New York. Hamilton-Schöpfer Lin-Manuel Miranda über die Unterstützung des ehemaligen US-Präsidentenpaares auf dem Erfolgsweg seiner Show.

Wenn das Musical „Hamilton“ in seiner deutschen Fassung am 6. Oktober Premiere in Hamburg feiert, wird auch Schöpfer Lin-Manuel Miranda erstmals in der Hansestadt zu Gast sein. Im Interview blickt er auf die Anfänge von „Hamilton“ zurück.

2015 feierte sein Stück im Public Theatre in Downtown New York Premiere, bevor es wenige Monate später an den Broadway ging. Er schaut auf die Impulse, die der immense Erfolg seiner Show freigesetzt hat. Und er erläutert, warum jede und jeder in dem Musical ganz grundlegende Botschaften finden kann.

Hamburger Abendblatt: Von Anfang hat das damalige Präsidentenpaar Obama Sie bei „Hamilton“ unterstützt. Wie sehr wurden Sie von der politischen Energie dieser Ära getragen in der Entwicklung des Stücks?

Lin Manuel-Miranda: Als die Obamas im Frühjahr 2009 ihr erstes Spoken-Word-Event im Weißen Haus veranstalteten, haben sie mich eingeladen, um etwas aus meinem Musical „In The Heights“ aufzuführen. Es sei denn, ich hätte ein neues Stück über Amerika. Damals hatte ich gerade 16 Takte der Eröffnungsnummer von „Hamilton“ fertig. Und ich dachte: Was für ein großartiger Ort, um neues Material auszuprobieren. Wenn es im East Room des Weißen Hauses nicht funktioniert, dann packe ich das Ganze in den Schrank. Ich war noch nie in meinem Leben so aufgeregt. Zum Glück wurde es sehr gut angenommen. Und ich kann gar nicht in Worte fassen, was es für den Cast bedeutete, dass sich Michelle Obama die Show dann später off-Broadway angesehen hat. First Ladys schauen sich niemals Shows jenseits des Broadways an. Diese Verbindung ist wirklich besonders. Ich denke, das Stück teilt die Ideale, die die Obama-Regierung vertreten hat. Wir versuchen nach wie vor, unseren Gründungsdokumenten gerecht zu werden, die zwar niedergeschrieben, aber nie vollständig umgesetzt wurden. Wir versuchen, zu einer perfekteren Union zu werden. Insofern hat die Show eine Resonanz über die Obama-Ära hinaus, weil wir uns immer noch mit so vielen Widersprüchen auseinandersetzen.

„Hamilton“ zeichnet sich durch ein sehr divers besetztes Ensemble aus. Verstehen Sie sich als Vorreiter für erfolgreiche Serien wie „Bridgerton“, die Geschichten eben mit Darstellenden aus ganz verschiedenen Backgrounds erzählen?

Manuel-Miranda: Ich habe extrem divers besetzte Shakespeare-Inszenierungen gesehen. Und mir kam nie in den Sinn, dass daran etwas außergewöhnlich ist. Ebenso wie ich nicht darüber nachgedacht habe, dass die Diversität unseres Cast irgendwie ungewöhnlich sein könnte. Aber was wirklich spannend ist: Ich höre von anderen Kreativen, dass der Erfolg von ‘Hamilton’ nun ihre Lizenz ist, Diversität in ihre Arbeit zu bringen. Und für diese Entwicklung bin ich wirklich dankbar.

„Hamilton“ ist nicht gerade der berühmteste Gründungsvater der USA. Was denken Sie, warum das Musical in Deutschland dennoch ein größeres Publikum ansprechen kann?

Manuel-Miranda: Das Interessante an der Show ist: Über die historischen Aspekte hinaus, dass da die Geburt der USA erzählt wird, geht es eigentlich darum, wie wir mit unserer Zeit auf dieser Erde umgehen. Da ist Hamilton, der in jungen Jahren einen tiefen Verlust erlebt hat. Und der beschloss, so schnell wie möglich, solange er kann, voranzupreschen. Da ist sein Gegenspieler Aaron Burr, der fast dieselbe Kindheit hatte in Bezug auf Verlust und Trauma, aber der sich dadurch lähmen ließ. Und da ist Eliza, die beide überlebt und unglaubliche Arbeit geleistet hat. Diese drei Charaktere geben uns Einblicke in die Art und Weise, wie wir unser Leben leben können. Sind wir uns der tickenden Uhr der Sterblichkeit jederzeit bewusst? Und wie beflügelt uns das? Führt es zu Aktion oder Lähmung? Die große Ironie ist natürlich, dass Hamilton im wichtigsten Moment seines Lebens zurückhaltend ist, Burr wiederum rücksichtslos und dass einer den anderen erschoss.

Sie haben gerade die Figur der Eliza Schuyler erwähnt, Hamiltons spätere Ehefrau. Die Gründerväter sind ja nun eine Art Boygroup. Hatten Sie von Anfang an die Idee, auch ein starkes weibliches Narrativ einzuflechten?

Manuel-Miranda: Dazu hat mich unter anderem die Hamilton-Biografie von Ron Chernow inspiriert. Das erste Kapitel erzählt von Eliza in ihren späten 80ern und 90ern. Und das letzte Kapitel ist im Wesentlichen das letzte Lied der Show. Er spricht über Elizas unglaubliche Arbeit für Waisenkinder, für versklavte Menschen. Sie hat lange genug gelebt, um Lincoln kennenzulernen. Wir berühren in der Show auch die Einschränkungen, die Frauen in dieser Zeit auferlegt wurden. Und es ist kein Zufall, dass ihre Schwester Angelica wirklich die klügste Figur in dem Musical ist. Sie liest Hamilton schneller, als er sich selbst erkennen kann. In einer gerechteren Welt wäre sie die Präsidentin. Sie ist eine der Gründungsmütter. Sie hatte auch eine bedeutende Beziehung zu Thomas Jefferson in Europa. Ich spiele in einem Vers darauf an. Für mich war es sehr wichtig, den Einfluss dieser Frauen auf die Geschichte zu betonen.