Hamburg. Wegen Modernisierungsarbeiten muss die Modelleisenbahn im zweiten Stock weichen – doch es gibt eine neue Idee dafür.

Ein fast zehn Meter langer Güterzug schlängelt sich auf Schienen vorbei an Hafenkränen und Umschlagplätzen; in Harburg warten Reisende am Gleis zwischen Laternen und Litfaßsäulen auf einen ICE, der zeitgleich mit drei weiteren Zügen den Bahnhof erreicht. Ein Kaischuppen mit Anschluss an die Hafenbahn zeigt, wie es dort vor dem Bau der HafenCity aussah. Lokomotiven passieren ein Stellwerk, Weichen werden gestellt, Signale ertönen, von Weitem schon ist das Getöse einer Dampflok zu hören – deutsche Eisenbahngeschichte und Hamburger Stadtgeschichte im Miniaturformat. Niedlich-übersichtlich – hier ist die große weite Welt begreifbar, anfassbar.

Seit 73 Jahren beherbergt das Museum für Hamburgische Geschichte Europas größte Modelleisenbahnanlage mit naturgetreuer Nachbildung im Maßstab 1:32 (Spur 1). Die Figuren-Ensembles und Landschaften wurden in Handarbeit zusammengestellt, Hunderte Liliputlampen, Kugelglühbirnen, Muffen, Litzen und Folien verwendet, damit Groß und Klein staunen und in den Vorführpausen sogar selbst die Züge steuern können.

Nach 73 Jahren: Attraktion im Museum für Hamburgische Geschichte muss abgebaut werden

Für viele Hamburgerinnen und Hamburger ist die Anlage ein Stück Kindheitserinnerung. Kindergärten und Schulklassen machen Ausflüge dorthin, um die Bedeutung des Güterverkehrs für den Hafen und den Betrieb von Eisenbahnen zu verstehen, und auch von weiter her reisen Modellbaufans an den Holstenwall. „Eine unzertrennliche Attraktion“, heißt es auf der Website des Museums.

„Die Anlage ist ein Publikumsmagnet, an guten Tagen kommen 1000 Besucherinnen und Besucher deswegen ins Museum“, sagt Kay Gawehns. Er betreut die Eisenbahnanlage und ist für die stündlich stattfindenden Vorführungen verantwortlich. Man könnte sagen: Gawehns hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Doch jetzt gerade ist er frustriert. Denn das Modell, in das so viel Herzblut geflossen ist, soll am 30. Januar vom zuständigen Verein Modelleisenbahn Hamburg (Mehev), dem er und 63 weitere Mitglieder angehören, auf eigene Kosten abgebaut werden.

In diesem Jahr beginnt die für das Haus zuständige Stiftung Historische Museen Hamburg mit der grundlegenden Sanierung und Modernisierung von Gebäude und Ausstellungsbereichen. Flächen werden geräumt, Exponate Stück für Stück ausgelagert, Räume neu konzipiert. Die Dauerausstellung wird am 1. Februar geschlossen, um anschließend komplett neu als Rundgang durch Hamburgs Historie gestaltet zu werden. In dem Zuge wurde beschlossen, dass die Modelleisenbahn aus der zweiten in die dritte Etage in einen um etwa ein Drittel kleineren Raum als jetzt ziehen soll – dorthin, wo es später um die Themen Verkehrsgeschichte und Nachhaltigkeit gehen soll und wo jetzt wie auch später die Werkstätten untergebracht werden.

„Sosehr ich die Trauer und Wehmut der Vereinsmitglieder nachvollziehen kann, glaube ich, dass eine kleinere und modifizierte Version der Modelleisenbahn in diesem Umfeld und mit Anschluss an den Rundgang der Dauerausstellung ganz zauberhaft werden kann“, sagt Bettina Probst, Direktorin des Museums für Hamburgische Geschichte. Sie wolle auf jeden Fall die Eisenbahnanlage im Haus behalten, „ich weiß um die Bedeutung und Beliebtheit dieser Attraktion. Deshalb wollen wir den Verein auch bei der Entwicklung eines überzeugenden Konzepts unterstützen, mit dem wir auch Fundraising betreiben können.“

Direktor Walter Hävernick holte die Modelleisenbahn ins Haus

„30 Kilometer Kabel, 250 Weichen und 1200 Meter Gleise kann man nicht plattenweise heraustragen“, sagt Harald Jäkel, ebenfalls Mitglied bei Mehev. Alles sei miteinander verwoben, ein Abbau sei im Grunde ein Abriss und damit „Zerstörung eines Kulturgutes“. Dagegen will sich der Verein wehren, Jäkel hat Bürgermeister Peter Tschentscher und Kultursenator Carsten Brosda angeschrieben und um deren Intervention gebeten – bislang ohne Rückmeldung. Dabei würde der Diplom-Ingenieur gerne als Ideengeber für „kreative Alternativen“ fungieren: Statt abzureißen die Anlage durch Bauhilfsmaßnahmen und Gerüste sichern und schützen, an denen sie gegebenenfalls aufgehängt werden kann, während drum herum und darunter die Sanierungsmaßnahmen stattfinden.

„Wir können unsere Sanierung und Modernisierung nicht um die Modelleisenbahn herum durchführen“, antwortet die Direktorin. „Die Handwerker müssen an Wänden und Leitungen arbeiten, Gerüste aufstellen und so weiter. Es gibt keine Alternative: Die Anlage muss abgebaut werden.“

Museum für Hamburgische Geschichte: Ins zweite Stockwerk zieht Villa Rücker ein

Unmut bei den Modellbauern gibt es aber auch über die neue Raumnutzung des jetzigen Standortes: Im zweiten Stockwerk sieht die Planung vor, die Villa Rücker künftig zu präsentieren – ein Rückgriff auf ein Vorhaben von Gründungsdirektor Otto Lauffer und Oberbaudirektor Fritz Schumacher von vor 100 Jahren: Sie ließen die Südfassade des Museums in Anlehnung an Loggia und Garten der spätklassizistischen Kaufmannsvilla gestalten.

Im Haus selbst sollten die vor dem Abriss bewahrten Innenräume als Zeugnisse bürgerlich-hanseatischer Wohnkultur gezeigt werden. Indem die Villa Rücker in den zweiten Stock zieht, schließt sich dieser damals erdachte Erzählkreis, der durch Kriegswirren und finanzielle Engpässe damals nicht in die Tat umgesetzt wurde.

Der nachfolgende, technikbegeisterte Direktor Walter Hävernick holte die Modelleisenbahn schließlich vor 73 Jahren ins Museum am Holstenwall. Diese muss nun bis Ende des Jahres komplett abgebaut sein. Wenig später wird Kay Gawehns in Rente gehen. Man könnte meinen, dass es ihn dann nicht mehr interessiert. Aber für den Modellbauer wird dann auch „ein Stück Hamburg“ weg sein. „Das Museum ist ein Museum für die hamburgische Geschichte, und dazu gehört die Modellbahn.“

Das sieht auch Bettina Probst so. Es sei nun wichtig, dass man mit dem Vereinsvorstand zusammenkomme und an einem Strang ziehe. Die neue Präsentation sei eine Chance, sich den gewandelten Sehgewohnheiten des Publikums anzupassen, mit digitalen Angeboten etwa auch jüngere Leute anzusprechen und das Angebot attraktiv zu halten.