Hamburg. Die mangelnde Kartennachfrage betrifft auch Stars wie Sebastian Krumbiegel. Er, Sebastian Schnoy und Kolleginnen spielen trotzdem.

2020 war für die Kultur ein Seuchen-Jahr, 2021 nicht viel besser, und wer als Bühnenmensch gehofft hatte, anno 22 werde das Publikum hierzulande mit zunehmender Impfquote, abflauender Pandemie und Aufhebung der Einschränken seit Mai in die Clubs und Theatersäle zurückkehren, sieht sich spätestens mit Beginn der nasskalten Jahreszeit eines Schlechteren belehrt.

Die Gründe für die deutlich geringere Kartennachfrage als vor Corona sind vielschichtig und hinlänglich beschrieben worden – bis hin zur vielzitierten „Klebkraft der Couch“. Doch welcher Künstler, welche Künstlerin sitzt schon gern freiwillig zu Hause? Die meisten, ob Musiker, Kabarettisten oder Comedians, wollen weiterhin singen und spielen. Zumal dann, wenn sie nicht regelmäßig im Fernsehen zu erleben und sind und mit regelmäßigen Gagen rechnen können.

Kultur Hamburg: „Die Natur erobert die Theater zurück

Der Hamburger Sebastian Schnoy (53) verdingt sich seit 25 Jahren satirisch auf deutschen Bühnen. In jüngster Zeit fühlt sich der Kabarettist und Buchautor, auch Initiator des größten deutschen Kleinkunstwettbewerbs Hamburger Comedy-Pokal, mancherorts an die Anfänge seiner Laufbahn als Solokünstler erinner. „1998 hatte ich bei einem meiner ersten Solotermine im Schlachthof tatsächlich nur zwei Zuschauer, ein Paar. Ich spielte, während ich innerlich erstarrte, denn es gab eine Nummer im Programm, für die ich zwei Freiwillige auf die Bühne holte. Das wäre zwar rechnerisch noch gegangen, aber wer zur Hölle hätte sich das dann noch anschauen können?, fragte sich Schnoy damals.

Infektiologisch sehr sicher, doch wenn bei zwei Künstlern nur wenige im Saal zuschauen, bleibt ein Gefühl der Leere. Die gilt es zu überspielen.
Infektiologisch sehr sicher, doch wenn bei zwei Künstlern nur wenige im Saal zuschauen, bleibt ein Gefühl der Leere. Die gilt es zu überspielen. © Getty Images / E+ / SimonSkafar

In der Regel bespielt er jetzt mit seinen Programmen „Die Vereinigten Träume von Europa“ und „Dummikratie – warum Deppen Idioten wählen“ bundesweit Säle von 150 bis 600 Plätzen, vom Kulturzentrum in der Provinz bis zu Dieter Hallervordens Theater Die Wühlmäuse in Berlin. „Da freue ich mich jetzt auch, wenn 200 Menschen zusehen“, sagt Schnoy. „Wo früher 300 kamen, kommen jetzt mit Glück 150, mindestens die Hälfte fehlt“, hat er festgestellt. „Die Natur erobert die Theater zurück, wie der Efeu Ruinen“, formuliert es Schnoy poetisch.

Tiefpunkt: Auftritt im Regen vor einem schlafenden Hund

Indes: „Es fehlt einem auch die Hälfte des Einkommens“, sinniert er. Denn: Haben die Künstler nicht mit dem örtlichen Veranstalter, oft einem subventioniertem Soziozentrum, vorab eine Festgage ausgehandelt, erhalten sie die in der hiesigen Kleinkunstszene üblichen 60 bis 65 Prozent der Ticket-Einnahmen. Jedoch berichten Agenten davon, dass Theater, denen stets alle Gastro-Erlöse bleiben, die Gastkünstler mancherorts auf einen Verteilschlüssel von 50:50 drücken wollen.

Schnoy versucht sogar dem kuriosen Tiefpunkt seines bisherigen Tournee-Jahres Positives abzugewinnen: In Braunschweig hatte der Kabarettist einen Open-Air-Auftritt „vor vielleicht 28 Menschen“. Als es regnete kam zunächst ein fremder Hund auf die überdachte Bühne, dann bat der Satiriker noch die wenigen Besucher herauf – und der Hund schlief neben Schnoy ein. „Hinterher sagte man mir, ich solle das als Kompliment verstehen.“, erzählt Schnoy. Der Hund habe sich bei ihm wohlgefühlt, bekam er zu hören. „Aber der Hexenkessel fehlt, das brechend volle Theater.“ Anders als manch andere prominente Komiker, die lieber anonym bleiben wollen, jammert Schnoy nicht. „Ich bin notorischer Optimist und möchte mein Publikum beflügeln.“

Dass er weiterhin auch kleinere Auftritte wahrnimmt wie etwa am 26. November auf dem Theaterschiff Batavia in Wedel, versteht sich für ihn von selbst.

Frontmann der Prinzen spielt vor nur 42 Menschen

Ähnlich denkt ein noch bekannterer Sebastian – Nachname Krumbiegel. Der Frontmann der Pop-Lieblinge Die Prinzen hat eine besondere Beziehung zu Hamburg: Im Boogie Park Studio in Ottensen hatten seine Leipziger Sangesfreunde und er Anfang der 90er ihre ersten Alben mit Hits wie „Küssen verboten“ und „Alles nur geklaut“ aufgenommen. In diesem Frühjahr spielte Krumbiegel sein Soloprogramm „Courage zeigen“ im Kulturhaus Süderelbe in einer Aula. Dafür hatte er auch das Lied „Diese Welt ist unbezahlbar“ ausgewählt, Das hat nicht nur wegen Putins Krieg in der Ukraine Bedeutung.

Unbezahlbar, für viele nötiger denn je, ist ein Publikum, das einem Künstler oder einer Künstlerin die Treue hält und neugierig bleibt. Als Krumbiegel kürzlich im neuen Centralkomitee (222 Plätze), dem früheren Polittbüro in St. Georg, mit „Courage zeigen“ gastierte, waren im Vorverkauf nur 17 Karten abgesetzt. Krumbiegel kam dennoch – und dann noch weitere 42 Menschen, um ihn zu erleben. „Mach dir keine Gedanken, du bist in guter Gesellschaft“, spielte der Centralkomitee-Betriebsdirektor Alexander Ratschinskij auf die Publikumszurückhaltung bei vielen anderen Künstlern an.

„Ein geiler Abend“ im Centralkomitee

„Ich spiele für die Leute, die da sind, nicht für die, die leider wegbleiben“, sagt Krumbiegel. Letztlich gab der Musiker und Buchautor in St. Georg drei Stunden lang eine Mischung aus Klavierkonzert und Lesung; für ihn war es „ein geiler Abend, weil die Leute Bock hatten“. Er dauerte doppelt so lange wie sonst häufig an anderen Orten. Der 56-Jährige weiß, dass er aufgrund seiner Popularität „das große Privileg“ hat, gefragter zu sein als so mancher Novize. „Es ist jetzt eine schwierige Zeit, und ich kann es mir in gewisser Weise leisten, solo aufzutreten“, sagt Krumbiegel, ohne überheblich zu klingen. „Ich habe ja schon gutes Geld verdient.“

Mit den Prinzen hat er auf Festivals vor 30.000 Menschen gespielt und regelmäßig große Konzerte vor 8000 bis 10.000 Leuten gegeben. Die Prinzen, bis heute eine der erfolgreichsten Gruppen der jüngeren deutschen Pop-Geschichte, haben rund sechs Millionen Tonträger verkauft,. Auch wenn Prinzen-Tourneen erst für Frühjahr und Herbst 2023 geplant sind – ihre Hits hallen nach.

Inka Meyer macht „Freudentänzchen“ nach einer Pointe

Was aber machen Künstlerinnen ohne Charts-Erfolge? Inka Meyer ist eine friesisch-fränkische Kabarettistin, ausgebildete Schauspielerin und Buchautorin. Am 23. Oktober ist die Frau aus dem Rhein-Main-Gebiet auf dem Hamburger Theaterschiff (120 Plätze) gebucht, mit ihrem Soloprogramm „Zurück in die Zugluft – Die unerträgliche Seichtigkeit des Scheins“. Auch sie stellt sich der Realität.

Vor der Pandemie habe ich mich über sehr regen Besuch und ausverkaufte Vorstellungen gefreut“, erzählt die 43-Jährige. Längst hat sie andere Erfahrungen gemacht, hat vor nur zehn Menschen in Turn- und Stadthallen gespielt, in die locker 1000 reingepasst hätten. „Das ist natürlich vom Platzangebot fürs Publikum luxuriös“, meint sie. „Man kann nach einer Pointe nicht nur lachen, sondern problemlos ein kleines Freudentänzchen aufführen. Und infektiologisch ist es natürlich auch sehr sicher, weil jede Mikrobe auf ihrem Weg von der einen zur anderen Atemhöhle schlichtweg verhungert“, spottet Inka Meyer.

Publikum immer hochmotiviert

Aber denkt sie sich angesichts solcher Erlebnisse manchmal, sie habe den Beruf verfehlt? „Das Erste, was man denkt ist: Oh, das wird heute anstrengend. Doch auch wenn nur wenigen Menschen kommen, die Anwesenden sind immer hochmotiviert und voll und ganz dabei. Dann wird der Abend schnell zum familiären Wohnzimmer-Konzert. In einem zugegebenermaßen sehr, sehr großen Wohnzimmer. Und hinterher sind alle dankbar.“

Die Künstlerin hat für sich eine selbstmotivierende Antwortet auf die Zuschauermisere gefunden. „Es liegt ja nicht an meiner Leistung, dass weniger Menschen kommen.“ Es sei manchmal eher ein Gefühl des Haderns, sagt Inka Meyer. Und verweist auf einen legendären Kunst-Professor und Aktionskünstler aus Düsseldorf: „Joseph Beuys hatte recht: ,Jeder Mensch ist ein Künstler!’ Aber ich Trottelin muss auch noch davon leben “

Kultur Hamburg: Kabarett jetzt besonders wichtig

Obwohl die Zeiten wirklich „sehr hart“ seien, gebe es keinen wichtigeren Zeitpunkt für das Kabarett. Inka Meyer: „In meiner Show wird laut und herzlich über den Irrsinn der Zeit gelacht. Das befreit die Besucher zwei Stunden lang von ihren Sorgen und gibt ihnen Mut für das Kommende. Und das haben wir alle dringend nötig.“ Wie zum Beweis des Besseren ist die Viel-Bahnfahrerin an diesem Wochenende mit „Zurück in die Zugluft“ gleich für drei Abende in der Regensburger Kleinkunstbühne Statt-Theater gebucht.