Hamburg. Sie ist eine der besten und klügsten Songschreiberinnen in Deutschland. Die “Kleingeldprinzessin“ über ihre Songs, Politik und Poesie.
Sie ist eine der besten und klügsten Songschreiberinnen in Deutschland, und das seit 20 Jahren. Im Januar feiert Dota Kehr mit ihrer Band 20. Jubiläum und beginnt am 6. Januar eine kurze Deutschland-Tournee im Hamburger Gruenspan. Wir haben die Künstlerin in einem Café in ihrer Heimatstadt Berlin getroffen
Ihr Song „Keine Zeit“ ist zu einer Hymne der Klimaschutzbewegung geworden. Was war für Sie der Anstoß für diesen Song?
Ich wurde gebeten, auf der Demo von „Fridays For Future“ zu spielen und eine Rede zu halten. Aber ich habe keine Expertise und kein Wissen, das wir nicht alle haben. Also habe ich einen Song darüber geschrieben, wo wir gerade stehen.
Sind Sie in Umwelt-Initiativen engagiert?
Ich habe mal eine Petition initiiert, in der es um die nötige Reduzierung der Nutztierhaltung ging, die ohnehin Ziel unseres Agrarministers ist. Ich dachte, für den politischen Rückenwind ist es gut, wenn diese Forderung auch aus der Zivilbevölkerung kommt. Jeder weiß, dass weniger Fleischkonsum besser ist für den Planeten. Das ist mir schön um die Ohren geflogen mit viel Beschimpfungen von beiden Seiten.
Die eine Seite glaubte, ich nehme ihnen ihr Schnitzel weg, die andere Seite kritisierte, das ich Nutzhierhaltung gar nicht abschaffen, sondern nur reduzieren wolle. Ich hab’ mir die Haare gerauft! Man muss doch sehen, was politisch umsetzbar ist. Mir ist klar, dass eine Verordnung, die vorschreibt, ab morgen müssen alle vegan essen, nicht realistisch ist.
Wie weit schaffen Sie es, sich klimaneutral zu verhalten?
Ich gebe mir Mühe zum Beispiel durch Konsumverzicht. Ich habe wenig Klamotten und wenig neues Zeug. Mit der Band fahren wir mit dem Zug, wenn wir ohne Equipment unterwegs sind. Wenn wir Schlagzeug und Verstärker mitnehmen, sitzen wir zu siebt im Sprinter.
Verstehen Sie sich als politische Künstlerin?
Eigentlich nicht. Ich schreibe über Dinge, die mich bewegen und Politik ist ein Teil davon. Ich kann nicht so tun, als wäre ich mit den Zuständen zufrieden. Einen ganzen Abend nur Lieder über „ich und du“ zu singen, würde bedeuten, dass es keine relevanten Themen gibt, die zur Sprache kommen müssen. Man kann aber auch „ich und du“-Lieder singen, in denen politische Themen zur Sprache kommen. Ich mag jedoch keinen Gesinnungsapplaus, das ist mir zu billig.
Es gibt in Ihrem Repertoire viele witzige Texte. Ist es wichtig, auch Hoffnung zu machen?
Ja, auf jeden Fall. Es ist wichtig, dass man gemeinsam lacht. Als ich am Anfang meiner Karriere auf der Bühne stand und sehr viel traurige Lieder geschrieben habe, merkte ich, dass ich die viel besser spielen kann, wenn das Publikum zwischendrin auch mal gemeinsam lachen darf, zum Beispiel bei einer lustigen Ansage.
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Was macht für Sie ein gutes Liebeslied aus?
Zum einen die gleichen Kriterien, die ich an jedes Lied anlegen würde. Es muss musikalisch und textlich originell sein. Es muss rhythmisch, harmonisch, melodisch gut zusammenpassen und es muss mich berühren. Wenn ich Lieder im Radio höre und die Absicht erkenne, dass jemand ein erfolgreiches Lied schreiben wollte, das mich berühren soll, dann langweile ich mich sofort. Es gibt berühmte Lieder der Popkultur, bei denen man den Geistesblitz dieser Idee spürt. Zum Beispiel bei Cheap Tricks „I want you to want me“.
Außer dem Album „Wir rufen Dich, Galaktika“, das im vergangenen Jahr herausgekommen ist, haben Sie auch Gedichte von Mascha Kaléko vertont, einer jüdischen Schriftstellerin, die 1938 ins Exil gegangen ist. Wie sind Sie auf Kaléko gekommen?
Vor fünf Jahren hat mir ein Zuhörer nach einem Konzert ein Büchlein mit dem Titel „Sei klug und halte dich an Wunder“ geschenkt. Es ist ein schöner Gedichtband, der aus Kalékos Nachlass veröffentlicht wurde. Ich kannte sie vorher nicht. Sie hat seit den 1920er-Jahren veröffentlicht und ich finde, sie hat einen gleichberechtigten Platz neben Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Ringelnatz verdient.
Die Gedichte haben mich ziemlich gepackt, und ich habe sofort darin Melodien gehört. 2020 ist dann ein erstes „Kaléko“-Album mit meinen Vertonungen erschienen, im Moment arbeiten wir an einem zweiten, für das wir 25 Songs aufgenommen haben. Unter anderem werde ich darauf Duette mit Gisbert zu Knyphausen und Funny Van Dannen singen.
Wird es dazu eine Tournee geben?
Ja, da werden wir allerdings in Theatern spielen und nicht in Clubs. Zum ersten Kaléko-Album konnten wir wegen Corona in vielen Städten nicht auftreten. Das holen wir mit dem zweiten Album nach. Im September werden wir damit auch auf Kampnagel gastieren.
Was können wir bei Ihrem Hamburg-Konzert im Gruenspan erwarten?
Es wird ein ganz besonders Konzert, weil wir eine Art Band-Geburtstag feiern. Wir haben im Januar 2003 angefangen. Die Idee für den Abend war, ein Song von jedem Album zu spielen, von den späteren Alben werden wir hier und da auch mal zwei Songs spielen. Es gibt insgesamt 16 Alben, wir haben also genug Repertoire. Das wird ein lustiger Ritt durch die Bandgeschichte.
Haben Sie eine Beziehung zu Hamburg?
Ja. In Hamburg war unser allererstes Auswärtskonzert im Fool’s Garden. Wir haben auch im Souledge, in der Roten Flora und im Knust gespielt. Im Gruenspan waren wir im Mai mit den Songs von „Galaktika“. Es war ausverkauft und ein Superabend. Danach waren wir noch ganz lange am Hamburger Berg kickern.
Haben Sie einen musikalischen Traum?
Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich so unabhängig sein kann. Unabhängigkeit war mir immer sehr wichtig. Es gibt noch sehr viel Dinge, auf die ich Lust hätte, um mich darin musikalisch auszuprobieren. Zum Beispiel Filmmusik. Theatermusik habe ich auch noch nie gemacht. Daran finde ich interessant, dass die Musik ein Teil von etwas ist, aber nicht im Vordergrund steht. Es gibt noch so viel zu schreiben, jede neue Gegenwart erfordert neue Lieder. Sie sind Teil einer großen Erzählung der Menschheit – und ich wähne mein bestes Lied immer in der Zukunft.
Dota Kehr Fr 6.1., 20 Uhr, Gruenspan, Tickets 34,55; www.kleingeldprinzessin.de