Hamburg. Ältestes deutsches Varieté eröffnet seine Spielzeit mit zahlreichen prominenten Gästen. Publikum wirkt an speziellem Programmpunkt mit.
Um ihren Hals ist ein enges Seil geschnürt, als die Akrobatin durch die Luft wirbelt: Nur damit ist sie an ihrem Partner befestigt. In atemberaubender Geschwindigkeit dreht dieser sich auf Rollschuhen um sich selbst. Unter dem Künstler: nur ein Holzpodest. So richtig traut sich niemand hinzusehen, als das Duo Ferrandino seine waghalsige Show im Hansa-Theater präsentiert. Doch die Akrobaten meistern ihren Auftritt mit Perfektion.
Sie gehören zu insgesamt acht Artisten und Duos, die am Donnerstagabend die Premierengäste der neuen Varieté-Show begeisterten – und damit die neue Spielzeit eröffnet haben.
Als diesjähriger Stargast hatte der britische Sänger Tony Christie (79) den roten Teppich auf dem Steindamm betreten, dazu weitere Prominente aus Medien und Kultur. Die Hamburger Ehrenbürger Udo Lindenberg und der (Noch-)Intendant des Hamburg Balletts, John Neumeier, waren ebenfalls geladen. Lindenberg ließ sich jedoch wegen einer Grippe-Erkrankung entschuldigen, Neumeier wegen einer Probe.
Hansa-Theater: Publikum erwirkt Hamburg-Hymne
Die Zuschauer ließen sich davon aber nicht die Laune verderben: Bei jeder Gelegenheit applaudierten sie und jubelten, während der spektakulären Verrenkungen einiger Künstlerinnen und Künstler ertönte ein staunendes „Ohhh“. Fast alle Tischchen im Saal des 1894 eröffneten Hansa-Theaters waren von Anfang an besetzt. Wie aus einer anderen Zeit wirkt das Ambiente mit den kleinen Tischlampen, dem Lametta an den Wänden und den roten Samtvorhängen. Auch Tony Christies Klassiker „Is This The Way To Amarillo?“ weckte Nostalgie und ließ das Publikum kräftig mitsingen. Wo man auch hinsah – der Song erzeugte lächelnde Gesichter.
Spätestens als Moderatorin Katie Freudenschuss am Ende der Show spontan eine eigene Hamburg-Hymne aus den Vorschlägen der Gäste zusammendichtete, waren alle restlos begeistert. Die versierte Musikkabarettistin sang „freestyle“ von der Liebe zur Elbe, von Franzbrötchen, Astra-Bier, dem Horner Kreisel und mehr – eben von allem, was Hamburgerinnen und Hamburger so mit ihrer Heimat verbinden. Der Beifall wollte fast kein Ende nehmen, als sich Freudenschuss nach ihrer beeindruckenden Performance wieder vom Klavier erhob.
Hansa-Intendanten erfreut über Live-Entertainment
Auch Thomas Collien und Ulrich Waller, die Intendanten des Hansa-Theaters, wirkten sichtlich froh über den Saisonstart. Sie hatten den Abend im Partnerlook gestartet – in lässigen Adidas-Trainingsanzügen auf zwei Heimfahrrädern. Ein Gag führte gleich zum ersten Gelächter: Durchs Radeln brachten sie eine Glühbirne über ihren Köpfen zum Leuchten – „In der Energiekrise sind wir zu Selbstversorgern geworden“, witzelte Waller.
Auch andere politische Ereignisse schnitten die Intendanten kurz an. „Wir haben nicht vergessen, was um uns herum geschieht, aber wir müssen an schönen Abenden wie diesen auch wieder Kraft auftanken können“, sagte Waller und spielte damit auf die weltweite Krise und den Krieg in der Ukraine an.
Udo Lindenberg muss Premierenbesuch absagen
Außer den Rollschuhakrobaten und Christies englischen Hit-Klassikern überzeugten bei der Varieté-Show noch andere Kunstschaffende mit kreativen, geschickten und verblüffenden Darbietungen. So präsentierte der in Russland geborene Aleksandr Batuev die ungewöhnliche Flexibilität seines Körpers. Der 31 Jahre alte Künstler trat mit weißem Hemd und Sonnenbrille im Geheimagenten-Look auf und verknotete seine Gliedmaßen zu ungesund aussehenden Verrenkungen – ein „Schlangenmensch“ par excellence.
Das Duo Timothy Trust und Diamond erstaunte die Gäste mit ihren hellseherischen Fähigkeiten. Beim „Gedankenlesen“ ließ Trust sich zufällige Gegenstände aus dem Publikum zeigen – seine Partnerin Diamond erriet sie mit verbundenen Augen. Und wusste aus unerklärlichen Gründen sogar Details wie die Nummer einer Lippenstiftfarbe oder den Vornamen der Zuschauer.
Hansa-Theater: Freudenschuss erklärt Spielzeit für eröffnet
Sportlich unterwegs war Zirkusartist Anton, der bis zu vier Hula-Hoop-Reifen gleichzeitig um seinen muskelgestählten Körper kreisen ließ. Im Handstand oder mit beiden Füßen in der Luft – in gefühlt jeder Position und an jedem Körperteil hatte er keine Probleme, die Reifen bei sich zu halten. Musikalisch untermalt wurde der Abend live von den Hansa Boys, die mit Cello, E-Gitarre, Schlagzeug, Saxofon und weiteren Instrumenten für Stimmung sorgten.
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Nach zweieinhalb Stunden spektakulärer Show-Acts sowie einer sehr charmanten Moderation von Katie Freudenschuss schloss die Wahlhamburgerin mit einem fast präsidialen Satz :„Ich erkläre die neue Spielzeit hiermit offiziell für eröffnet.“