Hamburg. Wenn amtierende oder angehende britische Könige und Königinnen an die Alster kamen, ging es in Hamburg oft reichlich turbulent zu.
Wenn König Charles demnächst nach Hamburg kommt, wäre das sein dritter offizieller Besuch in der Stadt. Charles’ Ururgroßvater Edward VII. (1841 bis 1910) zog es lediglich einmal zur Stippvisite an die Alster – und auch nur für einen Tag. Zwischen den beiden gibt es eine bemerkenswerte Parallele: das lange Warten auf den Thron.
Charles führte den Titel Prince of Wales, der ihm im Alter von zehn Jahren verliehen wurde, mehr als 63 Jahre. Edward, ältester Sohn der legendären Dauer-Königin Victoria, war von Geburt an Prince of Wales und wurde erst mit 59 Jahren König. Vom Typ unterscheiden sich die beiden stark. Der untersetzte Edward galt als Lebemann, starker Raucher, Trinker und Esser. Von Charles wird anderes berichtet.
Royals zu Besuch in Hamburg: Pannen und Skurrilitäten
Der Besuch Edwards am 28. Juni 1904 war von außenpolitischen Spannungen zwischen England und dem Deutschen Reich überlagert, die während der Kurz-Visite des Monarchen mühsam übertüncht wurden. Vor Ort gab es dann zwar den obligatorischen Jubel mit Musik und Hochrufen, aber übermäßig viele Sympathien wurden dem König nicht entgegengebracht. Die Hamburgerinnen und Hamburger waren eher neugierig auf den Glanz der Veranstaltung, und einen echten König gab es ja nur selten zu sehen.
In bürgerlichen Kreisen galt der Monarch, der völlig akzentfrei Deutsch sprach, als deutschfeindlich, während die Arbeiterschaft sich grundsätzlich zu gekrönten Häuptern auf Distanz hielt. Das spiegelt sich in einer kuriosen Allianz der damals tonangebenden Tageszeitungen. Während nationalistische Zeitungen die Hamburger vorab allen Ernstes mahnten, sich von Edward nicht einlullen oder gar kolonialisieren zu lassen, spottete das sozialdemokratische linke „Hamburger Echo“ über den Staatsbesuch mit einem Gedicht, in dem es unter anderem hieß: „Klingling, bumbum und tschingdada, der dicke Eduard ist da.“
König Edward VII. in Hamburg: Die Sache mit der Rose
Insgesamt verlief die Visite damals in ziemlich angespannter Atmosphäre, und sie war nicht frei von Pannen und Skurrilitäten, von denen die Historikerin Renate Hauschild-Thiessen einige dokumentiert hat. Es fing damit an, dass der König beim mittäglichen Aussteigen am Dammtorbahnhof dauerhaft eine einzelne rote Rose in den Händen hielt, worauf sich niemand einen Reim machen konnte. Steckte ein vergangenes amouröses Abenteuer dahinter, oder war da irgendwas in Hamburg geplant?
Die Zeitungen rätselten darüber noch tagelang, aber die Sache blieb ungeklärt. Edward, der als besondere Geste eine deutsche Admirals-Uniform trug, gab sich leutselig, aber im Grunde dürften ihm die bürgerlichen Repräsentanten der Stadtrepublik Hamburg ziemlich egal gewesen sein. Bei der obligatorischen Hafenrundfahrt wurde er von einer kräftigen Welle völlig durchnässt (und dann von einem Diener getrocknet), was der König laut Bürgermeister Heinrich Burchard mit „ungemeiner Liebenswürdigkeit“ überspielt haben soll.
Tagelanges Theater um zwei Kannen als Staatsgeschenk für den Monarchen
Eine andere Anekdote ist ziemlich bekannt und wurde schon oft erzählt: Der König bewunderte beim Festdinner im Rathaus zwei Kannen (Alster und Elbe) aus dem Silberschatz so ostentativ, dass sich die Gastgeber genötigt sahen, sie ihm als Geschenk mitzugeben. Weniger bekannt ist, warum der Monarch so scharf auf die Kannen war. Die Lösung: Edward reiste im Anschluss an seinen Hamburg-Besuch zur Kieler Woche weiter, wo er seinen Neffen und Intimfeind, den deutschen Kaiser Wilhelm II., treffen würde. „Heute Abend isst Willy bei mir, da will ich sie ihm zeigen“, soll der König zu mehreren Senatoren gesagt haben, „der wird sich schön ärgern über die Erfolge, die ich in Hamburg erzielt habe.“
Um das ziemlich unfreiwillige Staatsgeschenk gab es in den Zeitungen dann noch ein tagelanges Theater, das sich erst legte, als Edward der Stadt als Dank für die Gastfreundschaft einen wertvollen, mit Edelsteinen besetzten Pokal aus Gold und Silber schenkte, der im Museum für Kunst und Gewerbe ausgestellt wurde. Das „Hamburger Echo“ spottete daraufhin mit Blick auf die Kannen-Affäre: „Der dicke Ede hat sich nobel gerächt.“ Im Übrigen erhielt der Goldschmied Alexander Schönauer, der die verschenkten Kannen gefertigt hatte, den Auftrag, aus den noch vorhandenen Vorlagen eine neue Elbe- beziehungsweise Alsterkanne zu fertigen. Kostenpunkt: 2200 Mark.
König Edward rauchte eine Zigarre von „unbeschreiblicher Länge“
Edward, der mindestens 20 starke Zigaretten und zehn Zigarren täglich rauchte, machte noch aus einem anderen Grund Eindruck. Wie Bürgermeister Carl August Schröder in seinen Erinnerungen schrieb, rauchte der Monarch neben seinem üblichen Kontingent nach dem Essen „eine kohlschwarze, mindestens zwei Zentimeter im Durchmesser haltende Zigarre von unbeschreiblicher Länge“.
Das sei täglich der Fall, wurde den staunenden Gastgebern versichert. Am Ende seines Lebens litt Edward dann an schwerer Bronchitis. Noch eine tragische Anekdote am Rande: Der betagte Bürgermeister Gerhard Hachmann, der den König am Bahnhof in Empfang genommen hatte, war dort die Treppen hinaufgetragen worden. Die Strapazen des Besuchs und das Theater um die zwei Kannen müssen Hachmann dann über Gebühr strapaziert haben: Er starb wenige Tage nach dem Besuch am 5. Juli 1904.
Enkel Edward beim Shoppen im Juweliergeschäft
Edward blieb übrigens nur knapp neun Jahre König, bevor er 68-jährig starb. Sein gleichnamiger Enkel war noch Thronfolger, als er nach Hamburg kam. Es war eigentlich ein Zwischenstopp, den er im Herbst 1932 einlegte. Der Prince of Wales machte eine Skandinavienreise, die eine Werbetour für die britische Industrie war. Der Hamburg-Besuch wurde ausdrücklich als „rein privat“ deklariert. Natürlich waren trotzdem Hunderte Schaulustige nach Fuhlsbüttel gekommen, wo Edward am Nachmittag des 13. Oktober mit einer viermotorigen Armstrong-Whitworth aus Kopenhagen kommend landete – in Begleitung seines Bruders Albert, des Stotterers aus dem Film „The King’s Speech“.
Nachdem die Prinzen im Hotel Atlantic erst einmal (natürlich) Tee getrunken hatten, stand eine Stadtrundfahrt auf dem Programm. Am Alten Wall ließ Edward plötzlich stoppen: Das Juweliergeschäft Barsöe schien ihm der richtige Ort für das Einkaufen von Mitbringseln zu sein. Eine Küchen- und eine Porzellanuhr mit Rosenmotiven wählte er aus.
Und erst, als der perfekt Deutsch sprechende Gentleman als Lieferadresse „S. K. H. Prince of Wales, Atlantic-Hotel“ auf einen Zettel schrieb, wurde Karin Barsöe klar, wer da gerade einkaufte. „Wenn ich das gleich geahnt hätte, ich hätte ihn vor lauter Aufregung gar nicht bedienen können“, sagte sie später dem „Hamburger Fremdenblatt“.
Dinner, Theater und dann ab auf die Reeperbahn
Der Abend der Gäste begann dann standesgemäß – erst Dinner bei Hapag-Chef Louis Leisler Kiep (1884–1962), dann Hansa-Theater, und zum Abschluss ging’s (heute schwer vorstellbar) auf die Reeperbahn. Zu einem „Bummel“, wie die „Times“ notierte. Mag all das schon ungewöhnlich erscheinen, so folgte auf ausdrücklichen Wunsch der Prinzen am nächsten Morgen eine Fahrt zum Dulsberg. Dort hatten die Brüder Hermann und Paul Frank Laubenganghäuser als Mustersiedlung für Arbeiter gebaut – zum Teil mit britischen Krediten finanziert.
Ob der spätere König aus Gründen der Imagepflege Interesse für Arbeiter zeigen wollte oder wirklich interessiert war – das weiß man nicht. „Aber er schaute sich mehrere Wohnungen an“, berichtet Norbert Stindt von der Geschichtswerkstatt Dulsberg. „Und laut den Zeitungsberichten kam er unangemeldet.“ Das muss ein schöner Schreck gewesen sein: Es klingelt an der Tür, und statt des Postboten steht der britische Kronprinz vor der Tür…
Wenige Minuten nur dauerte der Besuch, im Anschluss ging es noch rasch auf den Soldatenfriedhof in Ohlsdorf, bevor die Briten in Fuhlsbüttel in ihr Flugzeug stiegen. Beide erwartete eine Zukunft, die sie nicht so geplant hatten: Eduard wurde 1936 zwar König, musste aber nach wenigen Monaten abdanken, weil er unbedingt eine zweimal geschiedene Amerikanerin heiraten wollte. Und Albert bestieg widerwillig als George VI. den Thron, auf dem ihm 1952 seine Tochter Elizabeth folgte.
Die Queen in Hamburg: Die Stadt war im Ausnahmezustand
Diese Elizabeth II. kam am 28. Mai 1965 ganz offiziell nach Hamburg – und der Jubel war echt und herzlich. Wie ihr Urgroßvater 61 Jahre zuvor kam die Queen am Dammtorbahnhof an. Danach war die Stadt im Ausnahmezustand. Alle wollten die Königin sehen, die Menschen feierten sie wie eine eigene Monarchin. 6000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz 70.000 Schaulustige versammelten sich auf dem Rathausmarkt und jubelten der Monarchin und Prinz Philip zu, die vom Rathausbalkon winkten.
Tausende säumten die Straßen, als die Queen im offenen Wagen vorbeifuhr. Rund 20 Termine absolvierten die Majestäten in der Hansestadt. Der ausgefallenste: Vom Alsterdampfer „Seebeck“ aus verfolgten Elizabeth und Philip eine Segelregatta auf der Alster.
Als die Queen anreiste, standen 200.000 Menschen am Elbufer
Zurück ging’s per Schiff. Als die königliche Yacht „Britannia“ am Abend Hamburg nach einer feierlichen Flaggenparade verließ, standen mehr als 200.000 Menschen am Elbufer. Nach den Nationalhymnen spielte das Marine- und Polizeimusikkorps auch noch „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“. Am nächsten Tag schwärmte die „Times“: „Einen unvergesslichen Abschied bereitete die Bevölkerung Hamburgs der Königin zum Abschluss ihres Besuchs, den man bereits den Staatsbesuch des Jahrhunderts nennt.“ Das Abendblatt befand: „Es war wie im Märchen – nur war alles viel schöner, denn alles war Wirklichkeit.“
Schlagzeilen machte der Besuch noch Jahre später auch und gerade wegen einer hamburgischen Staatsaffäre: Grete Nevermann, Ehefrau des Ersten Bürgermeisters Paul Nevermann, hatte ihre Teilnahme am Staatsbesuch kurzfristig „aus persönlichen Gründen“ abgesagt. Was nur wenige wussten: Das Ehepaar lebte getrennt. Nevermann hatte eine neue Partnerin, und Grete wollte nicht aus rein protokollarischen Gründen die Frau an seiner Seite geben. Ilse Engelhard, die Frau des Zweiten Bürgermeisters Edgar Engelhard, sprang als „First Lady“ ein. Paul Nevermann trat ein paar Tage später zurück.
Prinz Charles und Lady Di – nach außen ein harmonisches Bild
Gekriselt hat es mutmaßlich auch, als der damalige Thronfolger Prinz Charles Hamburg am 6. November 1987 in Begleitung seiner Frau Diana besuchte – auch wenn beide nach außen ein betont harmonisches Bild abgaben Die deutlichsten Unterschiede zu den Visiten von Edward und Elizabeth: Charles und Diana erreichten die Stadt mit einer Sondermaschine und verbrachten eine Nacht im Gästehaus des Senats.
Bei seinem nächsten Besuch wird König Charles III. wohl von Ehefrau Camilla begleitet. Dass er so viel Glamour verbreiten kann und so umjubelt wird wie seine kürzlich verstorbene Mutter, ist ausgeschlossen. Aber man wird ihm sicherlich einen gebührenden Empfang bereiten.