Hamburg. Das einzige Zimmertheater der Stadt steht in Horn. Hier brilliert Rolf-Mares-Preisträger Jascha Schütz, jetzt in „Draußen vor der Tür“.

Eben war das Kabuff hinter der Glasscheibe am schmalen Eingang noch Kassenhäuschen, nun hat dort der Techniker Platz genommen. In den eigentlichen Raum tritt Lars Ceglecki. Er leitet das Theater das Zimmer (TdZ) mit seiner Partnerin Sandra Kiefer und erklärt, dass gleich die 45. Eigenproduktion in Hamburgs einzigem Zimmertheater folgt, Wolfgang Borcherts Kriegstrümmer-Drama „Draußen vor der Tür“.

Die beiden Intendanten hatten das 1947 uraufgeführte Stück ausgewählt, als eine Invasion Russlands in der Ukraine noch kein Thema war – nun ist es beklemmend aktuell.

Hamburgs kleinstes Theater ist groß rausgekommen

Kürzlich war der Kultursenator zur Premiere hier in Horn, ebenso die Kultur-Staatsrätin, dann noch der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte. An diesem Abend sind 34 der 35 Plätze belegt, das Publikum sitzt in jeweils zwei L-förmig angeordneten Stuhlreihen fast auf der Spielfläche. Einen Vorhang gibt es nicht im ehemaligen Ladenlokal. Doch Hamburgs kleinstes Theater, das seit 2014 von den ausgebildeten Schauspielern Kiefer und Ceglecki betrieben wird, ist in jüngster Zeit richtig groß rausgekommen. Auf dem Programm-Flyer mit Terminen von Februar bis Juni prangt das Wort „Ausgezeichnet“. Zu Recht.

Anfang November hatte das TdZ für die vergangene Spielzeit den mit 50.000 Euro dotierten Barbara-Kisseler-Preis erhalten, Mitte November dann gewann Jascha Schütz ebenso überraschend als einer von drei Schauspielern den Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares in der Kategorie „Herausragende Darstellung“. In Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ hatte Schütz im Februar 2022 im Theater das Zimmer nicht nur in der Titelfigur brilliert, sondern alle weiteren Rollen in teils schnellen Wechseln ausgefüllt. „Ein sehr intensives Spiel – von der ersten bis zur letzten Minute fesselnd“, urteilte die Jury.

In „Draußen vor der Tür“ gibt Schütz, der Shooting-Star unter den Hamburger Schauspielern, an der Seite seiner Kollegen Erika Döhmen und Dominik Velz nun den Kriegsheimkehrer Beckmann. Hungert und humpelt, blickt einem durch seine „Gasmasken-Brille“ im John-Lennon-Stil aus knapp zwei Metern immer wieder direkt in die Augen, fällt im Soldatenmantel von einem kleinen Podest quasi direkt an den Strand von Blankenese oder in die Elbe, rollt sich dabei mit voller Körperbeherrschung ab. Bedrückend und doch extrem eindringlich ist sein Spiel eines im Krieg Verwundeten und Traumatisierten, beladen von Hunger und Schmerz.

Das Lob von einem Zuschauer-Paar und der Dialog mit ihm gehören dazu

Da tut es nach intensiven zwei Stunden und 20 Minuten Drama auch dem Hauptdarsteller gut, draußen vor dem Ex-Ladenlokal mal durchzuatmen. Der Gehweg ersetzt das Foyer (wenn es nicht gerade regnet); in der Pause oder nach der Vorstellung gilt in der nur zwei Quadratmeter großen SB-Bar des Theaters das Selbstbedienungsprinzip – die Getränke inklusive Flaschenöffner nimmt man sich gegen eine Spende.

Schütz fühlt sich wohl in dieser intimen Atmosphäre, das Lob von einem Zuschauer-Paar beim Rausgehen und der Dialog mit ihm gehören dazu. Gleich in fünf TdZ-Produktionen ist der Preisträger in dieser Saison zu erleben, vom 1. März an auch in der Wiederaufnahme des ausgezeichneten „Woyzeck“, ebenso wie „Draußen vor der Tür“ inszeniert von Björn Kruse.

Schütz’ Lieblingsrolle? Ist nicht etwa Woyzeck, sondern der Beckmann. „Ich kann mich sehr gut mit der Rolle identifizieren, sie ist so greifbar. Ich bin 26 nur ein Jahr älter als Beckmann Seinen Weltschmerz verstehe ich, fühle ich“, erläutert der Schauspieler. „Ich bin auch eher ein grunddepressiver Mensch, in Beckmann sehe ich sehr viel von mir“, sagt er. „Das hat in meine Figur sehr viel reingespielt.“

Auch größere Privattheater sind auf Schütz aufmerksam geworden

Seit der gebürtige Aschaffenburger nach seiner Schauspielausbildung in Oberursel im Taunus 2016 nach Hamburg kam, hat er außer im TdZ am Hamburger Sprechwerk, in der Krypta des Mahnmals St. Nikolai und im Sommer 2021 als Robin Hood auf der Horner Rennbahn gespielt. Die Ehrung mit dem Theaterpreis, für die Schütz 1000 Euro und einen Montblanc-Füller bekam, bezeichnete er in seiner bemerkenswerten Dankesrede als „die größte Bestätigung, die man als Schauspieler in Hamburg erhalten kann“. Seitdem sind auch größere hanseatische Privattheater auf Schütz aufmerksam geworden. Ein Casting läuft dieser Tage.

Lars Ceglecki weiß, was er (noch) an seinem sehr reflektiert wirkenden Schauspiel-Preisträger hat. Der TdZ-Intendant und seine Partnerin haben nach dem doppelten Preissegen eine verstärkte Kartennachfrage registriert: „Es kommen ganz viele, die vorher noch nie in Horn waren oder solche, die das letzte Mal hier waren, als die Bühne noch Theater in der Washingtonallee hieß.“ Unter jenem Namen hatte die 2020 gestorbene Schauspielerin und Regisseurin Angelika Landwehr die Bühne 1999 eröffnet.

Brosda über Theater das Zimmer: „Das Tiny House unter den Hamburger Theatern"

Bei der Verleihung des Barbara-Kisseler-Preises nannte Kultursenator Carsten Brosda das Theater das Zimmer jüngst „das Tiny House unter den Hamburger Theatern. Es ist alles da auf kleinem Raum, was man braucht.“ Dies und die vielschichtige Arbeit mit Klassikern, zeitgenössischen Stücken und Komödien haben sich herumgesprochen. Bei maximal 40 Plätzen heißt außer „Ausgezeichnet“ dann auch „Ausverkauft“.

„Draußen vor der Tür“ noch Sa 18.2., 20.00, So 19.2., 16.00, Zusatzvorstellungen Mi 22.-Fr 24.2., jew. 20.00; Wiederaufnahme „Woyzeck“ Mi 1.-So 5.3., jew. 20.00 (So 16.00), Theater das Zimmer (Bus 213), Washingtonallee 42, Karten zu 22,-/erm. 15,-: T .65 99 11 68; www.theater-das-zimmer.de