Und warum nicht gleich von seinem Namensvetter Michael B. Jordan? Der ist zwar nicht mit ihm verwandt und auch nicht durch Basketball-, aber doch durch Sportfilme – in „Creed I“ bis „III“ als Boxnachfolger von Sylvester Stallones Rocky-Figur – zum Star aufgestiegen.

Superstar Michael Jordan ist nur in alten Videoaufnahmen zu sehen

Stattdessen aber ist die Basketballlegende nur in alten Aufnahmen seiner ersten Spiele zu sehen, diese noch in schlechter Videobildqualität. Und wenn er in wenigen Szenen doch mal persönlich in Erscheinung tritt, dann sieht man ihn nur von hinten. Und sprechen tut er auch nie. Das besorgt Mama. Da sieht man dann auch, wie unterschiedlich die Welten des Spitzensports und der Wirtschaft ticken. Aller beworbenen Nähe zum Trotz. Man muss kein Kenner der Basketballszene sein, muss nicht mal ein Freund davon sein – und kann doch seinen Spaß an diesem Film haben.

Aber eine Frage bleibt: Warum soll man sich „Air“ anschauen, der doch nur die beste Vermarktung eines Artikels zum Inhalt hat? Und damit den allerorts grassierenden Markenfetischismus arglos und unkritisch bedient? Die Antwort ist: weil hier noch eine ganz andere Marke beworben wird. Und das macht den Film doppelbödig und interessant. Denn es geht – um die Person Ben Affleck.

Ben Afflecks Karriere hatte in den vergangenen Jahren viele Höhen und Tiefen

Mit seinem besten Kumpel Matt Damon stieg Affleck 1998 zum Star auf, als beide für ihr Drehbuch zu „Good Will Hunting“ mit einem Oscar ausgezeichnet wurden. In der Folge wurde Affleck allerdings überwiegend als Schönling in routinierten Liebesschmonzetten besetzt, wobei vor allem der Film „Gigli“ floppte, in dem er mit seiner damaligen Lebensgefährtin Jennifer Lopez spielte und auch ihre private Liaison vermarktet wurde.

Dann aber machte sich Affleck auch als Regisseur einen Namen, mit „Gone Baby Gone“, „The Town“ und vor allem „Argo“, der vor zehn Jahren sogar den Oscar für den „Besten Film“ holte. Aber auch danach verlief seine Karriere in Wellen. Als „Batman“-Darsteller wirkte er zu steif und verbissen. Als er durch einen Jüngeren, Robert Pattinson, ersetzt wurde, konnte er das kaum verschmerzen. Und seine vermeintliche Musterehe mit Jennifer Garner ging wegen seiner Alkoholsucht in die Brüche. Ein Star auf dem absteigenden Ast.

Nun aber beweist sich Affleck in neuer Stärke. Inzwischen ist er wieder mit Jennifer Lopez zusammen. Und mit seinem Kumpel Damon hat er die Produktionsfirma Artists Equity gegründet, die alle Künstler, ähnlich wie Nike Jordan an seinem Schuh, am Erfolg beteiligt. Der erste Film ihrer Firma ist „Air“. Und das mag erklären, warum hier alle ihr Bestes geben. Selbstironisch ist dabei nicht nur Matt Damon, mit dem Affleck schon acht Filme gedreht und mehrere weitere produziert hat. Sondern auch Affleck selbst, der hier in einer Nebenrolle den Nike-Gründer Phil Knight spielt: selbstverliebt, mit lila Porsche, fieser Perücke und Herrenattitüde. Die Karikatur eines Unternehmers, der am Ende aber doch reüssiert. Eine Marke für sich.

„Air – Der große Wurf“ 112 Minuten, ab 6 Jahren, läuft im Holi, Passage, Studio, in den UCI-Kinos, im Zeise