Hamburg. Lars Eidinger über Verletzungen, echte Tränen, seinen Schuh-Tick – und einen Film über ihn. Am Sonntag kommt er ins Zeise Kino
Er ist ein Mann der Bühne. Aber auch vor der Kamera steht er regelmäßig: Für Filme wie „Nahschuss“ und „Schwesterlein“ oder Serien wie „Babylon Berlin“. Aber dieser Film ist anders. Hier spielt Lars Eidinger keine Rolle. Reiner Holzemer, der schon Fotografen wie René Burri und William Eggleston und Modeschöpfer wie Martin Margiela porträtierte, wollte einen Film über den Berliner Schauspieler drehen. Und hat ihn mit der Kamera begleitet: bei den Proben zum „Jedermann“ in Salzburg, aber auch ganz privat. „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ kommt am Donnerstag in die Kinos – ein radikal ehrliches Porträt. Aber wie war das, ständig gefilmt zu werden?
Ich muss erst mal auf Ihre Schuhe gucken. Im Film erfährt man: Sie haben für jede Rolle einen speziellen Schuh. Ich kenne sonst nur, dass man Rollen mit einem bestimmten Musikstück oder einem Parfüm verbindet. Haben Sie eine Art Schuhfetisch?
Lars Eidinger: Das ist wie mein buchstäblicher Einstieg. Den muss ich aber erst finden. Dieser Schuh begegnet mir irgendwann. Und dann bin ich damit in der Rolle. Ich habe auch den passenden Schuh für Lars Eidinger privat. Insofern könnte man das schon als Tick bezeichnen. Hier – das ist ein Clark Desert Boot. Der hat was Tänzerisches, weil das Leder sehr dünn ist. Der Absatz hat eine gute Höhe. Ich ziehe keine anderen Schuhe an. Nur in ihnen fühle ich mich als Lars Eidinger privat.
Sie haben schon viele Filme gedreht. Aber jetzt wurden Sie privat gefilmt. Wie war das, wenn da ständig die Kamera um Sie war?
Ich ist die Rolle meines Lebens! Reiner Holzemer hat ja schon viele tolle Porträts gemacht, über Fotografen und Modemacher. Im Nachhinein denke ich, es macht am meisten Sinn, einen Dokumentarfilm über einen Schauspieler zu drehen. Weil man da am meisten verstehen lernt, was mit der Idee des Spielens eigentlich gemeint ist. Der Dokumentarfilm war für mich eine Aufwertung für jede Situation. Die unangenehmsten Momente waren immer die, wenn ich merkte, Reiner packt die Kamera weg. Dann war es für mich so, als fände es gar nicht statt.
Es gibt auch sehr ehrliche Momente – wie den, als Sie bei einer Probe austicken.
Das ist genau so ein Moment. Ich habe für den Regisseur Michael Sturminger gespielt, der hat aber plötzlich mit der Regieassistentin gesprochen und mir die Aufmerksamkeit entzogen. Die meisten würden sagen: Hast du vergessen, dass die
Kamera lief? Das Gegenteil war der Fall. Das wäre nie so eskaliert, wenn dabei nicht gefilmt worden wäre. Ich hatte den Ehrgeiz, das so gut wie möglich zu spielen, weil ich wusste, das wird festgehalten. Und ich war auch euphorisiert, weil ich das Gefühl hatte, es gelingt mir gerade. Aber das Gegenüber hatte dafür kein Bewusstsein. Das ist eigentlich das Thema des ganzen Films: Wenn ich spiele, trete ich in eine Beziehung, werde ich emotional. Und weine echte Tränen. Deshalb bin ich angetreten. Ich finde auch den
deutschen Begriff Unterhaltung so
treffend. Denn es geht um Kommunikation. Und der Film beschreibt, wie
kränkend das ist, wenn einer diese Kommunikation abbricht.
Sie weinen echte Tränen?
Ich wurde schon gefragt, wie ich das auf Knopfdruck könne. Aber das ist das Gesetz der 10.000-Stunden-Regel. Wenn du so lange dein Instrument geübt hast – das sind etwa sechs Jahre lang fünf Stunden am Tag –, dann beherrschst du es. Es ist aber kein Trick, auch kein Knopfdruck. Es ist eine Hochleistung. Wie beim Hochspringer, der die Latte überspringt. Und nun stellen Sie sich vor, der sieht in dem Moment, wie sein Trainer das Stadion verlässt! Genau solch eine Situation war das.
Andere hätten die Szene mit dem Ausraster rausschneiden lassen. Bei Ihnen ist das
jedoch dringeblieben. Weil das eben auch dazugehört? Weil das vielleicht auch ein
Eidinger-Moment ist?
Es ist genau, wie Sie sagen: Ich gebe mich in diesem Moment zu erkennen. Auch in meiner Widersprüchlichkeit und Fehlerhaftigkeit. Es ist ja auch zu sehen, wie ich mich hinterher entschuldige. Aber ich fänd es unerträglich, wenn der Film eine Lobhudelei wäre. Es soll ja nicht darum gehen, wie toll einer ist. Sondern wie er tickt. Ich habe auch nie verstanden – und das beschäftigt, das ärgert mich seit Jahren --, dass mir Eitelkeit vorgeworfen wird.
Eitelkeit ist etwas Hohles, Bedeutungsloses, Sinnfreies. Aber in einer solchen
Situation bin ich nicht in meiner Eitelkeit gekränkt, ich bin gekränkt, weil es mir so viel bedeutet. Gerne anschauen tu ich mich da trotzdem nicht. Ich genier mich auch dafür. Ich sehe, dass ich zu weit
gegangen bin. Aber es ist vielleicht die
ehrlichste und menschlichste Szene. Die am besten beschreibt, worum es in dem Beruf geht. Deshalb hätte sie nie rausgeschnitten werden können.
Sie offenbaren im Film eine Verletzlichkeit, die überrascht. Ihre Reaktion auf die Kommentare, nachdem Sie ein Foto vor einer Obdachlosenunterkunft geschossen haben, oder wie Sie auf einer Berlinale-Pressekonferenz geweint haben. Kollegen von Ihnen sagen, da muss man eine dicke Haut haben.
Aber die darf man eben nicht haben. Wenn ich eine dicke Haut hätte, ginge all mein Reiz als Künstler verloren. Du musst da mit offenem Visier kämpfen. Wenn man sich schützt, passiert da auch nichts. Verletzlichkeit ist elementar. Das ist überhaupt der Grund und der Schlüssel, warum ich diesen Beruf ergriffen habe. In der Bibel zum Beispiel wird Liebe ja mit Erkennen gleichgesetzt: „Sie erkannten einander und wurden ein Fleisch.“ Ich denke, das Erkanntwerden ist die größte Erfüllung im Leben. Und die größte Kränkung ist entsprechend, nicht erkannt oder gar verkannt, missverstanden zu werden.
Sie sagen einmal, den wahren Lars Eidinger gibt es nur auf der Bühne. Ist auch das nur eine Rolle, gibt es Lars Eidinger gar nicht?
Es ist ja ein Irrglaube zu denken, man wäre irgendwann ganz man selbst. Die Frage ist doch, ganz unabhängig von Lars Eidinger: Wer sind wir wirklich? Und da bin ich eher bei Peer Gynt, der die Zwiebel schält, Schicht um Schicht, und am Ende ist da gar nichts drin. Ich bin als Hamlet eine Schicht. Als Richard III. Und eben als Lars Eidinger. Einen Kern gibt es jedoch nicht. Das wertet den spielerischen Moment aber auf. Es gelingt auf der Bühne vielleicht viel mehr, bei sich zu sein, als im Alltag. Denn die Dimensionen, die ich dort darstelle, übersteigen ja alles, was ich je erleben kann. Ich habe gestern den Hamlet gespielt, ich werde es heute wieder tun, und ich sterbe jedes Mal!