Die Adaption von Zeichner P. Craig Russell ist endlich auch auf Deutsch zu haben. Sie macht Lust, auch musikalisch tiefer einzutauchen.
An Wagners Ring sind schon viele gescheitert: Regisseurinnen und Regisseure, Sängerinnen und Sänger – und natürlich auch Opernfans, die trotz bestem Willen einfach keinen Zugang zu diesem komplexen und bis zu 16 Stunden langen Drama finden konnten. Den Stoff für einen Comic aufzubereiten, dazu gehört ein erhebliches Maß an Selbstbewusstsein. Und vor allem: eine Idee, die über die reine Bebilderung hinausgeht.
P. Craig Russell hatte beides, vor mehr als 20 Jahren schon, als seine Adaption von „Der Ring des Nibelungen“ in den USA erstmals veröffentlicht wurde, zunächst in 14 Einzelheften, später dann als Hardcover-Sammelband. Und dieser liegt nun endlich auch in deutscher Übersetzung (durch Stephanie Pannen) vor: das Meisterstück des Graphic-Novel-Meisters.
„Ring des Nibelungen“ ist nicht Russells erste Opern-Adaption
Comic-Fans ist Russell natürlich schon lange ein Begriff, hat er doch viele Jahre für Marvel gearbeitet, ebenso für den Verlag Dark Horses – und zahlreiche Preise gewonnen, darunter den besonders prestigereichen Eisner Award für diesen „Ring des Nibelungen“. Übrigens nicht seine einzige Opern-Adaption, hat er doch auch „Salome“, „Pelléas & Melisande“ und die „Zauberflöte“ in seine originäre Bildsprache übersetzt.
Beim „Ring des Nibelungen“ nun spielen bekanntlich Wagners Leitmotive eine bedeutende Rolle, die das Geschehen kommentieren und/oder befördern. Liebe, Macht, Tod, das Schwert, der Ring, das Schicksal: Alles findet hier eine musikalische Entsprechung, und das sollte sich, so Russell, in der Comic-Adaption wiederfinden.
„Mit sieben Tönen bringt uns Wagner zum Nachdenken und treibt die Handlung der Geschichte voran“, schreibt er im Nachwort etwa über das Schwertmotiv. „Meine Herausforderung bestand darin, dieselbe Information auf eine Weise zu vermitteln, die für die visuelle Form ebenso einzigartig ist wie die von Wagner für die musikalische.“ Das ist ihm sehr eindrucksvoll gelungen, wenn er immer wieder ohne Worte, nur durch die Bilderabfolge, die häufig ein Detail (das Schwert, den Keimling eines Baumes) zeigt, einen mächtigen Gedankengang visualisiert.
Russell durchdringt auch die Metaebene
Unübersehbar, dass P. Craig Russell sich intensiv mit Wagners „Ring“ beschäftigt hat, dass er auch die Metaebene durchdringt – und sie doch nie über das Schicksal der Menschen bzw. Götter stellt. Er ist an ihnen und ihrer Geschichte wirklich interessiert, nimmt Anteil – und seine Leserinnen und Leser mit auf eine emotionale Reise voller Liebe und Missgunst, voller Verzweiflung und Hoffnung.
Insbesondere gilt das für Brünnhilde, deren Loyalitätskonflikt und emotionale Achterbahnfahrt Russell so intensiv in Szene setzt, dass einem immer wieder der Atem stockt. Auch der von übermächtiger Gier nach dem Ring gepeinigte Alberich, der mit jedem Bild mehr Chaos auslösende Verträgebrecher Wotan, die geisterhafte Urmutter Erda, der verschlagene Hagen und natürlich der zunächst naive Siegfried sind hier keine Superhelden oder Fabelwesen, sondern – wie bei Wagner – Figuren von großer Tiefe im Spiel des Lebens.
Wagners „Ring“ als Comic mit fesselnden fast 450 Seiten
Und so liest man sich wie gefesselt durch die fast 450 Seiten, die textlich recht dicht am Original sind, auch wenn bei Alberichs erster Begegnung mit den Rheintöchtern aus dem „treulosen Nickergezücht“ (Wagner) durch Russells Texter Patrick Mason „schamlose Schlampen“ werden. Doch das ist eine Ausnahme, ansonsten wird nie versucht, sich über Gebühr dem aktuellen Zeitgeist und seinen sprachlichen Entwicklungen anzupassen. Um so beeindruckender, wie sehr das Schicksal der hier Liebenden, Hassenden oder Gierenden mitreißt. Und wie genau die komplexen Beziehungsstrukturen offenbar werden.
Welch enorme Arbeit in dem Projekt steckt, wird spätestens auf den Making-of-Seiten am Ende des Bandes sichtbar, die szenische Skizzen und Körperstudien präsentieren. Das Vorbild für die Riesen Fasolt und Fafner fand er durch Zufall im Kunden eines Zeitungsladen, der ihm dann später Modell stand.
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P. Craig Russells „Ring“-Adaption ist nicht die erste ihrer Art
P. Craig Russells „Ring“-Adaption ist nicht die erste ihrer Art, schon Anfang/Mitte der Achtziger erschien beim Verlag Schreiber & Leser eine Umsetzung des Stoffs der Franzosen Numa Sadoul und France Renoncé, später legten Roy Thomas and Gil Kane bei Dark Horses in den USA nach, es gab japanische Kulleraugen-Manga-Versionen und beim „Splitter“-Verlag ab 2010 die sechsbändige „Götterdämmerung“-Reihe, die entgegen dem Titel nicht nur die abschließende Oper, sondern die komplette Tetralogie erzählt. Aber: Das alles war eher im Fantasy- oder Superheldenmilieu verortet. Bei Russell ist das anders, auch wenn Siegfried mit seiner muskulösen Statur an Superman erinnert, Alberich an Gollum aus dem „Herrn der Ringe“ denken lässt und die Rheintöchter ein wenig ausschauen wie Arielle, die Meerjungfrau. Dennoch haben wir es hier – ganz in Wagners Sinne – mit ziemlich gegenwärtigen Problemen und Gefühlen zu tun.
Keine Frage: „Der Ring des Nibelungen“ ist für Anfänger ein ordentlicher Brocken und hat durch den reinen Umfang erhebliches Entmutigungspotenzial. Doch diese Graphic Novel ist der perfekte Einstieg: Nach der letzten Seite möchte man sofort auch musikalisch tiefer eintauchen. Vielleicht mit dem wogenden Wasser im „Rheingold“, mit den „Winterstürmen“ aus der „Walküre“ oder dem Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“.
Auf jeden Fall gilt dann: Hauptsache, Wagner;. Hauptsache, „Ring“.