Hamburg. “Mehr Pfeifen als die Elbphilharmonie“: Zurzeit ist in der Kirche noch eine Orgel-Großbaustelle zu finden. Wann die Premiere ist.
Es rumort und rumpelt interessant im Inneren. Irgendwo hinter dem denkmalgeschützten Orgelprospekt der längst nicht mehr guten, aber alten Peter-Orgel sind mehrere Mitarbeiter von Philipp Klais am Orgelwerk, das eine oder andere Register ihres Könnens ziehend. Der Rest: Baustelle, ein schönes, kleines Déjà-vu-Sortiment aus viel Werkzeug und noch mehr Unordnung, das daran erinnert, wie interessant es damals im Großen Saal der Elbphilharmonie gewesen war.
Als das riesige Instrumenten-Puzzle dort noch aus unzähligen Einzelteilen bestand, die alle im Stammsitz der weltweit gefragten Orgelbau-Firma in Bonn entstanden sind.
Hauptkirche St. Nikolai bekommt neue Orgel
Das aktuelle Durcheinander in Gesangbuch-Wurfweite zum Klosterstern soll sich in der Hauptkirche St. Nikolai allerdings in den nächsten Monaten mehr und mehr geben und richten. Der Festgottesdienst für die Premiere der neuen Orgel, die stark auf Vorhandenes aufbaut, ist für Ostern 2023 geplant. Eine nicht ganz kleine Summe – etwa 370.000 Euro – für das Begleichen der finalen Rechnung fehlt noch.
Das Preisschild hat sich etwas vergrößert, unter anderem, weil man für die Statik des Neubaus Stahlträger in die Empore einbauen musste, auf 3,8 Millionen Euro. Eine Million Euro kam vom Bund. Doch alle hier sind zuversichtlich: Das wird schon, der Landeskirchenmusikdirektor habe für solche Fälle einen passenden Spruch bereit: Das Geld ist schon da, es ist nur noch nicht bei euch.
Peter-Orgel vor vier Jahren stillgelegt
Nach gut einem halben Jahrhundert Lebenszeit – kein Vergleich zu den historischen Instrumenten in anderen Hamburger Gotteshäusern – hat das Vorgänger-Modell, Baujahr 1966, in St. Nikolai ausgedient. Abgezeichnet hatte es sich schon länger, wegen technischen Konditionsproblemen endgültig stillgelegt wurde die Peter-Orgel vor vier Jahren. Herumgedoktert hatte man bereits mehrfach an ihr: Die Windladen, Lungen und Herz des Instruments, sind schon nicht mehr original, berichtet Klais. „Die Organisten haben immer um die Orgel herumgespielt“, beschreibt Martin Vetter, Hauptpastor und Probst, das chronische Durchlavieren.
Es war aber auch nicht alles schlecht, betont Klais, sein großes Herz für Orgeln jeden Charakters demonstrierend „Die Peter-Orgel war ja nicht irgendeine Orgel, von den Hamburger Hauptkirchen ist diese die modernste. Bei der Planung des Klang-Charakters sei „eine extrem farbenreiche, neobarocke Konzeption“ zum Tragen gekommen, auch als Einladung für Zeitgenössisches. „Keine andere Orgel in Hamburg hatte diese Ausrichtung!“
Philipp Klais: „Der Kern wird erhalten"
Klais baut nun nicht alles von Grund auf neu, fast das gesamte Peter-Pfeifenwerk wird in das Update übernommen, nur einige geschmäcklerische Dinge aus der Entstehungszeit, seitdem aus der orgelmusikalischen Mode gekommen, würden es jedenfalls nicht mehr bis ins nächste Orgel-Leben schaffen.
Zahlen und Fakten über die neue Klais-Orgel |
130 Register (Klangfarben), davon fünf in separatem Gehäuse über dem Haupteingang. Zwei gestimmte (Röhrenglocken und Celesta) und acht ungestimmte (Trommel, Gong etc.) Schlagwerke. 141 Pfeifenreihen mit jeweils bis zu 85 Pfeifen. Insgesamt 7279 Pfeifen, davon 282 aus Holz, die übrigen aus Zinn-Legierungen. Denkmalgerechte Restaurierung von 5201 Pfeifen der Peter-Orgel von 1966, ergänzt um 2078 neue Pfeifen. Längste Pfeife: ca. 8 Meter Länge einschließlich Fuß. Tiefste Pfeife: ca. 5 Meter Länge, erzeugt einen Ton mit 16 Schwingungen pro Sekunde; da die untere Hörschwelle bei ungefähr 20 Schwingungen liegt, kann man diese Töne mehr fühlen als hören. Kleinste Pfeife: ca. 11 Millimeter Länge, erzeugt einen Ton mit 15.600 Schwingungen pro Sekunde; diese Frequenz liegt dicht an der oberen Hörgrenze. Maximaler Windverbrauch: ca. 90 Quadratmeter pro Minute. Drei Ventilatoren, davon einer über dem Haupteingang. Ein mechanischer Spieltisch an die Orgel angebaut, ein zweiter im Kirchenraum. Länge der Verbindungen von den Tasten im angebauten Spieltisch zu den Pfeifen: ca. 2100 Meter. Breite: 10 Meter. Höhe: 10,5 Meter. Tiefe hinter den sichtbaren Frontpfeifen: 3,2 Meter. Zeitaufwand: An der Orgel arbeiten ca. 45 Orgelbauer ca. 30.000 Stunden. |
Aus und vorbei ist auch die Zeit der elektronischen Traktur, die damals womöglich der letzte Schrei bei Orgel-Bestellungen war. Jetzt geht es wieder zurück zur Mechanik. „Der Kern wird erhalten, das Drumherum wird erneuert“, so fasst Klais seine Zielsetzung zusammen, „ich hoffe, dass man diesen Kern weiterhin erkennt und wertschätzt. Wir quetschen nichts dazu, sondern arbeiten raumgreifend.“ Was heißt: Die neue Orgel hat mehr Bruttogeschossfläche, mehr Kubikmeter.
Philipp Klais: „Das ist eine große Orgel!“
Etwa 25 Prozent Orgel mehr fürs Geld, raffiniert verpackt in seitliche Anbauten, darunter auch Schlagwerke, falls etwas Zeitgenössisches danach verlangen sollte, und ein Antiphonal für Surround-Erlebnisse auf der Empore über dem Eingang zum Kirchenraum. Für den alten Original-Spieltisch habe sich ein Liebhaber gefunden, berichtet Vetter, die nachgebauten Windladen: zersägt. Ab Anfang Dezember sollen die etwa 7500 Pfeifen bis März intoniert werden. „Das ist eine große Orgel!“ betont Klais, „mehr Pfeifen als die Elbphilharmonie.“ Dort sind es weniger als 5000.
Ins Ensemble der Hamburger Orgel-Stars, vom frühbarocken Altmeister Arp Schnitger aufwärts über die pompös in Szene gesetzte Michel-Vielfalt bis zur State-of-the-Art-Elbphilharmonie, soll sich der Klais-Neuling harmonisch, aber mit eigenem Profil einfügen, das hat man sich hier fest vorgenommen. So Klais-lastig, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, sei die hiesige Orgellandschaft aber gar nicht, rechnet Klais vor: Seine Arbeiten im Michel waren Kooperations-Objekte, zur Namensgebung hat es dort nicht gereicht.
Hauptkirche St. Nikolai: Klais-Orgel bietet Besonderheit
Neben der kleinen Taufkapellen-Orgel im Nikolai-Eingangsbereich, gerade mal drei Jahre jung, sei das Peter-Update also erst das zweite Instrument made in Bonn, das in einer Hamburger Kirche steht. Und eine Klais-Orgel wäre keine Klais-Orgel, hätte sie nicht auch eine kleine, liebevoll durchgedrehte Besonderheit zu bieten: In der Elbphilharmonie sind das die Special-Effect-Schiffspfeifen, die ins Fernwerk eingebaut wurden; auch die Speziallackierung für die Prospektpfeifen in den Rängen des Großen Saals, damit das Publikum sie problemlos anfassen kann, ist eine Spezial-Maßanfertigung.
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Die Peter-Zwo-Orgel am Klosterstern erhält ein kleines Guckfensterchen. Hinter der Orgel führt eine Treppe vom Kirchenraum auf die Empore von hinten am Unterbau der Orgel hinter dem Spieltisch vorbei. Dort wurde ein Fenster eingebaut, um die Spielmechanik mit den gesamten Holzverbindungen zwischen Taste und Ventil (den sogenannten Abstrakten) zeigen zu können. Bei aller Millimeter-Arbeit: Orgelbau muss ja immer auch noch Spaß machen.
Informationen: www.orgel-stnikolai.de