Hamburg. Autorin Armgard Seegers ist die Tante des berühmten Popsängers Thomas Mars. Eine persönliche Erinnerung zum neuen Album „Alpha Zulu“.

Wie ist das eigentlich, als Musiker auf der Bühne zu stehen und vor 50.000 Fans zu singen? Bekommt man da den ultimativen Adrenalin-Kick? Solche Fragen habe ich in diesem Sommer meinem Neffen Thomas Mars gestellt, der Sänger ist und Frontmann der französischen Indie-Pop-Band Phoenix. Natürlich spielen die nicht immer vor solchen Menschenmassen. Solche Zuschauerzahlen gibt’s bei Festivals, mal in Brasilien, mal in Coachella, dem berühmtesten Musikfestival nach Woodstock. Aber Kick und Zuspruch bekommt man auch von weniger Zuschauern.

Phoenix haben zu ihrer Anfangszeit beispielsweise in Hamburg im Logo gespielt. Vor 80 Gästen. Das war in den 90er-Jahren. Lange, bevor sie die erfolgreichste europäische Band in den USA wurden. Bevor sie in allen großen US-Fernsehshows auftraten, Filmmusik schrieben, (unter anderem für Matthias Schweighöfer), für Werbekampagnen komponierten und große Preise gewannen, darunter einen Grammy, 2010 für ihr Album „Wolfgang Amadeus Mozart“. 2014 wurden „Bankrupt“ in Frankreich als bestes Rock-Album ausgezeichnet. 25 Jahre alt ist die Band in diesem Jahr. Soeben erschien ihr siebtes Album: „Alpha Zulu“.

Thomas Mars: Mit Phoenix bei Regen in Südfrankreich getanzt

Auf meine eingangs gestellte Frage antwortete Thomas Mars (der sich den Nachnamen Mars als Künstlernamen ausgesucht hat): „Ja, man bekommt auf der Bühne von all den jubelnden Fans schon einen gewaltigen Adrenalinkick. Aber deswegen mache ich es nicht.“ Aha, das ist ja mal was Besonderes, ein Mann, der nicht nur bewundert werden und im Mittelpunkt stehen will. Obwohl ihm sein Beruf übermäßig viel davon zuteilt. Thomas und seine Band-Kollegen Laurent Brancowitz, Christian Mazzalai und Deck Darcy sind allesamt unfassbar liebenswürdige, sanfte Menschen. Keinerlei Allüren. Sie trinken fast nie Alkohol, drei von ihnen sind aufmerksame Familienväter. Und alle sagen unisono: „Wir machen Musik, weil wir zusammen spielen und auftreten wollen. Das ist unser größter Antrieb und Spaß.“ Vor der Pandemie waren sie nie länger als vier Wochen voneinander getrennt. Es muss also Liebe sein. Oder so ähnlich.

Phoenix-Sänger Thomas Mars mit seiner Tante Armgard Seegers.
Phoenix-Sänger Thomas Mars mit seiner Tante Armgard Seegers. © Armgard Seegers (FMG) | Armgard Seegers (FMG)

Laurent und Christian sind Brüder, Thomas und Deck ihre Freunde. Laurent gehörte zum Gründungsteam von Daft Punk. Thomas und die beiden Brüder haben eine deutsche Mutter. Vielleicht schweißt das im noblen, konservativen Versailles, wo sie aufgewachsen sind, zusammen. Sie sind gemeinsam zur Schule gegangen und kaum waren sie elf oder zwölf Jahre alt, haben sie eine Band gegründet. Ich konnte das alles mitverfolgen, denn Thomas ist mein Neffe. Im Keller meiner Schwägerin wurde ein Raum zur Schalldämmung mit Eierpappen ausgekleidet. Dorthin verzogen sich die Jungs für Tage und Nächte. Eigentlich haben sie nie etwas anderes gemacht als Musik.

Phoenix macht sehr gute, ungewöhnliche Popmusik

Im Jahr 2000 erschien ihre erste Platte „United“. Ich weiß noch, wie wir dazu noch vor der Veröffentlichung in Südfrankreich draußen bei Regen getanzt und vom großen Erfolg geträumt haben. Die Songs „Too Young“ und „If I ever feel better” können heute noch auf jeder Tanzfläche bestehen. 70 Wochen blieb „United“ in den französischen Charts. Ja, Phoenix macht sehr gute, ungewöhnliche Popmusik.

Das Cover des Albums
Das Cover des Albums "Alpha Zulu" der Band Phoenix. © Glassnote Records

Federleicht, eingängig, geschmeidig. Und dennoch experimentell. Oft waren seltene Instrumente dabei, eine 12-saitige Gitarre, ein Synthesizer aus den 70-er Jahren, ein schräges Keyboard. Viele Lieder machen einfach gute Laune. Vielleicht auch, weil man die Texte nicht versteht. So kryptisch sind sie. Abstrakt, neu, sehr elegant. Hits wie „Lisztomania“, „Trying to be cool“ oder „1901“ zeugen davon. Ich habe die Jungs im Pariser Olympia spielen sehen. Und im New Yorker Madison Square Garden. Immer, immer war es eine große Feier, eine große Freude.

Thomas Mars ist mit der Regisseurin Sofia Coppola verheiratet

Die Bandmitglieder wurden in Frankreich und den skandinavischen Ländern zu Stilikonen. Obwohl Thomas seit 15 Jahren in New York lebt – er ist mit der Regisseurin Sofia Coppola („Lost in translation“) verheiratet, die wiederum Tochter des Filmemachers Francis Ford Coppola ist – lebt die Band als gemeinsamer Organismus. Ich konnte das im Juni dieses Jahres in Lyon erleben, als sie ihr erstes Konzert nach der Pandemie gaben und zum ersten Mal ein Stück aus ihrem neuen Album „Alpha Zulu“ in einem Amphitheater unter Vollmond spielten. Bei einer Show, die bunt wie in Technicolor wirkte und wie aus einer italienischen Oper. War das schön!

Der Titelsong „Alpha Zulu“ bleibt durch seinen „Halleluja“-Refrain und seinen coolen Groove sofort als Ohrwurm hängen. Das Video zum Song erweckt weltberühmte Gemälde zum Mitsingen und Mitwippen. Wirklich toll!

Titelsong "Alpha Zulu": Cooler Groove und Ohrwurm

Zehn Stücke präsentiert das Album, die Stimmung wechselt bei jedem Lied. „Tonight“ ist treibender Synthie-Pop mit der schönen Textstelle „Now I talk to myself and it’s quite surprising“. Üppig instrumentierter Sonnenschein-Pop präsentiert sich mit „The Only One“. Rockig wird’s bei „After Midnight“. Und in „Winter Solstice“ werden dunkle Gedanken in traumhaften Keyboardläufen transportiert. In „Identical“ oder „All Eyes on Me“ darf der Bandschlagzeuger Thomas Hedlund mit treibenden Beats alles geben.

Mag sein, dass „Alpha Zulu“ nicht so viele Ohrwürmer hat wie die vergangenen Alben. Aber auf einer gerade zu Ende gegangenen US-Tour haben die Fans die neuen Stücke genauso geliebt wie die seit Jahren bekannten. In Deutschland werden die Phoenix-Jungs (inzwischen alle Mitte 40) nur ein Konzert geben: Am 20 November in Berlin, in der Columbiahalle.

Armgard Seegers war bis zu ihrer Pensionierung langjährige Theaterkritikerin und Kulturredakteurin beim Hamburger Abendblatt