Hamburg. Das Barcelona Gipsy balKan Orchestra sorgte für einen ungewöhnlichen Kammermusikabend im Großen Saal, der zur Party-Location wurde.
Sowas erlebt die Elbphilharmonie auch nicht oft. Schon gar nicht an einem Kammermusikabend. „Ihr denkt zu viel“, ruft die Sängerin, „wir hätten es lieber, wenn ihr aufsteht!“. Und dann ist Party.
Das Publikum steht tatsächlich geschlossen auf, tanzt, johlt, wippt mit, klatscht im Takt. Was man bei dieser Musik erstmal hinkriegen muss. Denn die Rhythmen sind vertrackt. Das Barcelona Gipsy balKan Orchestra fesselt mit ungeraden Grooves, mit musikantischem Feuer, Präzision und einer überbordenden Präsenz. Ja, es gäbe viel zu erzählen über die siebenköpfige Band und ihre Balkansounds.
Siebtes Kammermusikfest im Großen Saal unter Titel „Gerettete Klänge“
Aber: Der mitreißende Auftritt, rund 40 Minuten lang, ist „nur“ das Finale. Auch das siebte Kammermusikfest im Großen Saal präsentiert wieder ein prallvolles Programm. Unter dem Titel „Gerettete Klänge“ erinnert es an Musik, die von den Nazis verfemt und verboten wurde. Eine nicht nur künstlerisch relevante Initiative der Hamburger Kammermusikfreunde. Deren Vorsitzender Ludwig Hartmann führt souverän durch den Abend und balanciert gekonnt zwischen ernsten Momenten und Plauderton. Sein Gespür für einen ausgewogenen Mix spiegelt sich auch in der Stückauswahl.
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Die elektronisch verstärkten Gipsy-Sounds bilden einen spannenden Kontrast zu den Klängen der Klassik. Zu hören etwa beim Leonkoro Quartet, einem phänomenalen jungen Ensemble, das in den Fünf Sätzen von Erwin Schulhoff faszinierende Farben aus den Saiten zaubert. Oder beim noch jüngeren, vielversprechenden Atlas Quartett, das ein Werk des in Auschwitz ermordeten Hans Krása spielt.
Weltklasse-Trio begeistert beim Konzert in der Elbphilharmonie
Wie warm der Große Saal gerade den Streicherklang abbildet, demonstriert auch der Cellist Claudio Bohórquez. Mit dem Stück „Kaddish“ von Fabien Waksman, dessen gedeckter Ton den Klagegestus des jüdischen Totengebets aufnimmt. „Kaddish“ erklingt an drei Stellen des Programms und aus verschiedenen Positionen. Als eine Art wehmütiger Refrain etabliert es den intimen Ton, der die Stimmung des Abends grundiert. Nur die Sopranistin Dorothea Röschmann setzt vor allem auf einen großen, üppigen Klang, in ihrer Interpretation einiger Mahler-Lieder mit der Pianistin Elena Bashkirova.
Ganz kammermusikalisch dagegen das Zusammenspiel in Bartóks Stück „Kontraste“: Die Geigerin Antje Weithaas und die Klarinettistin Sharon Kam verweben ihre Linien unglaublich dicht, sie wachsen mit Kiveli Dörken am Flügel zu einem Weltklasse-Trio zusammen – und lassen hier schon jene Balkan-Rhythmen aufblitzen, die das Publikum am Ende, bei der Gipsy-Band, aus den Sitzen treibt.