Hamburg. Die umstrittene Kabarettistin ist Mutter geworden. Und hat ein neues Buch geschrieben, das sie im Literaturhaus vorstellt.

Vor zwei Jahren war diese Frau im übertragenen Sinne höchstwillkommen. Lisa Eckhart stopfte unbeabsichtigt das Sommerloch. Weil sie bei einer Lesung in Hamburg wegen Sicherheitsbedenken der Veranstalter gerade nicht mehr willkommen war: Man befürchtete linke Proteste gegen die polarisierende Künstlerin.

Ihr erster Roman „Omama“ wurde dennoch und deswegen ein Erfolg. Als Kabarettistin ist die 29-jährige, in Leipzig lebende Österreicherin einem größeren Publikum bekannt. In der ARD-Sendung „nuhr im Ersten“ tritt sie seit 2019 regelmäßig auf. Dabei macht sie insoweit alles richtig, als sie als „umstritten“ gilt. Anlässlich ihres neuen Romans „Boum“, den Eckhart am 25. August auf Einladung des Literaturhauses in Hamburg vorstellt, sprach die Autorin und Bühnenkünstlerin mit dem Abendblatt über die Kraft des Humors, ihren Familienstand und Immanuel Kant.

Ist Paris ein Sündenpfuhl, Lisa Eckhart?

Lisa Eckhart: Seit ich fort bin, leider nicht mehr. Heute ist es Tugendpfuhl. Der Sünde hat man sich entledigt. Die Clochards, die Huren, die Mannequins verschwinden nach und nach aus dem Stadtbild. An ihre Stelle treten Leihfahrräder, E-Zigaretten und an Hauswände gesprühte Vaginas. Noch ist Paris nicht ganz gefallen, aber für die Zukunft befürchte ich das Schlimmste.

In „Boum“ werden Straßenmusiker umgebracht, der Bürgermeister ist eine sinistre Figur, ein Clochard zieht im Hintergrund die Fäden, und eine junge Österreicherin lernt, nun ja, die Liebe kennen. Wollten Sie der Stadt vor allem ihre seit jeher angedichtete Romantik austreiben?

Lisa Eckhart: Au contraire! Wie viel romantischer ist mein Paris voll Intrigen, Orgien und Monstren als das des Emmanuel Macron? Ich wollte der Stadt die Romantik wieder eintreiben. Nicht nur Paris, sondern allem. Ich bin kein zynischer Desillusionist wie so viele Zeitgenossen. Es wurde genug entzaubert, genug dekonstruiert. Das hat natürlich einen Heidenspaß gemacht, aber nun kriegt man die Teile nicht mehr richtig zusammen und beginnt sich zu Recht zu fürchten.

„Boum“ ist ein praller, burlesker Roman, mehr surreal als realistisch, ohne jeden Kitsch und jedenfalls mit kräftig patriarchalischem Anstrich. Frauen bleibt nur, die Männer beim Schwanz zu packen. Macht sie das am Ende doch mächtiger?

Lisa Eckhart: Ich sehe viele Qualitäten, die manche patriarchalisch, oder gar toxisch männlich nennen, als geschlechtslose Tugenden an. Auf die Frage, wer mächtiger ist, gibt es keine Antwort. Der besagte Schwanz hat Vor- und Nachteile. Ebenso wie seine Abwesenheit. Männer wollen alles, aber können eben nicht immer. Frauen können immer, aber wissen dafür nicht, was sie wollen.

Huren, Models, Obdachlose: Warum dieses Anschauungsmaterial?

Lisa Eckhart: Es sind verfolgte Minderheiten. Vor allem in Frankreich. Prostitution ist verboten, Obdachlose werden vertrieben, Models dürfen nicht mehr dünn sein. Der Zeitgeist hasst die Leiber so sehr, dass er sogar die Fettheit schön heißt. Es grassiert eine säkulare Körperfeindlichkeit, weit schlimmer als im Katholizismus. Huren, Models, Bettler - das sind alles ihre Opfer. Menschen, denen Körper ihr alles sind. Die nicht durch Maschinen ersetzt oder zu einer werden wollen. Doch Körper wird als schmutzig erachtet, veraltet, unmoralisch. Sie verbreiten Viren, sie bersten vor Hormonen, sie verbrauchen Ressourcen. Alle wollen kreativ sein ohne etwas anzufassen. Handwerk weicht einem Fingerwischen. Ihren spärlichen Geist in die Cloud hochladen - das ist das Begehr der schönen Seelen, gegen die ich anschreibe.

„Boum“ ist eine Art grelles Horrormärchen, mit sattem Pinselstrich aufgemalt, am ehesten eine Satire über das mögliche Verlorengehen einer jungen Frau in einer großen Stadt. Gibt es eigentlich literarische Vorbilder für ihr Genre-Potpourri?

Lisa Eckhart: Vorbilder würde ich nichts sagen. Vorerkrankungen trifft es eher. Man kann sich ja nicht wehren gegen die Einflüsse dessen, was man so gelesen hat. Und ich habe sehr viel gelesen. Das war wohl mein Fehler.

Sie lebten einst in Paris. Welche Erinnerungen haben Sie an die Stadt?

Lisa Eckhart: Sehr viele Tränen, Geschrei und Drohungen, aus dem Fenster zu springen. Letztere nicht von mir wohlgemerkt. Es war kein gutes Leben, aber es waren gute Geschichten. Die besten. Leider kann ich sie nicht in Bücher schreiben, geschweige denn auf der Bühne erzählen. Sie wirken zu surreal. Für ein bisschen Authentizität muss ich letztlich immer erfinden.

Ich finde den Satz „Studierte Germanistik und Slawistik an der Sorbonne“ praktisch unschlagbar. Welchen Satz hätten Sie gerne in Ihrer Biografie, der aber mangels realem Hintergrund leider eine Erfindung sein müsste?

Lisa Eckhart: Hat Königsberg nie verlassen.

Vor zwei Jahren standen Sie im Mittelpunkt der Kulturberichterstattung, weil in Hamburg mit fragwürdiger Begründung eine Lesung mit Ihnen abgesagt wurde. Würden Sie bei abermaliger Einladung auf dem Harbour Front Festival lesen?

Lisa Eckhart: Nein, aber keineswegs aus Groll. Ich bin ihm schlichtweg entwachsen. Und das habe ich nicht zuletzt dem Festival zu verdanken.

In der Debatte um angebliche Verbreitung von antisemitischen Stereotypen in Ihrem Kabarett-Programm ging es um die Grenzen von Satire. Da Sie vorübergehend im Auge des Sturms waren – hat das seitdem in irgendeiner Weise Ihre Arbeit beeinflusst?

Lisa Eckhart: Ich schreibe jetzt angstfrei. Ist der Ruf erst ruiniert… Das stimmt. Ich lebe jetzt sehr ungeniert, wissend: Das böse Pulver ist verschossen, die Magazine sind leer und ich stehe noch. Den Todesstoß kann ich mir nur mehr selbst erteilen. Ich spüre jetzt Erleichterung. Denn ich bin mir gewiss: Es wird kein Humorist verschont bleiben. Die schönen Seelen werden sie jagen und sich ihr unverschämtes Lachen wie einen abgeschnittenen Phallus an den Gürtel schnallen. Mir wird es nicht um jeden leid tun. Es gibt sehr viele Kollaborateure. Die versuchen durchzurutschen, indem sie möglichst moralin und unlustig sind. Gutmütige Kritiker sagen, ihr Humor sei trocken, meinen aber letztlich die freudlosen Schöße. Diese Art von Komikern wird als erstes untergehen. Wer durch Moral aufsteigt, wird auch durch sie fallen. Ich habe mich der Moral nie bedient. Deshalb bin ich auch immun gegen ihre Verwünschungen.

Wem gibt Ihre Lust an der Provokation mehr – Ihnen selbst als Künstlerin oder der Gesellschaft, dem Publikum, das einen Spiegel vorbehalten bekommt?

Lisa Eckhart: Mit Verlaub, das sind zwei Floskeln, die ich nicht mehr hören mag. Erstens: Die Provokation bin nicht ich. Es ist die Welt um mich herum. Und „den Spiegel vorhalten” ist eine Metapher, die schon seit Jahrhunderten keine Gültigkeit mehr hat. Die Leute wissen, wie sie aussehen. Außen und innen. Sie machen ja kaum anderes als Selfies und Therapien. Man muss ihnen den Spiegel wegnehmen, damit sie endlich wieder die Welt sehen.

Was sagt die Debatte über Deutschland aus?

Lisa Eckhart: Debatte ist ein gesittetes Wort aus einer längst vergangenen Zeit. Und was Deutschland angeht… es kommt vom Sonderweg nicht ab. Darf es nicht über allen sein, dann ist es eben unter allen. Dazwischen aber macht man’s nicht. In den ständigen Selbstgeißelungen steckt mindestens genauso viel Nationalismus und Narzissmus. Ich gebe zu bedenken: Nur das Deutsche praktiziert diesen unsäglichen Glottisschlag. Wenn etwas in Deutschland schlummert, was immer wieder ausbricht und allen zum Verhängnis wird, so ist es nicht „das Böse”, sondern der verheerende Wille, bessere Menschen züchten.

Gibt es genug Humor in diesem Land?

Lisa Eckhart: Ich glaube nicht, dass es genug Humor geben kann, oder gar zu wenig. Humor ist kein Bodenschatz, der sich nach und nach erschöpft. Im Gegenteil, es wird gegen Ende wahrscheinlich immer lustiger.

Was muss Humor leisten?

Lisa Eckhart: Er muss ein Lachen provozieren, die schönste Geste der Rebellion. Rebellion gegen alles Übel dieser Welt. Trauer, Elend, Sterblichkeit. Schwarzer Humor - ja, was denn sonst? Humor kann nichts anderes sein als schwarz. Er saugt die Schwärze um sich auf. Somit kann er niemals korrekt sein, denn er erwächst aus Inkorrektheiten. Humor ist freilich Geschmackssache, denn nicht jeden quälen die gleichen Übel. Ich zum Beispiel hadere am meisten mit dem Tod, deshalb mag ich Späße am liebsten absurd. Späße, die in der Wunde bohren, dass letztlich alles sinnlos ist. Manche lachen über gar nichts. Sie hassen es regelrecht, wenn gelacht wird und würden es am liebsten verbieten. Diese Leute sind darum aber nicht böse oder dumm. Sie wissen einfach nicht, dass sie einmal sterben müssen. Man sollte ihnen gegenüber also Nachsicht walten lassen.

Ist der derzeitige Trend der Wokeness ein Segen für das Kabarett?

Lisa Eckhart: Das fragte man mich schon zu Trump, Corona sowie jedem anderen Trend. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass bereits Gaukler im Mittelalter hörten: „Ist die Pest und die Inquisition nicht ein Segen für Ihre Possen?” Zu allem ganz klar: Nein. Man darf das nicht verwechseln. Der Humor ist der Segen und die Welt ist das Übel.

Sie werden oft für ihr herrschaftliches Auftreten auf der Bühne kritisiert oder geliebt. Sie sind die witzelnde Domina mit der Humorpeitsche in der Hand. Ist das als Programm bis in alle Ewigkeit garantiert, oder könnten Sie sich auch ein anderes Bühnentemperament draufschaffen?

Lisa Eckhart: Sie würden den Dompteur nicht fragen: Kriegt der Löwe jetzt auch mal die Peitsche? Ich bin ein Freund von Frontalunterricht. Und die Leute gieren danach. Sie leben ja in einer selbstbestimmten Hölle aus Interaktion und Partizipation. Ich hole niemanden auf die Bühne. Auch nicht im übertragenen Sinne. Und ich steige nicht zu ihnen hinab. Ich mache nicht denselben Fehler wie Gott. Die Menschwerdung hat ihn alles gekostet. Mir aber wird das nicht passieren. So eitel bin ich zum Glück nicht.

Sie sind seit einem Jahr Mutter. Ist die Distanz zwischen der Person Lisa Lasselsberger und der Bühnenfigur Lisa Eckhart seitdem noch größer geworden?

Lisa Eckhart: Es hat die Person weiter zum Verschwinden gebracht. Die wenigen freien Stunden, die gehören Lisa Eckhart. Es ist übrigens die Bühnenfigur, die Mutter geworden ist, nicht die Person. Das heißt, das Kind gehört der Eckhart, nicht mir privat. Der Sohnemann kommt auf die Bühne, sobald er halbwegs gehen kann. Es gibt berühmte Eltern, die halten ihr Kind aus der Öffentlichkeit fern, weil sie den Applaus nicht teilen wollen. Ich bin da großzügiger und strenger zugleich. Er kann nicht nur Privilegien, sondern muss auch Pflichten erben.

Das Schönste am Muttersein sei, dass Sie nun weniger Zeit für sich selbst hätten, haben Sie unlängst in einem Fernsehgespräch gesagt. Sie fragten sich nun nicht mehr, wie es Ihnen gehe, erklärten Sie. Ist das ein Zugewinn im Elterndasein, das gefälligst alle unter der Fremdbestimmung Stöhnenden mehr beherzigen sollten?

Lisa Eckhart: Unbedingt. Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Neurosen, sondern in dem der Depression. Die kommt nicht von Fremdbestimmung, sondern von zu viel Selbstbestimmung. Das ständige solipsistische Kreisen um die Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Das hält ja kein Mensch aus. Sogar Weltverbesserung endet immer in Selbstoptimierung. Ich hatte einen Haufen Ticks, für die nun schlichtweg keine Zeit mehr ist. Nun zählt lediglich: Geht es meinem Kind gut, gilt das auch für mich. Mein Mann hält das schon länger so. Auf der Bühne sage ich immer: „Seit ein paar Jahren ist in meinem Leben ein Mann. Und seither in meinem Mann kein Leben. Außer meins.” Das stimmt. Deshalb ist er so glücklich. Und jetzt bin ich es auch. Außerdem befreit ein Kind, zumindest am Anfang, vom Fluch der Sprache. Nicht miteinander sprechen zu können ist für mich geradezu ein Urlaub vom Sein.