Hamburg. Hamburger Schauspielerin hat sich nach „großer Kränkung“ als Künstlerin profiliert. Nun spielt sie in der „Dreigroschenoper“.

Vom Flughafen Hamburg in Herz des Stadtteils St. Georg sind es gut elf Kilometer und etwa 25 Minuten Fahrzeit. Wer zur Weihnachtszeit aus dem Gebäude in Fuhlsbüttel trat und sich vor dem Einsteigen ins Taxi zumindest einmal kurz umschaute, dem konnten die Plakate an der Flughafenstraße nicht verborgen bleiben.

Diese sogenannten City-Light-Plakate und City Light Boards stehen seit Wochen an den Bushaltestellen und Straßen der Stadt. „Die Dreigroschenoper“ im St. Pauli Theater wirft ihre Lichter voraus.

St. Pauli Theater: Anne Weber spielt in der "Dreigroschenoper"

Anne Weber war kurz vor Weihnachten nicht zum Flughafen unterwegs, sie hatte sich bereits einige Wochen zuvor von St. Georg aus mit dem Flugzeug nach Wien aufgemacht – ein weiteres Kapitel ihres vielschichtigen Berufslebens. Doch die in Bochum ausgebildete Diplom-Schauspielerin weiß nur zu gut, dass „Die Dreigroschenoper“, dieses bald 95 Jahre alte Stück deutschsprachiger Theater- und Musikgeschichte, demnächst auf St. Pauli spielt. Sie wirkt in der Rolle der Mrs. Peachum schließlich selbst mit; am 14. Januar ist Premiere.

Anne Weber hat „Die Dreigroschenoper“ mehrmals als Zuschauerin erlebt, am Berliner Ensemble ebenso wie am St. Pauli Theater: Die Inszenierung des Künstlerischen Leiters Ulrich Waller von 2004/05 ist bis heute eine der erfolgreichsten Produktionen in der Historie von Hamburgs ältestem Privattheater. Bis zu jener Spielzeit gehörte die in Kiel aufgewachsene Weber zwölf Jahre lang zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses. Seitdem ist die Boy-Gobert-Preisträgerin 1994 als freischaffende Künstlerin tätig.

Anne Weber: „Große Kränkung“, dass Schauspielhaus-Intendant sie nicht übernahm

Dass der damals neue Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer sie 2005 nicht übernahm, habe sie zunächst als „große Kränkung“ empfunden, erzählt Anne Weber freimütig. „Das hat mich schon eine ganze Weile beschäftigt.“ Jetzt, beim Gespräch in ihrem kreativen Refugium im ersten Stock eines sanierten Hauses in einem Hinterhof in St. Georg, sagt sie: „Seitdem ich nicht mehr fest in einem Ensemble bin, macht mir mein Beruf viel mehr Spaß.“

Schnell wird klar, dieser Frau geht es im Gegensatz zu manchem Schauspieler weniger ums Ego,. „Teamgeist ist für mich eine sehr wichtige Fähigkeit, Und ich stelle mich gern in den Dienst einer Sache.“ Das sei primär die Arbeit mit und am Stück, aber auch die permanente Herausforderung, das Publikum in erster Linie gut zu unterhalten.

Noch dazu, wenn man ein durchaus komplexes Werk mehrere Wochen lang – anders als meist an den Staatstheatern – fast jeden Abend spielen (und singen) muss. „Dabei kann man immer weiter daran arbeiten“, hat Anne Weber festgestellt.

„Dreigroschenoper“: Regie führen Peter Jordan und Leonhard Koppelmann

Regie bei der neuen alten „Dreigroschenoper“ made in St. Pauli führt diesmal das Duo Peter Jordan/Leonhard Koppelmann. Die beiden hatte fürs Thalia Theater im zweiten Corona-Frühjahr 2021 zunächst als Livestream, später vor Publikum „Shockheaded Peter“ inszeniert, die vom Uwe Granitza und dem Regieduo radikal umarrangierte Adaption des Kinderbuch-Klassikers „Struwwelpeter“. Ironie am Rande: Uwe Granitza ist auch am St. Pauli Theater musikalischer Leiter, und am häufigsten gespielt hat er „Die Dreigroschenoper“ am Schauspielhaus während der (vorzeitig beendeten) Intendanz Friedrich Schirmers.

Dass die drei Verantwortlichen diesmal umso mehr die Lieder beim „Stück mit Musik in einem Vorspiel und acht Bildern“, so die historische Beschreibung von 1928, in den Mittelpunkt rücken wollen, kann Anne Weber nicht schocken. Im Gegenteil: Songs wie „Die Moritat von Mackie Messer“ (auf Englisch: „Mack the Knife“) sind ja Welt-Hits. Als vor gut einem halben Jahr die Anfrage des St. Pauli Theaters für „Die Dreigroschenoper“ kam, musste die viel beschäftigte Künstlerin nicht lange überlegen.

Anne Weber: „Es ist toll, mit Gustav zu spielen"

Ein Grund liegt in der Person Gustav Peter Wöhlers. Mit dem seit zwei Jahrzehnten in Bandbegleitung singenden Schauspieler hatte Anne Weber 2005 zum ersten Mal am St. Pauli Theater gespielt und gesungen – in „Cabaret“, noch solch ein großer Erfolg vom Kiez; Wöhler hatte damals als Conférencier geglänzt.

In „Die Dreigroschenoper“ gibt er jetzt den Bettlerclan-König Mr. Peachum und damit den Rivalen von Einbrecher-König Macheath alias „Mackie Messer“. „Es ist toll, mit Gustav zu spielen. Er hat einen so einen wunderbaren Humor und macht auf der Bühne verlockende Angebote“ , schwärmt Weber von der Arbeit mit Wöhler, ohne dass das Bettler-Pärchen bei ihnen zum Comedy-Duo geraten dürfte.

St. Pauli Theater: Eine Inszenierung ohne Anne Weber? Kaum vorstellbar!

Längst hat Anne Weber andere komische Spuren im St. Pauli Theater hinterlassen. Eine Inszenierung ohne sie? Kaum mehr vorstellbar! Ob in der rasanten Filmkomödien-Adaption „Monsieur Claude und seine Töchter“ oder als Hippodrom-Chefin in der Revue „Große Freiheit Nr. 7“.– die wandlungsfähige Schauspielerin steht nicht nur für ein differenzierten Spiel, sondern mit ihrem Mezzosopran auch für starke Gesangsparts. Und aufs Singen hat sie mehr denn je Lust.

So hieß auch der erste Liederabend am St. Pauli Theater, für den Anne Weber mehrere Texte geschrieben hat. Auch schon wieder 16 Jahre her. Damals hat sie in der Regie ihres Mannes Franz Wittenbrink – beide sind seit 25 Jahren liiert, jedoch nicht verheiratet – eine von fünf hinreißend hemdsärmeligen Putzfrauen gespielt und gesungen, die in einer Tabledance-Bar im Morgengrauen Klarschiff machen.

„So Nice“, der Bossanova-Klassiker, war einer der Songs. Anne Weber steht in ihrem kombinierten Wohn-, Arbeits- und Schlafzimmer mit Wandklavier vom Sofa auf, holt ihren Laptop vom Schreibtisch, klappt ihn auf, sucht und findet ihren deutschen Text mit dem Titel „Putzwahn“, summt, singt und schnippt mit den Fingern. Und aus der „Seeräuber-Jenny“ machte sie in „Lust“ einen Rap, fällt ihr ein. Weber-Style.

Weber schrieb auf alte englische Hits neue deutsche Texte

Den zweiten Teil dieser Kiez-Trilogie nach „Lust“, die „Nacht-Tankstelle“, hat Anne Weber noch bis Silvester als Weihnachtsstück für Erwachsene gespielt. Wittenbrink saß dafür allabendlich am Klavier. Der Liederabend-König, den Anne Weber 1995 bei dessen bahnbrechenden „Sekretärinnen“-Abend am Schauspielhaus kennengelernt hatte, ist beim Gespräch bewusst nicht dabei. Das Reich von Franz hier „im ollen St. Georg,“, wie die Mittfünfzigern die Umgebung nahe dem ZOB flapsig nennt, liegt abgetrennt im Erdgeschoss.

Wie ist sie eigentlich zum Texten gekommen? „Nach ,Sekretärinnen’ hatten wir irgendwann keine deutschen Lieder mehr“, erzählt sie schmunzelnd. Und da habe sie eben angefangen, auf alte englischsprachige Hits neue deutsche Texte zu schreiben.

Anne Weber ist Teil des Swing-Trios Die Zimtschnecken

Gilt auch für Die Zimtschnecken. Das charmant-witzige Swing-Trio hat Anne Weber vor zehn Jahren mit ihrer Schauspielkollegin Victoria Fleer, ebenfalls bei „Lust“, „Nacht-Tankstelle“ und nun in „Die Dreigroschenoper“ dabei, sowie mit der Sängerin und Arrangeurin Sörin Bergmann gegründet Weil Weber (im Sylt-Krimi „Nord Nord Mord“/ZDF) und Fleer (in der ARD-Reihe „Nord bei Nordwest) immer auch ihrer Schauspieltätigkeit im Fernsehen nachgehen wollten, haben beide die Zimtschmecken-Arbeit mit der umtriebigen Chorleiterin Bergmann auf vier bis sechs Wochen pro Jahr konzentriert, zuletzt und wohl auch 2023 auf die Vorweihnachtszeit. Das nahezu ausverkaufte Konzert mit ausgefeilten Choreografien und Bigband 2018 im Mehr! Theater am Großmarkt bleibt für die Combo ein – wenn auch – kostspieliger Höhepunkt.

Weber kann auch groß oder mit Distanz. Für Wittenbrinks satirischen Corona-Liederabend „Nicht anfasse! Liebe in Zeiten des Abstands“ hat sie im Herbst 2020 mit Susanne Lütje die Texte verfasst. Die beiden hatten sich 2016 an der Celler Schule beim Schreiben für deutschsprachige Liedtexte kennengelernt. Praktisch: Lütje wohnt seit geraumer Zeit im zweiten Stock über ihr, komplettiert so das Kreativzentrum im Hinterhof von St. Georg.

Erst am 10. Dezember war das Trio von Fuhlsbüttel nach Wien geflogen. Im Theater in der Josefstadt feierte das musikalische Schauspiel „Jeder stirbt für sich allen“ nach dem Roman Hans Falladas Uraufführung: Musik: Franz Wittenbrink, Liedtexte und Dialoge: Anne Weber und Susanne Lütje. Erst einen Monat zuvor hatte an der Komischen Oper Berlin als Zwei-Akter „Pippi Langstrumpf“ Premiere. Libretto: Lütje/Weber, Musik: Franz Wittenbrink. Ebenfalls im Herbst hatte „Urmel aus dem Eis“ in einer Bühnenfassung von Lütje und Weber Uraufführung im Jungen Theater Bonn gefeiert – mit Musik von Rainer Bielfeldt.

St. Pauli Theater: Multikünstlerin Anne Weber an der Seite von Oliver Mommsen

Und schon Anfang Februar feiert am der Staatsoper Stuttgart „Der Räuber Hotzenplotz“ als Singspiel des Komponisten Sebastian Schwab Uraufführung . Die Liedtexte stammen auch hier vom Duo Lütje/Weber. Es geht also auch im neuen Jahr munter weiter für die Multikünstlerin Anne Weber.

Da ist sie jedoch noch in „Die Dreigroschenoper“ gefragt. Und vom 22. bis 28. Januar sowie vom 7. bis 12. Februar steht sie bei der Wiederaufnahme der von Uli Waller famos inszenierten Dinner-Komödie „Das perfekte Geheimnis“ erneut im St. Pauli Theater auf der Bühne.

An der Seite von TV-Smartie Oliver Mommsen spielt Anne Weber eine gut situierte Psychotherapeutin, die vorhat, sich die Brüste operieren zu lassen. Doch das ist nur eine der komischen Facetten in dem prominent besetzten Ensemble. Sollten jene Plakate für das Stück bald wieder im Stadtbild auftauchen, gilt es umso mehr, auf diese feine Teamspielerin zu achten.

„Die Dreigroschenoper“ Premiere Sa 14.1., 19.30, bis 26.2. und 23.5. bis 10.6., St. Pauli Theater, Spielbudenplatz 29/30, Karten zu 21,90 bis 76,90 in der Hamburger-Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32, T. 040/30 30 98 98; www.st-pauli-theater.de