„Moonage Daydream“ ist ein überwältigendes Kinoerlebnis, ganz besonders für Fans des 2016 gestorbenen Sängers.
Er war der Mann, der vom Himmel fiel. Wie kein anderer Popstar spielte David Bowie mit Identitäten und Normen, war rastlos in seinem Wandel, das personifizierte Rock-Chamäleon – ob Ziggy Stardust, Major Tom oder Aladdin Sane. Nur in Berlin kam er Mitte der 1970er-Jahre kurz zur Ruhe, schuf hier mit „Low“, „Heroes“ und „Lodger“ einige seiner wichtigsten Alben. Wenn mehr als sechs Jahre nach seinem Tod nun der erste offiziell autorisierte Dokumentarfilm erscheint, sollte man alles erwarten, nur keine klassische Biografie über den Mann, der einst als David Jones geboren wurde.
Das ist nicht als Warnung, sondern unbedingt als Empfehlung zu verstehen. Brett Morgens 129-minütiger „Moonage Daydream“ findet als assoziativer Bilderrausch eine adäquat freie Form, um sich diesem einzigartigen Künstler zu nähern.
Kinofilm: David Bowie als multimediales Gesamtkunstwerk
Der US-amerikanische Filmemacher, der bereits Dokumentationen über Nirvana-Sänger Kurt Cobain und die Rolling Stones inszenierte, hat sich sechs Jahre lang in das Material eingearbeitet, das ihm aus dem Privatnachlass zur Verfügung gestellt wurde. Bowie war ein unermüdlicher Archivar seines eigenen Schaffens, er sammelte akribisch jeden Schnipsel.
Morgen konnte so auf Tausende Stunden Konzertmitschnitte und frühe Fernsehauftritte zurückgreifen, vieles davon galt als verschollen oder war bislang unveröffentlicht. Er kommt ganz ohne neu gefilmte Interviews irgendwelcher Zeitzeugen oder Experten aus, arbeitet ausschließlich mit diesem Archivmaterial, ergänzt durch Verweise auf Popkultur, Kino und Zeitgeschichte, die Bowie als multimediales Gesamtkunstwerk kontextualisieren.
Ein rauschhaft-immersiver Trip durch Bowies Gedankenwelt
Da stehen Szenen aus Fritz Langs „Metropolis“ und „Der Zauberer von Oz“ neben Bildern der Mondlandung und psychedelischen Animationen. Auch Bowies West-Berliner Jahre werden gewürdigt. Dabei geht es Morgen gar nicht um das Abhaken biografischer Stationen oder um eine möglichst umfassende Würdigung seiner Diskografie. Oft ist nicht klar, in welchem Jahr wir uns befinden. Er montiert das Material zu einem rauschhaft-immersiven Trip durch Bowies Gedankenwelt über die Kunst und das Leben. Und kommt mit dieser sinnlichen Erfahrung dem Wesen des britischen Rockstars auf erhellende und begeisternde Art nahe.
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Als Off-Kommentar dienen dabei konsequent Ausschnitte aus Interviews mit David Bowie, die sich zu einer Art Vorlesung über seinen Blick auf die Welt und die Flüchtigkeit des Daseins verdichten, etwa in seiner großen Faszination für Friedrich Nietzsche.
"Moonage Daydream" über David Bowie ist eine mitreißende Hommage
Es ist ein Schatz, den Morgen da mit dem Segen der Erben heben durfte. Ein wahr gewordener Traum für alle Bowie-Fans sind Aufnahmen, die lange nur als Gerücht existierten, etwa von einem Konzert während der „Diamond Dogs“-Tour in Philadelphia, das Bowie mit zwei Kameras festhalten ließ, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie seine Show aus Fanperspektive wirkt. Oft schneidet Morgen dabei Performances eines Songs aus verschiedenen Zeiten zu einer Parallelmontage, die in der ausgestellten Vergänglichkeit melancholisch stimmen und dabei völlig zeitlos wirken.
Auch Bowies Ausflüge in andere Kunstformen finden in diesem Konzept Raum, seine Porträtmalerei, maßgeblich beeinflusst durch Besuche Berliner Museen, oder die Auftritte als Schauspieler. So fasst Morgen das ewige Suchen Bowies in eine collageartige Form, die zur mitreißenden Hommage an diesen unbändigen Künstler und zu einem kaleidoskopischen Trip durch seine Gedankenwelt wird. Der viel zu frühe Austritt dieses Pop-Aliens aus unserer Umlaufbahn wirkt dadurch umso schmerzlicher.
„Moonage Daydream“ 129 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im Abaton, in der Astor FilmLounge, im Studio, UCI Othmarschen Park, UCI Wandsbek, Zeise