Hamburg. Der Hamburger Sänger spricht über das neue Album „Plan A“, seine erste Schreibblockade, den ESC – und durch die Blume über Ina Müller.

Interviews mit Johannes Oerding waren bislang meist anders als andere. Eines der ersten führte das Abendblatt mit ihm, dem seinerzeit noch relativ unbekannten Lokalhelden, in einem schmucklosen Kaufhaus-Büro an der Mönckebergstraße nach einer Autogrammstunde. Auch Cafés, Backstageräume, Absturzkneipen wie die Capri Stube und das Hausverbot waren dabei.

Mittlerweile hat es Oerding aber mit dem sechsten Album „Konturen“ (2019) an die Chartsspitze sowie zum gern gesehenen Fernsehgast („Sing meinen Song – das Tauschkonzert“, „The Voice of Germany“) geschafft. Entsprechend voll ist der Terminkalender zur Veröffentlichung seines neuen Albums „Plan A“. Also griff Johannes Oerding dieses Mal zum Telefon und rief an. „Nächstes Mal wieder mit Bier“, versprach er am Ende. Wir bestehen darauf.

Hamburger Abendblatt: „Mit diesem jungen Mann wird zu rechnen sein“, schrieb das Hamburger Abendblatt 2009 nach Ihrem Auftritt im Knust. Vor wenigen Tagen stellten Sie dort Ihr neues Album „Plan A“ live vor. War das wie eine Heimkehr nach langer Zeit?

Johannes Oerding: Es fühlte sich alles an wie 2009, auch weil sich seitdem nichts mehr verändert hat im Knust. Ich glaube, nur eine Couch wurde im Backstageraum von einer Wand zur anderen gerückt, das war’s. Wir haben alle noch alte Fotos von 2009 rausgekramt und 13 Jahre später nachgestellt. Es fühlte sich immer noch an wie das erste Konzert meiner ersten relevanten Tournee.

Mittlerweile sind Sie große Hallen gewohnt. Wie läuft denn der Vorverkauf für die Barclays Arena im April?

Oerding: Das Ding wird bald voll sein, und das ist wirklich erstaunlich. Ich bin auch sehr froh, denn ich merke, dass die Leute auch bei mir zögerlich sind. Aber auf Hamburg ist Verlass.

„Die ganze Welt macht auf Flugmodus“ heißt es in einem der neuen Lieder. War es schwerer, neue Songs zu schreiben als in der Zeit vor 2020?

Oerding: Das war der schwierigste Albumstart, den ich jemals hatte. Am Anfang hatte ich wirklich keinen Bock, keine Idee, weil ich wie jeder Mensch mit ganz anderen Pro­blemen zu tun hatte. Es hat lang gedauert, bis ich die Muße hatte, mich hinzusetzen. Als „Plan A“ als erster Song fertig war, dachte ich: Gott sei Dank, ich kann es noch. Ich merke aber auch: Je mehr Alben und Songs man veröffentlicht, desto dünner wird die Luft. Ich habe vieles gesagt, viele Themen behandelt, und man will sich ja selber nicht wiederholen. Es gibt ja noch viele andere Künstlerinnen und Künstler da draußen, die auf Deutsch singen und diese Themen behandeln. Auch von denen – Hallo Mark! Hallo Max! – will man ja nix klauen.

Sie haben ja auch nicht wenige Songs für andere Künstlerinnen und Künstler geschrieben. Sind Sie da jetzt weniger freigiebig und halten die besten Ideen zurück?

Oerding: Ich merke, dass ich auf jeden Fall darauf achte, mit wem und für wen ich schreibe. Da freue ich mich, wenn zum Beispiel ein Peter Maffay auf mich zukommt, weil ich da schon merke: Okay, ein 73-Jähriger singt definitiv über andere Themen als ich.

Es fällt auf, dass „Plan A“ nicht so opulent und arenatauglich arrangiert ist wie die Vorgänger „Konturen“ und „Kreise“ und wieder ein Stück zurück sind beim Johannes Oerding von 2009.

Oerding: Ja, das ist mir, nachdem es fertig war, auch aufgefallen. Es ist ein Stück weit kleiner, aber das ist einfach so passiert ohne konkreten ... Plan.

Im Song „Ecke Schmilinsky“ haben Sie nachts auf dem Kiez eine schicksalhafte Begegnung mit einer Frau – autobiografisch oder nur eine Songschreiber-Fantasie?

Oerding: Das ist schon eine Geschichte, wie ich sie erlebt und für mich abgespeichert habe. Ich gebe zu, ich habe ein wenig gelogen in der Zeile „nachts um halb eins auf der Reeperbahn“, es müsste heißen: „Nachts um halb vier am Schellfischposten“.

Wo eine gewisse Ina Müller ihre Sendung aufzeichnet, verstehe. Das Lied „Schnee von gestern“ zitiert sowohl lyrisch als auch musikalisch Bryan Adams. Sehen Sie Gemeinsamkeiten mit dem kanadischen Sänger?

Oerding: Ich wünschte, ich hätte seinen Erfolg und sein Geld. Man hört es öfter, dass meine Stimme mit seiner verglichen wird, oder mit Bruce Springsteen oder Sam Fender. Aber gern, das sind Künstler, die ich auch selbst total abfeiere, wie sie komponieren, wie sie Gefühle vermitteln.

Nicht wer, aber was hat Sie zu dem gesprochenen „Eins-zu-eins-Gespräch“ mit Ihrem Vater inspiriert?

Oerding: Ich hatte schon länger die Idee für dieses Lied in der Schublade liegen gehabt, aber dachte immer, ich wäre viel zu jung dafür. Aber es gibt diese Momente, die die Endlichkeit unseres Daseins andeuten, deshalb habe ich mir gesagt: lieber jetzt. Denn ich möchte, dass mein Vater diesen Song noch hört. Ich habe den Text wie einen Brief aufgeschrieben, mich an mein Aufwachsen und die Familie erinnert – und dann kam die Idee, es als Lesung aufzunehmen. Das war zuerst komisch, weil es unüblich und neu für mich war und sehr plakativ und direkt, wie wir am Niederrhein sprachen. Aber ich spüre gerade, dass es wirkt. Kein Wunder, jeder hat Eltern, ist Elternteil oder beides.

Das siebte Album „Plan A
Das siebte Album „Plan A" von Johannes Oerding © Sony

„Stärker“ ist ein deutsch-türkisches Lied mit „The Voice of Germany“-Kandidatin Zeynep Acvi. Sehr ungewöhnlich, auch weil es auf ihren Alben bislang nur ein Duett – mit Ina Müller – gegeben hat.

Oerding: Ja, und das ist mir sehr wichtig. Ich habe mich gewundert, dass es so wenige deutsch-türkische Duette zu geben scheint, weil sich unsere Kulturen in den vergangenen Jahrzehnten wirklich sehr verflochten und verwoben haben. Ich hatte das Glück, Zeynep kennenlernen zu dürfen und bekam ihre Gänsehautstimme nicht mehr aus dem Kopf. Das Lied wurde von Sony schon in der Türkei veröffentlicht, und meine Eltern haben mir nach ihrem Urlaub berichtet, dass es dort in jedem Clubhotel am Pool läuft. Wahnsinn, oder?

Sie haben Ihren Juror-Posten bei „The Voice of Germany“ nach einer Staffel gleich wieder aufgegeben.

Oerding: Die haben eingesehen, dass sie keine Chance gegen mich haben (lacht). Ich hätte es zeitlich nicht geschafft. Ich musste 45 Konzerte nachholen, die Platte fertig machen und hatte auch noch „Sing meinen Song“ auf der Uhr.

Damit hatten Sie als Juror eine Halbwertzeit wie die bisherigen Siegerinnen und Sieger dieser Castingshow, die meisten sind schon wieder vergessen. Eine war doch beim „ESC“ ... wie wäre es eigentlich mal mit Ihnen beim „Eurovision Song Contest“?

Oerding: Sach ma! Nee! Es ist nicht so, dass ich nicht schon Anfragen bekommen hätte, aber es gibt Dinge, bei denen ich ziemlich schnell spüre, dass das nicht mein Zirkus ist. Ich probiere hin und wieder etwas aus, um zu schauen, ob das Spaß macht. Aber ich saß 2010, als Lena gewonnen hat, in der deutschen Jury und habe genug mitbekommen, um zu erkennen: Das ist nicht meins. Ich bin auch kein Freund davon, Musik und Kunst auf so einer großen Ebene zu vergleichen.

Was war denn Ihr größter Flop bislang? Das zweite Album „Boxer“?

Oerding: Was habe ich richtig verkackt, mal überlegen. Von den Zahlen her „Boxer“, ganz klar. Es ist das einzige Album, das seit elf Jahren bei 99.898 verkauften Einheiten an der Goldgrenze herumkrebst. Ich glaube, ich kaufe die mir fehlenden Platten einfach selbst.

Jetzt die sicher noch nie gestellte Schlussfrage: Was ist Ihr Plan B?

Oerding: Haha! Ich bin froh, dass Sie diese Frage stellen! Aufgrund dieser Fragestellung, die mir immer wieder begegnet, habe ich den Song „Plan A“ überhaupt geschrieben. Ich habe immer über die Frage „Was wäre, wenn ich kein Musiker wäre“ nachgedacht und mir irgendwas aus den Fingern gesaugt. Animateur im Robinson Club oder was auch immer. Aber jetzt in der Retrospektive kann ich sagen: Musik war und ist das Beste und Liebste, was ich kann. Auch das ganze Drumherum, das scheinbar nervt, die Reiserei, der ganze Kladderadatsch im Studio, das Promotion-Gedöns. Das ist das Einzige, was mich wirklich erfüllt. Handwerk? Zahlen und Daten? Büro? Da bin ich eine absolute Flasche. Ich kann nur Plan A.

Johannes Oerding Sa 22.4., 20.00 Barclays Arena, Sylvesterallee 10, Karten ab 53,50 im Vorverkauf; www.johannesoerding.de