Hamburg. Beide erhalten den Ehrentitel der Hansestadt. Neben Gemeinsamkeiten gibt es aber auch viele Unterschiede zwischen den Musikern.

Morgen ist es so weit: Rathaus, Festakt, die volle Protokoll-Packung. Seit Johannes Brahms, ein Sohn der Stadt, 1889 zum Hamburger Ehrenbürger ernannt wurde, ist der gebürtige Westfale Udo Lindenberg der erste Musiker, der 133 Jahre später diese Auszeichnung erhält. Ob Lindenberg sich mit einem frischgebackenen Song bedanken wird, bleibt abzuwarten. Brahms tat es, mit drei Doppelchor-Motetten, an denen er ohnehin gefeilt hatte und die er als „Fest- und Gedenksprüche“ op. 109 dem Bürgermeister Carl Friedrich Petersen widmete.

Warum Brahms, obwohl der längst in Wien lebte? „In den neueren und neuesten musikalischen Zeitschriften und in den Spalten verschiedener Konversationslexika ist Brahms anerkannt“, hieß es im Senatsgutachten, „nicht nur als ein tüchtiger, sondern als ,einer der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart‘.“

Hamburger Ehrenbürger: Begründungen unterscheiden sich

Die Lindenberg-Begründung klingt pathosärmer: „Biografie und Werk sind eng mit Hamburg und Norddeutschland verbunden. Mit markanter Sprache und zeitbezogenen Texten hat er der deutschsprachigen Rockmusik zum Durchbruch verholfen. Sein Bemühen um die innerdeutsche Verständigung gehört zur Geschichte der Wiedervereinigung.“

Auch schön: Die prächtige Ledermappe für Brahms’ „Ehrenbürger-Di­plom“ hatte sich das Rathaus stolze 3000 Mark kosten lassen. Bevor man Brahms das gute Stück schickte, wurde es vier Wochen lang in der Kunsthalle ausgestellt.

Der Astronaut muss weiter

Mangel an Selbstbewusstsein oder liebenswürdiger Ironie? Aber nicht doch. „Sollte ich vergessen haben, jemanden zu beschimpfen, dann bitte ich um Verzeihung!“, war Brahms’ liebstes Partymotto, und das von Udo ist auch nicht ohne: „Ich bin von Beruf Udo Lindenberg. Meinen Job gibt es nur einmal auf der Welt“. Udo erzählte auch, was das Orchester, mit dem er in den Abbey Road Studios den Song „Stärker als die Zeit“ einspielte, von seinen Gesangskünsten hielt: „Von welchem Planeten kommst du denn?“

Hoch im Norden

Nur etwa zwei Kilometer Luftlinie voneinander entfernt sind zwei wichtige Adressen für Brahms und Lindenberg: Im Gängeviertel, im Specksgang 24 (später Speckstraße 60), 1. Etage links, kam der eine am 7. Mai 1833 zur Welt. Eine Luxusherberge war das nicht. Das Haus wurde im Sommer 1943 beim Bombardement Hamburgs zerstört, an den Standort erinnert immerhin noch ein kleines Denkmal. Der andere lebt und lindenbergt seit 1995 deutlich nobler als Dauergast im Hotel Atlantic an der Außenalster.

Auf heißer Spur

Ihren Spuren begegnet man überall in dieser Stadt, manche bleiben vielleicht für immer. Vor der Laeiszhalle stehen gleich mehrere Denkmäler für Brahms, aus Marmor gibt es ihn im Foyer zum Pausen-Sekt. Eher Bier und Schlimmeres landet auf dem Stern im „Walk of Fame“-Stil auf der Höhe Reeperbahn 19, mit dem Udo Lindenberg 1996 geehrt wurde.

Die größte Liebe

Frauen und Amore, weites Feld, bei beiden. Was ab wann wie, wie oft oder auch nicht zwischen Brahms und Clara Schumann, der Gattin seines frühen Förderers Robert Schumann, passierte? Darüber wurde viel gerätselt und noch mehr geschrieben. Sie war nicht die einzige Frau in Brahms’ Leben. Aber die wichtigste. Auch Udo hatte viele Mädchen. Auch aus Ost-Berlin. Seine Liebste ist aber seit bald 25 Jahren die Fotografin Tine Acke.

Stärker als die Zeit

Was hören die Hamburger wohl besonders gern? Von Brahms sicher auch den ewigen Publikumsliebling „Ein deutsches Requiem“, ein Stück, dessen Frühfassung 1868 doch tatsächlich in Bremen urauf­geführt wurde. Bei Udo führt kein Weg an „Reeperbahn“ vorbei, sei es die Version von 1978 oder die von 1989.

Wie „Phönix aus der Flasche“

Die Erfolge fielen Brahms und Lindenberg nicht in den Schoß, Karriereknicke und Krisen kannten beide. An seiner 1. Sinfonie mühte sich Brahms 14 Jahre ab, für Posten in Hamburg wurde er mehrfach nicht in Betracht gezogen. Udo krebste in den 90ern und frühen 2000ern im Dauertief herum. Den „Echo“ für sein Lebenswerk 1992 bekam er wohl auch, weil man von ihm nichts mehr erwartete. Aber es kam anders.

Süße Sucht

Die Liebe zur amtlichen Zigarre verbindet die beiden Tonkünstler ganz eindeutig. O-Ton Udo, medizinisch zumindest schwierig: „Zigarren sind so was wie Salat.“ Brahms paffte so leidenschaftlich, dass er ständig auf der Suche nach der nächsten Tabakportion für seine unverzichtbaren Zigaretten war, deren Tagesvorrat er morgens selbst drehte.

Coole Socke

Als junger Mann war Brahms rank und schlank. Später legte sich der knorrige „Abseiter“ einen mächtigen Schutzpanzer zu, mit Weihnachtsmannbart und einer Schwäche für modisch eigenwillige Krawatten. Lindenberg hat auf seine älteren Tage den disziplinierten Sportsmann in sich entdeckt und dreht nächtliche Jogging-runden – auch mit Brahms im Kopfhörer – um die Außenalster. Seine Style-Vorliebe: neongrüne Socken. Die Frisuren der beiden nach hinten raus sind Brüder im Geiste, mal mit unverzichtbarem Hut (Udo), mal ohne (Brahms).

Woddy Woddy Wodka

Die Zeiten, in denen Eierlikör zu Lindenbergs trinkbaren Grundnahrungsmitteln gehörte, sind vorbei. Für seine farbenfrohen Likörelle-Gemälde reicht’s aber noch mit der Freundschaft. Brahms stand auf einen nahen Verwandten, den Eierpunsch. Aber auch auf Knackwürste und Erbsensuppe, Aal und Austern. Eine besondere Vorliebe, leicht udoesk: Er mischte diverse Wein- und Likörsorten, an das Ergebnis traute sich bei Gesellschaften niemand außer ihm.

Mein Ding

Zum aktuellen Anlass passend, meinte Brahms, ganz unhanseatisch: „Orden sind mir wurscht. Aber haben will ich sie.“ Lindenberg hat seit 2019 sein zweites Bundesverdienstkreuz. Das erste wurde ihm 1989 verliehen, welches bei einer nächtlichen Zechtour in einen Gully plumpste – Udo fischte es heraus.