Hamburg. Elisabeth Wellershaus lebt schon lange in Berlin-Pankow. Auf ihr Aufwachsen in Hamburg blickt sie mit gemischten Gefühlen.
Rassismus begegnet den Betroffenen manchmal auch dort, wo sie ihn nicht erwarten. Die afrodeutsche Journalistin Elisabeth Wellershaus reiste mal in einer Delegation mit dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Südafrika. Am Flughafen in Johannesburg blickte eine Frau vom Empfangskomitee erst einmal stur an ihr vorbei, ehe sie aufgrund von Wellershaus’ Hartnäckigkeit ihren Irrtum bemerkte. Mit Schwarzen Deutschen hatte die Südafrikanerin nicht gerechnet.
Und in Deutschland? Im durchaus offenen und jedenfalls gentrifizierten Berlin-Pankow – gleich nebenan: der seit langem wild zusammengemixte Wedding – hat die 1974 in Hamburg geborene Autorin Wellershaus eine Heimat gefunden. In Berlin stößt sie auf Diversität, aber auch auf neue Fragen von Abgrenzung und Inklusion – als Vertreterin einer privilegierten Mittelschicht.
„Wo die Fremde beginnt“: ein Zeitporträt über das Volksdorf der 80er-Jahre
Stichwort Diversität (Wellershaus spricht manchmal von „Superdiversität“): Es ist gar nicht so schwer zu begreifen, dass diese Schlüsselqualifikation eines Wohnorts für Menschen extrem wichtig ist, die nicht der Norm entsprechen. Wellershaus’ Abweichung von der Norm ist ihre Hautfarbe. Was sie in ihrem Buch „Wo die Fremde beginnt. Über Identität in der fragilen Gegenwart“ von ihrem Aufwachsen in Hamburg-Volksdorf berichtet, ist, so ist man geneigt zu sagen: vor allem auch ein Zeitporträt.
Denn das Volksdorf der 1970er- und 1980er-Jahre war, zugespitzt ausgedrückt, ein Club nur für Mitglieder. Ein Mädchen wie Elisabeth Wellershaus, das als farbige Tochter einer weißen Mutter und Enkelin weißer Großeltern in einem sehr bürgerlichen Stadtteil aufwuchs, war die Ausnahme. Relativ spät in ihrem sehr persönlichen, aber auch analytischen Buch erwähnt Wellershaus ein zweites farbiges Kind. Ansonsten war sie allein mit ihrem Hintergrund – und also verloren im Spießeridyll? Ein Begriff, den sie übrigens nicht verwendet bei ihrer Besichtigung der alten Heimat. Vielleicht kam er ihr aber spöttisch in den Sinn.
Elisabeth Wellershaus kam über London nach Berlin
Wellershaus’ beeindruckender Debattenbeitrag zum Thema Zugehörigkeit untersucht speziell dessen Gegenteil, das Wesen der Fremdheit. Jahrzehnte, nachdem sie Volksdorf den Rücken gekehrt hatte, um über ihre Londoner Studienjahre in Berlin zu landen, schritt Wellershaus die alten Wege ab: „Man sieht es den akkurat geschnittenen Hecken noch immer an, wie sehr sich hier manche an der gesellschaftlichen Etikette festhalten. Die roten Klinker grüßen rechts und links – vertraut, aber auf höfliche Distanz bedacht. Aus manchen Häusern weht mir noch leise Abwehr entgegen. Eine Erinnerung an die Tage, in denen meine Anwesenheit vor allem diejenigen störte, die sich um ihre Zugehörigkeit zur Volksdorfer Bourgeoisie sorgten. Ich fühle mich heimisch zwischen reetgedecken Häusern und neuen Wohnsiedlungen, die in den vergangenen Jahren hinzugekommen sind. Doch das Fremdeln aus Kindertagen sitzt tief.“
Wellershaus spürte, dass sie als Schwarze Tochter eines in Spanien lebenden, aus Äquatorialguinea stammenden Vaters und einer nach dem Tod der Großeltern alleinerziehenden Krankenschwester-Mutter irgendwie nicht hineinpasste in die Volksdorfer Wirklichkeit. Wenn sie mit ihrer resoluten, verwurzelten Großmutter durch den Ort ging, gab ihr das noch Sicherheit. Später, nach deren Tod, verschwand das Gefühl der Zugehörigkeit in weiten Teilen.
Bindungen an Menschen, die mehrere Heimaten haben
Wellershaus’ Text ist eine theoretisch unterfütterte Meditation über Nähe und Distanz, wie sich diese auch in Freundschaften, der Familie oder in Nachbarschaften zeigen. Es sind die Vorzeichen der Anonymität, unter denen zum Beispiel in einer Großstadt wie Berlin Begegnungen stattfinden oder eben nicht. Nachvollziehbar erscheint, dass in Wellershaus’ Dunstkreis enge Bindungen an Menschen entstehen, die mehrere Heimaten haben oder migrantische Biografien.
Volksdorf, der Ort der ersten Prägungen, nimmt eine wichtige Rolle ein. In ihren Erinnerungen differenziert Wellershaus, trennt vielleicht auch erst nachträglich in dieser Klarheit das Schöne vom nicht so Schönen. Wunderbare Lehrer, nette Nachbarinnen, Felder und Wälder also. Und: „Endlose Möglichkeiten für alle, denen man herkunftsbedingt keine Steine in den Weg legte – und meist auch für mich.“
Fernweh entwickelte die Heranwachsende früh („Wie sehr die Reiseunternehmen im neokolonialen Habitus den ‘Rest der Welt’ verscherbelten, bemerkte ich nicht“), sie begründet das mit dem Mangel an wirklichem Zuhausesein in Hamburg. Dass sie bei erstbester Gelegenheit wegzog, kann man nachempfinden, wenn Wellershaus erzählt, dass „das Fremdeln der Mehrheit“, wie sie es nennt, sich auch so äußerte, dass ihr „bei Busfahrten in den Ortskern Zehnpfennigstücke zugesteckt wurden – einmal auch eine Banane“. Da habe dann selbst ihre Großmutter fassungslos zugesehen.
Die Familie von Wellershaus ist tief in Volksdorf verankert
Dennoch war Wellershaus lange der Meinung, Rassismus habe sie nur ausnahmsweise in der Homogenität Volksdorfs betroffen: „Es hat viele Jahre gedauert, das schleichende Gift der Ausgrenzung zu erkennen und zu benennen. Die schweigsamen Abendessen bei Eltern, die sich anderen Umgang für ihre Kinder wünschten. Die verwunderten Reaktionen, wenn ich gute Noten schrieb. Die Abwehr gegenüber meinem ‘ungewöhnlichen’ Familienleben.“
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Am intimsten wird Wellershaus, wenn sie sich ihrer Mutter zuwendet. Man kreiste lange „sprachlos um mein Schwarzsein“, berichtet Wellershaus. Die Mutter habe erst spät gelernt, über Rassismus zu sprechen. Und bleibt doch „Teil einer übermächtigen Mehrheit – Aufarbeitung hin oder her“.
„Wo die Fremde beginnt“ ist ein nachdenkliches, selbstreflektiertes Buch über alltägliche Diskriminierung und Exklusion – und ihr Gegenteil. Die afrodeutsche Hamburgerin Elisabeth Wellershaus ist, bei all ihren der Welt zugewandten biografischen und familiären Anteilen, tief in Volksdorf verankert. Ein paar hundert Meter von dem Reihenhaus entfernt, in dem sie aufwuchs, liegt das Haus, das ihre Urgroßeltern nach dem ersten Weltkrieg gebaut haben. Als Wellershaus sich mit dieser Herkunft beschäftigt, rückt ihr Volksdorf wieder näher. Während ihrer Besuche am Ort ihrer Kindheit und Jugend, erzählt Wellershaus, „kann ich mich zaghaft auf das Durchscheinen seiner Herzlichkeit einlassen. Offenbar hatten mich Ausgrenzung und Othering (Fremd-Machung, die Red.) so lange verunsichert, dass ich die freundlichen Seiten der alten Heimat verdrängt hatte.“